Illegale Migration: Null Hoffnung in Honduras
26. März 2021"Sie ertrinken, verdammt. Habt Ihr keine Schwimmwesten? Nichts? Sie ertrinken, die beiden" - ruft ein Fischer verzweifelt den US-amerikanischen Grenzpolizisten am Río Bravo zu. Doch die bleiben nur wie angewurzelt stehen. Die Frau und der Jugendliche aus Honduras schreien um ihr Leben, doch sie schaffen es nicht. Später werden ihre Leichen am Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA angeschwemmt.
Das Video, das seit dieser Woche in allen honduranischen Medien kursiert, erschüttert das mittelamerikanische Land. Aber nur die wenigsten hält es davon ab, es trotzdem auf den Weg nach "El Norte", ins Land ihrer Träume, zu versuchen. 300 Menschen machen sich Tag für Tag auf, marschieren allein mit den nötigsten Habseligkeiten die 2500 Kilometer von der Hauptstadt Tegucigalpa ins mexikanische Matamoros und zahlen dann Tausende von US-Dollar an die "Coyotes", wie die Schleuser hier genannt werden.
Schließlich ist für viele der knapp zehn Millionen Einwohner von Honduras alles besser als zu Hause zu bleiben. Weil sie in einem Land ohne große Perspektive leben, aufgerieben durch wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit und Korruption, Drogenhandel und brutale Gangs.
Zwei von drei Honduranern leben unterhalb der Armutsgrenze
Über 100.000 Menschen haben im Februar versucht, illegal die Grenze zu den USA zu überqueren, nie waren es in den vergangenen zwei Jahren mehr. 4000 Menschen werden täglich an der Grenze festgenommen, die Anzahl der Minderjährigen, die in US-amerikanischen Lagern ausharren, hat sich von rund 3500 im Februar 2020 auf knapp 9500 im vergangenen Monat beinahe verdreifacht. Viele von ihnen sind aus Honduras.
"Das entscheidende Motiv, warum die Menschen von hier fliehen, sind wirtschaftliche Gründe. Jede dritte Familie hier sagt, dass Arbeitslosigkeit ihr größtes Problem sei", sagt Richard Barathe, "und dann haben viele durch die verheerenden Wirbelstürme in Honduras Ende 2020 ihr Haus verloren. Wenn man vor der Wahl steht, obdachlos in der Heimat zu sein oder den Weg in die USA mit all seinen Risiken auf sich zu nehmen, entscheiden sich einige für letzteres."
Der Franzose hat schon viel gesehen auf der Welt, er hat bereits in Afrika, Asien und New York gearbeitet. Vielleicht ist sein aktueller Job, Chef des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP in Honduras, die größte Herausforderung. Denn Honduras, sagt Barathe, gehört zu den Ländern mit der größten sozialen Ungleichheit in Lateinamerika, schon vor der Corona-Pandemie lebten zwei von drei Menschen unter der Armutsgrenze.
Falsche Versprechen der Schleuser
Barathe ist jemand, der unermüdlich gegen das negative Image von Honduras ankämpft. Er verweist auf die Mordrate, die sich in den vergangenen acht Jahren von 86 auf rund 43 je 100.000 Einwohner halbiert hat. Und die Ungerechtigkeit, dass ein Land, welches nur für 0,1 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, mit Dürren, Wirbelstürmen und tropischen Gewittern aber zu den am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern weltweit gehört.
"Viele haben Familienangehörige, die es bereits irgendwie in die USA geschafft haben und wollen ihnen nachfolgen", sagt der UN-Experte. Und was ist mit dem Regierungswechsel in den USA von Donald Trump zu Joe Biden? Hat der neue US-Präsident nicht auch mit der Ankündigung einer humaneren Flüchtlingspolitik die jüngsten Karawanen befeuert?
Ja und nein, antwortet Richard Barathe. "Biden hat klare Signale gesendet, dass die Menschen nicht kommen sollen und er stattdessen Länder wie Honduras beim Kampf gegen die illegale Migration vor Ort unterstützen will. Aber andererseits grassierten in den sozialen Medien die Falschinformationen von den Schleusern, jetzt sei der richtige Moment für die Flucht."
"Feminisierung der Migration"
Wer noch mehr über die Beweggründe der Honduraner für ihre Flucht gen USA wissen will, muss mit Ana Ortega sprechen. Sie arbeitet für die UN-Menschenrechtsbehörde in Honduras und berät die Friedrich-Ebert-Stiftung in Migrationsfragen. Ortega sagt: "Wir können in Honduras nicht von einer freiwilligen Auswanderung sprechen. Angesichts der Lebensverhältnisse mit Armut, Ungleichheit und Gewalt trifft es das Wort Vertreibung eher."
Und diese Gewalt richtet sich immer mehr gegen Frauen. Fast jeden Tag geschieht in Honduras ein Femizid, weshalb jetzt vor allem Frauen ihre Sachen packen. Von den über 800.000 Menschen, die Honduras in 2019 verließen, waren mehr als 470.000 Frauen, die Verteilung hat sich komplett gedreht. "Wir sprechen deswegen auch von einer Feminisierung der Migration. Zum einen ist da die Gewalt, zum anderen haben die Frauen oft schon den Part der Familienversorgerin übernommen", so Ortega.
In mehr als vier von fünf Fällen der Auswanderung heißt das Ziel dann USA. Weil der Dollar lockt: 2020 betrugen die "Remesas", die Rücküberweisungen nach Honduras, satte vier Milliarden Dollar, fast ein Fünftel des honduranischen Bruttoinlandsproduktes. "Das Land kann ohne die 'Remesas' nicht überleben. Seit 30 Jahren ersetzen sie quasi den Staat", sagt Ana Ortega, "die Migration ist somit zu einer Art Lebensstrategie für viele Familien geworden. Und die Wirtschaft würde ohne die 'Remesas' zusammenbrechen."
USA verschieben Grenzkontrollen immer weiter Richtung Süden
Dabei ist die Auswanderung von Tag zu Tag schwerer geworden, die UN-Mitarbeiterin spricht von einer "Externalisierung der Grenze Richtung Süden". Zunächst hätten die USA durch politischen Druck dafür gesorgt, dass viele Migranten bereits an der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala aufgehalten würden. Jetzt gibt es scharfe Grenzkontrollen schon zwischen Guatemala und Honduras, sie machen den Weg in die USA immer komplizierter.
Fragt man Ana Ortega nach der Strategie von Honduras, die Migration einzudämmen, fällt sie in ein zynisches Lachen. "Dazu müssten die Regierungen die Lebensbedingungen hier ändern, damit die Menschen bleiben. Doch das einzige, was ihnen einfällt, sind Kampagnen, welche die Menschen vor den Gefahren auf den Fluchtwegen warnen. Als ob sie das nicht längst schon wüssten."
So werden auch in Zukunft Bilder von ertrinkenden Landsleuten im Río Bravo und US-Grenzpolizisten, die dabei nur zuschauen statt zu helfen, die Honduraner vielleicht kurz aufschrecken. Von einer Flucht abhalten werden sie sie nicht. Ortega, die sich sonst zu den größten Kritikerinnen der US-Migrationspolitik zählt, verurteilt das, sagt aber auch: "Mit welcher moralischen Autorität können wir von den USA verlangen, an der Grenze die Menschenrechte zu respektieren, solange wir das in unserer Heimat nicht hinbekommen?"