Digitalisierungsgipfel im Kanzleramt
28. September 2016Silicon Valley kopieren, das wird nicht reichen. Da waren sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Gäste am Mittwochabend in Berlin einig. Bei einem Spitzentreffen mit Frankreichs Präsident François Hollande und den Chefs von 20 führenden Industrieunternehmen wurde über den europäischen Weg ins digitale Zeitalter debattiert. Wie der genau der aussehen könnte, das wollten Politiker und Unternehmer beim fünften Treffen dieser Art im Kanzleramt näher einkreisen.
Kanzlerin Merkel kündigte an, die EU-Kommission mit ihren Plänen der Digitalen Agenda zu unterstützen. "Wir müssen die Digitalisierung beschleunigen", sagte sie. Europas Politik könne hier verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, so die Kanzlerin, beispielsweise durch den flächendeckenden Ausbau des ultraschnellen 5G-Datennetzes. So könne ein gemeinsames Europa für seine Bürger attraktiver werden.
415 Milliarden Euro mehr Wachstum pro Jahr
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker untermauerte die Aussagen der Kanzlerin mit Zahlen, die seine Behörde zusammengetragen hat. Nach deren Berechnungen verspricht eine konsequente Umsetzung des digitalen Binnenmarktes deutlich mehr Wirtschaftswachstum: 415 Milliarden Euro pro Jahr. "Das sei alle Mühe wert", befand Juncker und kündigte an, dass besonders über den europäischen Investitionsplan (oft auch Juncker-Plan genannt) frisches Geld in die digitale Infrastruktur fließen soll. Als Beispiel nannte er den Ausbau von kostenlosem Wifi auf öffentlichen Plätzen, was Investitionen von rund 500 Milliarden Euro nach sich ziehen dürfte. "Das ist schon ein erhebliches Konjunkturprogramm", so Juncker.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande will beim Ausbau der digitalen Infrastruktur allerdings nicht stehenbleiben. In französischer Wirtschaftstradition forderte er die EU dazu auf, gemeinsam Industriepolitik gegen Google, Apple & Co. zu machen. "Wir brauchen europäische Champions, die sich in der EU und weltweit behaupten." Benoît Potier, Chef des französischen Spezialgasherstellers Air Liquide, dürfte sich als Vorsitzender des Clubs führender Industrieunternehmen in Europa (European Roundtable of Industrialists) über derlei Ideen gefreut haben.
Sein Beitrag zielte aber auf die besonders kleinen Start-Up-Unternehmen ab. Hier habe Europa ein gravierendes Kümmerer-Defizit, so Potier. "Diese Unternehmen leisten so viel für die digitale Zukunft und werden doch bisher so sträflich vernachlässigt." Auch er hob darauf ab, dass europaweite Hochleistungsnetze und ein Klima digitaler Innovation einen hohen symbolischen Wert für das Projekt Europa haben könnten. "Die Vollendung des digitalen Binnenmarktes zeigt, wie Europa den Bürgern nützt."
Highspeed-Netz mit Funklöchern
Wie schwer diese Vollendung zu erreichen sein wird, davon berichtete zu Beginn der Woche ein anderer Spitzenpolitiker Europas auf seiner Stippvisite in Berlin. Günther Oettinger, EU-Kommissar für die digitale Wirtschaft, hat sich und seiner Behörde nach eigenem Bekunden eine ehrgeizige Agenda gesetzt. Der Ausbau der Datenautobahnen steht für ihn dabei an erster Stelle. Dass der Ausbau des schnellen 4G-Mobilfunknetzes derzeit nur schleppend vorankommt und mehr einem Flickenteppich gleicht, ärgert den Digital-Kommissar maßlos. Die Funklöcher allerorten ebenfalls. "So etwas hat mit einem modernen Europa gar nichts zu tun", so Oettinger am Montag vor Journalisten.
Er setzt dabei auf die Mobilfunkunternehmen. "80 bis 90 Prozent der Investitionen müssen privat erbracht werden", so Oettinger. Eine Analyse der EU-Kommission habe jüngst deutlich gemacht, dass besonders die Bereiche Telemedizin sowie computergesteuertes Fahren den Bedarf für Hochleistungsnetze deutlich erhöhen wird. Bis zum Jahresende will Oettinger deshalb einen 5G-Aktionplan vorlegen. Und um die Funklöcher im 4G-Mobilnetz will er sich ebenfalls kümmern, versprach er.