Der deutsche Blick auf Hitler und den Nationalsozialismus
24. September 2024Die erste offizielle Hitler-Büste stammt aus dem Jahr 1932. Angefertigt hat sie die Bildhauerin Hedwig Maria Ley - noch bevor Adolf Hitler an die Macht kommt. Die Partei NSDAP macht sie zum Vorbild für spätere Abbildungen Hitlers. Bei Kriegsende vergräbt Ley die Büste zunächst im Garten und schenkt sie 1967 einem Handwerker. In dessen Haus bekommt sie einen Ehrenplatz. Im Wohnzimmer auf dem Kamin steht sie weitere zwanzig Jahre.
Jetzt ist die Büste in einer Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn über die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu sehen.
Gleich neben der Büste ein übermaltes Porträt von Hitler. Bis 1945 hing das Bild in der Stadtverwaltung von Frankfurt am Main. Unter der weißen Farbe schimmern noch Gesichtszüge Hitlers durch. Wer es überstrichen hat und warum, ist nicht bekannt. Niemand hat das Gemälde endgültig entsorgt. Vielleicht, weil "der große Führer" nicht im Müll landen sollte?
Meistens nur "Mitläufer"
Die Haltung, den früheren Diktator "wegzuwischen", haben viele Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg, so werden beispielsweise die "Adolf-Hitler-Straßen" schnell umbenannt. Die erwachsene Generation, die den Krieg überlebt hat, ist damit beschäftigt, ihr eigenes Leben zu organisieren - Häuser aufzubauen, Essen zu besorgen, um die Angehörigen zu trauern. Über ihre eigene Rolle im Dritten Reich sprechen die Männer und Frauen nicht. Ungerne füllen sie Fragebögen zur Entnazifizierung aus, die meisten betrachten sich nur als "Mitläufer". Der statistische Deutsche dieser Generation macht Hitler, Goebbels und Göring für den Krieg und die Verbrechen verantwortlich und spricht sich selbst von Verantwortung frei.
Niemand bekennt sich öffentlich schuldig und viele Naziverbrecher machen eine neue Karriere in der Bonner Republik. Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen übernehmen zunächst die Alliierten. Filme über die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager werden mancherorts zu Pflichtvorführungen für Deutsche.
Anders in der DDR. Dort propagiert die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) den antifaschistischen Gründungsmythos. "Die Nazis gibt es nur im Westen", behauptet die SED. Wer den sozialistischen Staat anerkennt, wird von der Schuld befreit.
"Die Juden wurden zu Recht verfolgt"
Die Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte zeigt, wie sich vier Generationen von Deutschen seit fast 80 Jahren mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Jede von ihnen ist in einen für ihre Zeit typischen politischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Dokumentarfilme, Zeitungsartikel, Fotos und Umfragen machen den Zeitgeist der jeweiligen Generation anschaulich.
So befragt 1962 ein Fernsehreporter Passanten über Juden. Die Menschen sagen ihm offen ins Mikrofon, dass "Juden nicht in der Bundesregierung sein sollten", dass "es zu viele von ihnen in der BRD gibt" oder gar, dass "sie zu Recht verfolgt wurden". Diese Aussagen stammen von Vertretern und Vertreterinnen der Tätergeneration - nur etwa 17 Jahre nach dem Ende der unmenschlichen Gräueltaten der Nationalsozialisten.
Nie mehr zurückgekehrt
Auch den Opfern widmet man in der Ausstellung viel Platz. Eine unscheinbare kleine bräunliche Fahrkarte gehörte Erna Meintrup. Sie hat das Lager Theresienstadt überlebt, das als Sammel- und Durchgangslager im nationalsozialistischen Konzentrationslagersystem diente, und kehrte in ihre Heimatstadt Münster zurück. Über ihre Haft sprach sie jedoch nicht - wie viele Verfolgte.
Es gibt auch ein Fahrrad eines jüdischen Jungen, der es einem Freund zur Aufbewahrung überließ. Erst 2007 gibt dieser Freund - inzwischen ein älterer Herr - das Fahrrad in einem Trödelladen ab. So viele Jahre hat er vergeblich auf die Rückkehr seines Freundes gewartet.
