Planen für den Krieg
15. März 2012Die israelischen Kampfjets erledigten ihren Auftrag schnell und präzise. Bevor die Luftabwehr reagieren konnte, hatten sie den Atomreaktor mit ihren Bomben zerstört und das Weite gesucht. So war es 1981 im Irak und so war es 2007 in Syrien. Angesichts der kaum verhohlenen Drohungen Israels, Atomanlagen im Iran anzugreifen, wird dieser Tage häufig an diese Operationen erinnert. Doch ein Schlag gegen den Iran hätte eine völlig andere Dimension.
Knapp kalkuliert
"Es gibt einen großen Unterschied zwischen den iranischen Atomanlagen, die über ein riesiges Gebiet verstreut sind und dem einzelnen, oberirdischen Reaktor in Syrien", sagt David Deptula, bis Herbst 2010 Geheimdienstchef der US-amerikanischen Luftwaffe. "Der Großteil der Öffentlichkeit da draußen versteht nicht, dass ein Luftangriff mehr ist, als von A nach B zu fliegen." Ein zentrales Problem ist die Entfernung. Zwar dürfte Israel von drei möglichen Flugrouten – ungeachtet diplomatischer Verwicklungen - vermutlich die kürzeste wählen, die über Jordanien und den Irak führt. Doch selbst dann lägen die sieben Anlagen, die als mögliche Ziele gelten, noch mindestens 1500 Kilometer entfernt – und damit jenseits des Aktionsradius der Kampfflugzeuge.
Die acht Tankflugzeuge, über die Israel verfügt, reichen jedoch nicht aus, um die 125 Kampfjets, die vermutlich zum Einsatz kämen, mit Treibstoff zu versorgen, ohne selbst nachzutanken. Sie müssten zudem vor Angriffen geschützt werden, denn obwohl Irans Luftabwehr völlig veraltet ist, weiß niemand mit Sicherheit, wozu sie imstande wäre. "Nach unseren Informationen hätten die israelischen Flugzeuge keine sehr lange Zeit über ihren Zielen zur Verfügung", sagt Malcolm Chalmers von der militärischen Denkfabrik "Royal United Services Institute" in London. Zusammen mit der begrenzten Größe der israelischen Luftwaffe bedeutet dies, dass sich die Beteiligten kaum Fehler leisten könnten.
Geheimer Krieg am Boden
"Die Luftwaffe kann genügend Flugzeuge zu den Zielen bringen – darüber mache ich mir keine Sorgen", sagt dagegen Shlomo Brom, Militärexperte am Institut für Studien zur Nationalen Sicherheit der Universität Tel Aviv. "Was ich aber nicht weiß, ist, ob die Flugzeuge genügend Schaden anrichten könnten." Denn die beiden Anlagen, in denen waffenfähiges Uran hergestellt werden kann, sind besonders gut geschützt: Die Anreicherungsanlage in Natans liegt unterirdisch und die Anlage in Fordo ist bis zu 70 Meter tief in einem Berg untergebracht. Die meisten Experten glauben deshalb, dass sie für Israels stärkste bunkerbrechende Bombe, die GBU-28, unerreichbar sind.
Ungeachtet dieser Beschränkungen gilt es als unwahrscheinlich, dass Israel zusätzlich Sonderkommandos einsetzen würde. Doch Angriffe am Boden haben längst begonnen: Seit 2005 hat Irans Atomprogramm mit mysteriösen Unfällen, Computerviren, Explosionen und der gezielten Ermordung von mindestens sechs Wissenschaftlern zu kämpfen. Zuletzt fiel der stellvertretende Direktor der Anreicherungsanlage Natans einer Autobombe zum Opfer; in der Folge kam es zu zwei Anschlägen auf israelische Diplomaten in Indien und Georgien.
Nicht immer beschuldigt Teheran öffentlich Israel. Als es im vergangenen November auf einer Raketenbasis in Bidganeh zu einer Explosion kam, die 17 Mitglieder der Revolutionsgarden tötete und noch im 30 Kilometer entfernten Teheran die Fenster erzittern ließ, war offiziell von einem Unfall die Rede. "Aber auf Satellitenbildern kann man sehen, dass nur wichtige Bauten getroffen wurden und keine Nebengebäude", sagt Scott Johnson, Israel-Experte des militärwissenschaftlichen Verlages "Jane's Information Group". "Falls dahinter eine Geheimoperation steckt, wissen wir nicht, ob das Zeitbomben waren oder ein Luftschlag, aber es sieht höchst verdächtig aus."
