Pop Art in Deutschland
26. Mai 2015Als sich Arnold Bode, Chef der documenta in Kassel, entschieden hatte, 1959 einen der ersten amerikanischen Pop Art-Künstler in der Internationalen Kunstschau Documenta II auszustellen, gab es den Begriff "Pop Art" in Europa noch gar nicht. Aber die wilden "Combine Paintings" von Robert Rauschenberg, auf denen er lauter Restmaterial aus seinem Atelier eingearbeitet hatte, erschienen Bode dann doch zu provokativ. Die Zeit war noch nicht reif.
Eins der großformatigen Bilder - ein ungemachtes Bett im Hochformat - verschwand vorsichtshalber im Büro seines jungen Generalsekretärs Rudolf Zwirner, der wenig später einer der wichtigsten Galeristen für amerikanische Pop Art-Künstler werden sollte. Aufschlußreiche Dokumente aus dieser Zeit - Rechnungen, Briefwechsel, Postkarten und Fotos - sind in einer historisch spannenden Ausstellung im Zentralarchiv des Kunsthandels in Köln derzeit zu sehen.
Suppendosen sind plötzlich Kunst
Rauschenberg gehörte mit Jasper Johns, Claes Oldenburg, Mel Ramos und Andy Warhol zu den Pionieren der Pop Art in Amerika. Schon Mitte der 1950er Jahre hatten die amerikanischen Künstler begonnen, profane Alltagsgegenstände in ihre Kunst zu integrieren: Flaschen, Suppendosen, ausgestopfte Tiere, Zeitungsausschnitte, ausgerissene Comics, auch mal ein geklautes Verkehrsschild. Aber in Deutschland kannte zu der Zeit kaum jemand diese Künstlernamen.
Eine der ersten Ausstellungen mit Arbeiten von Rauschenberg und Jasper Johns kam 1963 als Übernahme vom New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) nach Deutschland. Die Reaktion des deutschen Publikums war extrem ablehnend, die Kunstkritik gespalten. Aber junge Künstler griffen Ideen und Motive der Pop Art auf, erzählt der Maler Konrad Klapheck: "Plötzlich war es erlaubt, auch wieder gegenständlich zu arbeiten – frei nach den Suppendosen von Warhol oder den Plastiken von Segal oder Rauschenberg, wo echte Toilettenschüsseln oder Frisierspiegel integriert waren."
Galeristen besuchen Künstler in New York
Aber erst risikofreudige, jüngere deutsche Galeristen brachten die amerikanische Pop Art mit Einzelausstellungen groß raus. Im Herbst 1963 flogen deutsche Galeristen, Museumsleute, Kuratoren und Kunstsammler nach New York, um sich drei Wochen lang in Ateliers und der amerikanischen Kunstszene umzusehen. Eine völlig neue Bilderwelt tat sich für alle auf.
Der Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela kaufte spontan bei Leo Castelli, einem der einflußreichsten New Yorker Galeristen, sein erstes Rauschenberg-Bild. "Den hat er bar bezahlt und dann gerollt unterm Arm im Flugzeug transportiert. Damals waren die Transportkosten nach Europa für Kunst immens hoch, der Dollarkurs stand 1:4", erzählt der Leiter des Zentralarchivs des Deutschen Kunsthandels, Günter Herzog, im DW-Gespräch.
Publikumsproteste in Deutschland
Im Dezember 1963 konnte Schmela in seiner Galerie die erste Einzelausstellung von George Segal in Deutschland eröffnen. Die sperrigen Arbeiten ließ er aus Paris bei der Galeristin Ileana Sonnabend abholen. Einen Transport aus Übersee hätte er sich nicht leisten können. Sonnabend war die geschiedene Frau von Leo Castelli und hielt damals eisern das Monopol für den Vertrieb der amerikanischen Pop Art-Künstler in Europa.
Der Galerist Rudolf Zwirner zog dann im März 1964 mit einer Einzelausstellung des Pop-Art-Künstlers Jim Dine in Köln nach. Der Kölner war einer der ersten, der später im großen Stil amerikanische Pop Art auf den New Yorker Auktionen einkaufte, obwohl es in Deutschland dafür noch keinen Markt und wenig aufgeschlossenes Publikum gab.
Die Wende: Amerikanische Pop Art erobert Deutschland
Erst im Jahr des 1. Kölner Kunstmarktes 1967 änderte sich die Grundstimmung in Deutschland: Auf einmal war amerikanische Pop Art sehr gefragt, die Preise schnellten in die Höhe. Deutsche Galerien rissen sich um die amerikanischen Künstler. Tom Wesselmanns Gemälde "Great American Nude" (Foto), das der deutsche Galerist Rolf Ricke noch für 5000 Mark in New York gekauft hatte, ging wenig später für 75.000 Mark über die Ladentheke der Galerie.
Nur ein Jahr später, 1968, stand die Pop-Art-Kunstsammlung des New Yorker Finanzmaklers Leon Kraushar zum Verkauf. Es handelte sich um 188 hochkarätige Werke, darunter allein 37 Warhols, 27 Objekte von Claes Oldenburg und 22 Bilder von Roy Lichtenstein. Für 1,7 Millionen Mark kamen sie nach Deutschland, in die Sammlung des Industriellen Karl Ströher. Eine Sensation. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" widmete dem Kunstverkauf sogar eine Titelgeschichte: "Der Darmstädter Shampoo-Fabrikant reiste in geheimer Sache nach New York. Zwei Tage nach seiner Ankunft war Karl Ströher, 77, der größte Pop-Art-Sammler der Welt."
In ganz Europa beeilten sich jetzt die großen Museen, von der Tate Gallery London bis zur Kunsthalle Bern, amerikanische Künstler auszustellen. Auf der vierten documenta in Kassel 1968 waren bereits alle wichtigen amerikanischen Pop-Art-Künstler vertreten. Die Pop Art war in Deutschland angekommen.