Gleich daneben ein Koffer voller Dokumente und Erinnerungsstücke. Das ist alles, was von einer jüdischen Familie aus Regensburg übriggeblieben ist. Den Koffer bewahrte eine Angestellte der Familie auf und legte die Briefe, die die Familie aus dem Ghetto vor ihrer Ermordung geschrieben hatte, dazu.
Hunderte von Geschichten
Wie die Ausstellungsmacher betonen, wollten sie sich dem Thema nicht von der Seite der großen Politik nähern. "Sondern durch Objekte, die viele persönliche Geschichten erzählen. Rund 500 Objekte veranschaulichen, wie sich die verschiedenen Generationen mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben und miteinander gestritten haben", sagt Prof. Dr. Hanno Sowade, Kurator der Ausstellung.
Ein Teil ist der Generation gewidmet, die als junge Erwachsene ab den 1960er Jahren das gesellschaftliche Leben prägt und ihre Eltern kritisch nach ihrer Rolle im Dritten Reich fragt. Besonders die "68er" demonstrieren laut und klagen Täter juristisch und moralisch an.
Doch auch dann ist die - toxische - Erinnerung an Hitler noch lebendig: 1965 zerstören unbekannte Täter Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Bamberg. Fünf Jahre später verüben nicht identifizierte Täter in München einen Brandanschlag auf ein Altenheim der jüdischen Gemeinde und töten sieben Bewohnerinnen und Bewohner - Überlebende des Holocaust . Dies sind nur zwei Beispiele von hunderten antisemitischer Übergriffe in Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren.
Die nächste Generation - die westdeutsche Enkelgeneration - wächst in den 1980er und 1990er Jahren auf, in einer Zeit der Krisen, des Systemwandels und des wachsenden Umweltbewusstseins.
Die US-Serie "Holocaust" schauen 1979 zwanzig Millionen Bundesbürger ab vierzehn Jahren. Zehntausende melden sich nach der Ausstrahlung beim Fernsehsender. Meistens sagen sie, der Film habe ihnen die Augen geöffnet, aber es kommt auch vor, dass jemand sagt: "Man hätte alle Juden umbringen sollen".
1995 wird die sogenannte Wehrmachtsausstellung unter dem Titel "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in Hamburg eröffnet und löst ähnliche Kontroversen aus - denn sie zerstört endgültig den Mythos der "sauberen Wehrmacht", an dem zahlreiche Menschen auch ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende noch festhalten.
Hitler ist nicht verschwunden
Angehörige der vierten Generation sind nach der Wiedervereinigung geboren. Viele von ihnen stammen aus Einwanderungsfamilien und haben keine familiären Bezüge zum Nationalsozialismus. Immer seltener treffen sie Zeitzeugen und die Kranzniederlegungen an Gedenkstätten sind für sie unverständliche Rituale. Stattdessen haben sie in der digitalen Welt viele Möglichkeiten, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.
"Dennoch verstehen viele junge Menschen die Geschichte des Nationalsozialismus zunehmend als Warnung für die Gegenwart. Sie demonstrieren gegen Rechtspopulismus und gedenken der Opfer rechtsextremer Gewalt", betonen die Macher der Ausstellung in Bonn.
Sie zeigen aber auch die Kehrseite der Medaille: Im Sommer 2023 setzte ein Rechtsextremist die "BücherboXX" nahe dem Mahnmal "Gleis 17" in Berlin-Grunewald in Brand . Die umgebaute Telefonzelle, die Literatur zum Nationalsozialismus sowie eine Audiostation mit Ausschnitten aus Anne Franks Tagebuch und hebräischen Liedern enthielt, sollte an die Deportation tausender Juden in die Vernichtungslager erinnern.
Die Auseinandersetzung der Deutschen mit dem Nationalsozialismus hat auch fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Aktualität nicht verloren - das macht die Ausstellung schnell deutlich. Mit dem Erstarken rechtsextremer Parteien wird dieses Thema wichtiger denn je.
Denn Hitler ist nicht verschwunden. Wie auf dem übermalten Porträt, auf dem sein Konterfei immer noch zu erkennen ist.
Die Ausstellung "Nach Hitler. Die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus" bis zum 26. Januar 2026 in Haus der Geschichte Bonn (Eintritt frei).
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Polnisch. Bearbeitung: Silke Wünsch