"Als Präsident bluffe ich nicht"
Während die US-Regierung Israel zur Zurückhaltung mahnt, schließt sie einen eigenen Militäreinsatz nicht aus. Im Vorfeld des Besuchs von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bemühte sich US-Präsident Barack Obama, dem rituellen Standardsatz "alle Optionen liegen auf dem Tisch" neues Leben einzuhauchen: "Als Präsident der USA bluffe ich nicht."
Die Voraussetzungen der USA wären ungleich besser: Flugzeugträger machen das Thema Entfernung gegenstandslos, die Luftwaffe verfügt über weit mehr Raketen und Flugzeuge als nötig und der größte amerikanische Bunkerbrecher kann 65 Meter Beton durchschlagen – zehnmal mehr als Israels GBU-28. Entsprechend großzügig fällt das Szenario des ehemaligen US-Generalleutnants Deptula aus: Ohne Details preiszugeben, beschreibt er einen großen Angriff, bei dem die Luftabwehr ausgeschaltet wird, Spezialkräfte am Boden zum Einsatz kommen und am Himmel Aufklärungs-, Kommando- und Störflugzeuge kreisen.
Doch gerade in diesen enormen Mitteln sieht der Militärexperte Chalmers, der die britische Regierung in strategischen Fragen berät, eine Gefahr. So sei denkbar, dass die iranische Führung nach einem zwangsläufig begrenzten israelischen Angriff einer weiteren Eskalation ausweicht, indem sie die Vergeltung auf das innenpolitisch notwendige Minimum beschränkt. "Ein amerikanischer Angriff würde einen viel größeren Umfang haben und viel mehr Opfer fordern", sagt Chalmers. "In diesem Fall wäre es für sie viel schwieriger, nur einen begrenzten Vergeltungsschlag auszuführen." Doch auch dann wäre die hochentwickelte israelische Raketenabwehr nach Meinung von Experten imstande, die Zivilbevölkerung vor den schlimmsten Folgen zu bewahren.
Modell Afghanistan?
Ganz gleich, wer den Angriff auf den Iran ausführen würde – unter Experten besteht Einigkeit, dass das Atomprogramm dadurch lediglich um einige Jahre zurückgeworfen, aber nicht gestoppt würde. "Ein Militärschlag – wozu?", fragt deshalb David Deptula. "Dadurch verschiebt man nur das Problem, aber beseitigt nicht die Ursache: das gegenwärtige Regime." Die iranische Bevölkerung müsse ermutigt werden, die Regierung zu stürzen, sagt Deptula und verweist auf das Beispiel Afghanistan, wo sich die USA 2001 mit der oppositionellen Nordallianz verbündet und das Vorrücken der einheimischen Kämpfer mit massiven Luftschlägen auf Taliban-Stellungen unterstützt hatten, ohne selbst Bodentruppen einzusetzen. Nach diesem Muster wurde vergangenes Jahr auch der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi gestürzt. "Jede Situation ist anders, aber es gibt auch innerhalb und außerhalb des Iran maßgebliche Elemente, die sich dem Regime entgegensetzen", sagt Deptula. Die offensichtlichste Gruppe seien die Mudschaheddin-e-Khalq (MEK), die im irakischen Exil über mehr als 3000 Kämpfer verfügen.
Diese paramilitärische Truppe hat immer wieder Anschläge verübt und kämpfte während des Ersten Golfkrieges in den achtziger Jahren auf irakischer Seite gegen den Iran. Im Jahr 2003 wurden die Kämpfer von US-Soldaten entwaffnet; die MEK geben inzwischen an, der Gewalt abgeschworen zu haben. Doch die irakische Regierung will, dass sie das Land verlassen. Die US-Regierung ist deshalb bemüht, die iranischen Mudschaheddin zur Räumung ihres Lagers nordöstlich von Bagdad zu bewegen; US-Außenministerin Hillary Clinton hat in Aussicht gestellt, die Gruppe von der Liste terroristischer Organisationen zu streichen.
"Die Gruppe muss von der Liste genommen werden und kann dann als Basis für Iraner dienen, die bereit sind, das gegenwärtige Regime zu beseitigen", glaubt Deptula. Gibt es neben den MEK noch andere Gruppen, die nach dem afghanischen Modell eingesetzt werden könnten? "Niemand wird öffentlich über Details sprechen", sagt der Generalleutnant a.D. "Aber diese Art von Modell ist eine Möglichkeit."
Dennis Stute