Wie die USA Einwanderung verhindern wollen
9. Juni 2021Die Südgrenze der Vereinigten Staaten von Amerika bleibt für Migration geschlossen. Das war die zentrale Botschaft, die Kamala Harris auf ihrer ersten Auslandsreise als US-Vizepräsidentin verbreitete: "Kommen Sie nicht!", rief sie den Menschen in Guatemala bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Staatspräsident Alejandro Giammattei zu. "Die USA werden weiterhin ihre Gesetze durchsetzen und ihre Grenzen sichern. Und ich glaube, wenn Sie an unsere Grenze kommen, wird man sie abweisen."
Tatsächlich hießen die Migrationsgesetze der USA Immigranten alles andere als willkommen, meint der Migrationsexperte David J. Bier vom parteiunabhängigen Think-Tank Cato Institute in Washington. "Die Politik der Biden-Regierung sieht vor, Asyl so weit wie möglich einzuschränken", schreibt er der DW auf Nachfrage.
Starke Signale zur Amtseinführung
Im letzten Präsidentschaftswahlkampf in den USA hatte der spätere Wahlsieger Joe Biden bei vielen Wählern, aber auch Menschen in Lateinamerika, die Hoffnung geweckt, dass das Weiße Haus unter seiner Führung mehr Migration zuzulassen würde. Und zunächst schien er zu liefern.
Noch am Tag seiner Amtseinführung legte Biden los: Er stoppte den Mauerbauer an der Grenze zu Mexiko und schaffte den "Muslim Ban" ab, mit dem Donald Trumps Regierung Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern die Einreise in die USA verboten hatte. Kurz darauf öffneten die USA ihre Grenzübergänge für Zehntausende, die seit Monaten an der Grenze in Mexiko ausgeharrt hatten und ermöglichte ihnen damit, Asylanträge zu stellen.
Migranten weiter unerwünscht
Auch die äußerst umstrittene Abschreckungstaktik, Kinder illegaler Immigranten von Ihren Eltern zu trennen, schaffte Biden ab und veranlasste die Zusammenführung der Familien. Ebenso setzte der neue Präsident das sogenannte Dreamer-Programm von Präsident Barack Obama wieder in Kraft. Es gibt jungen Menschen, die als Kinder von ihren Eltern illegal in die USA gebracht wurden und dort aufgewachsen sind, eine Chance auf dauerhafte Aufenthaltstitel.
Die kontroversesten Dekrete seines Amtsvorgängers Trump hat Joe Biden also wie angekündigt kassiert. Doch seither habe es nur noch ein paar wenige, kleinere Änderungen der Gesetzeslage gegeben, die die Einwanderung in die USA nicht entscheiden begünstigen, erklärt der Migrationsexperte Bier. Im Großen und Ganzen halte die neue US-Regierung am restriktiven Grenzregime ihrer - beiden - Vorgänger fest. Denn auch unter Barack Obama waren die USA keineswegs ein Land mit offenen Grenzen. Etwa drei Millionen illegale Immigranten schoben die USA in den acht Jahren ab, 1,5-mal so viele wie in den zwei Legislaturperioden von George W. Bush. "Mittlerweile werden wieder mehr Visa bearbeitet", sagt Bier, "aber das Immigrationssystem schottet die USA weiterhin stark ab."
Ein diplomatischer Paradigmenwechsel
Spätestens mit Harris' Rede in Guatemala dürfte die Hoffnung vieler Menschen Ernüchterung gewichen sein. Nicht zufällig ist sie in die beiden Länder gereist, die alle Menschen durchqueren müssen, die aus Lateinamerika auf dem Landweg in die USA gelangen wollen.
Dabei habe sie inhaltlich weder in Mexiko noch in Guatemala Überraschendes von sich gegeben, meint Indi-Carolina Kryg vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg: "Die neue US-Regierung hat schon früh deutlich gemacht, dass sie keine Einwanderung begünstigen will." Einen Paradigmenwechsel in der Politik erkennt Kryg dennoch: "Offenbar will sie das Problem aber anders angehen als ihr Vorgänger."
Partnerschaft statt Konfrontation und Abschottung
Harris' Auftreten in Mexiko und Guatemala zeuge davon, meint Kryg: "Sie reist nicht in die Nachbarländer, um ihnen zu drohen, sondern um Partnerschaften aufzubauen." In Mexiko sprach sie von einer Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen und stellte Arbeitsvisa für Menschen an der Grenze in Aussicht. Allein im April 2021 waren dort 178.000 Migranten eingetroffen. "Die USA brauchen die Arbeitskräfte aus Lateinamerika und es braucht mehr legale Wege zur Einwanderung", sagt Kryg.
Doch auch in den Herkunftsländern selbst wollten die USA die Lebensumstände verbessern, betonte Harris mehrfach. Kryg findet das durchaus glaubwürdig - nicht nur, weil die Regierung vier Milliarden US-Dollar dafür reserviert hat, sondern auch, weil das Geld möglichst direkt an die von Korruption, Kriminalität, Naturkatastrophen oder schierer Armut betroffenen Menschen fließen soll. Nicht zuletzt wohl, um herauszufinden, wie das Geld am besten angelegt wäre, traf sich Harris auch mit Menschenrechtsaktivisten und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft. "Das mag wie ein Nebenaspekt wirken", sagt Kryg, "er könnte aber noch bedeutsam werden."
Damoklesschwert: Verfall in alte Muster
Dass die neue Strategie alles andere als ein Selbstläufer ist, ist allerdings auch der US-Regierung klar. Die Probleme könnten nicht "über Nacht" gelöst werden, sagte Harris bei ihrem Treffen mit Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Die Staaten der Region sind von Korruption auf allen Ebenen durchsetzt. Und viele Regierungschefs scheren sich wenig um internationalen Druck: "Zentralamerikanische Regierungen scheinen sich heute so wohl damit zu fühlen, Washington zu ignorieren oder sogar offen herauszufordern, wie zu keiner anderen Zeit, an die ich mich erinnere", schreibt Brian Winter, Chefredakteur des Polit-Magazins "America's Quarterly" in einer Kolumne.
Dies hilft nicht gerade bei einer der grundlegenden Aufgabe, der sich die US-Regierung stellen will: dem Kampf gegen Korruption und der Stärkung demokratischer Institutionen. "Dieser langwierige Prozess birgt die Gefahr, dass die US-Regierung darüber die Geduld verliert und Maßnahmen ergreift, um kurzfristig sichtbare Erfolge zu erzielen", sagt GIGA-Forscherin Kryg. Und dies hieße dann wohl wieder vor allem: Grenzen schließen.