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Wie der Fußball Brücken baute

Felix Tamsut
20. Oktober 2021

Zweimal innerhalb von sechs Tagen stehen sich die Frauen-Nationalteams Israels und Deutschlands in der WM-Qualifikation gegenüber. Der Fußball wirkte nach dem Weltkrieg als Katalysator in den Beziehungen beider Länder.

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Tel Aviv | Israel - Deutschland 0:2 - Kapitän Lothar Matthäus |  DFB Länderspiel
Ex-Nationalmannschaftskapitän Lothar Matthäus (l.) beim Wimpeltausch vor dem Freundschaftsspiel gegen Israel 1987Bild: imago sportfotodienst

Nach dem ersten Spiel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen Israel in Petach Tikwa nahe Tel Aviv, das die DFB-Elf mit 1:0 für sich entschied, folgt am kommenden Dienstag in Essen (Anstoß um 16.05 Uhr) das Rückspiel - dabei geht es nur um einen Platz bei der Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland. Spiele, bei denen Deutsche und Israelis gemeinsam auf dem Platz stehen, dienten nach dem Zweiten Weltkrieg aber stets einem höheren Zweck: Sie trugen entscheidend dazu bei, dass die beiden Länder nach dem Holocaust ein Verständnis füreinander entwickelten.

Heute spielen Israelis in Deutschland und Deutsche in Israel Fußball. Vereine und nationale Auswahlen beider Staaten treffen regelmäßig aufeinander. Drei deutsche Bundesligisten haben offizielle Fanclubs in Israel: Bayern München, Borussia Dortmund und der FC Augsburg. Auch die deutsche Nationalmannschaft hat ihren eigenen offiziellen Fanclub im jüdischen Staat.

Um an diesen Punkt zu gelangen, bedurfte es jahrzehntelanger Fortschritte, vor allem was die Wahrnehmung Deutschlands bei den Israelis angeht, und der Fußball trug seinen Teil dazu bei.

Versuch, sich zu rehabilitieren

"In den 1960er Jahren gab es ein großes Interesse der westdeutschen Politiker, die Beziehungen zu Israel auszubauen, um das Land als demokratische Gesellschaft zu rehabilitieren", sagte Dr. Jenny Hestermann, Expertin für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, der DW. "Dies geschah nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch durch die Zusammenarbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen."

Konrad Adenauer und David Ben-Gurion 1960 in New York
Die damaligen Regierungschef David Ben-Gurion (l.) und Konrad Adenauer 1960 bei einem Treffen in New York Bild: picture-alliance/dpa

Auch die israelische Regierung habe ein Interesse an den Beziehungen gehabt, so Hestermann, allerdings eher aus pragmatischen Gründen, da Israel ein junger Staat war, der in erster Linie um sein Überleben kämpfte, und nicht um eine Aussöhnung. Die israelische Öffentlichkeit, die zum größten Teil aus Holocaust-Überlebenden bestand, setzte damals Deutschland immer noch mit den Nazis gleich und mit dem Massenmord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs.

In jenen Tagen führte jede Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland zu Protesten, öffentlichen Diskussionen und, zumindest in einem Fall, zu einem versuchten Terroranschlag: Im Oktober 1952 wurde im israelischen Außenministerium ein Mann verhaftet, der einen Sprengsatz in der Tasche trag. Zuvor war bekannt geworden, dass Israel mit der Bundesrepublik Verhandlungen über ein Wiedergutmachungsabkommen aufgenommen hatte.

Hoeneß und Breitner in Israel

Zu den Mitteln, die die westdeutsche Regierung einsetzte, um die israelische Öffentlichkeit und die politischen Führer des Landes zu umwerben, gehörte auch der Fußball. Doch erst im November 1968, zwei Jahrzehnte nach der Gründung des Staates Israel, reiste erstmals eine westdeutsche Nationalmannschaft nach Israel: Ein Team von U19-Junioren unter der Leitung von Trainerlegende Udo Lattek absolvierte im Wingate-Institut in der Nähe von Tel Aviv ein Trainingslager für das UEFA-Jugendturnier 1969 in Leipzig.

Junge Stars wie Uli Hoeneß und Paul Breitner verbrachten drei Monate in Israel und beendeten die Reise mit einer Reihe von Freundschaftsspielen gegen lokale Mannschaften. Die Partien fanden vor leeren Rängen statt, vor den Toren protestierten einige Demonstranten gegen den Aufenthalt der deutschen Mannschaft in Israel.

Israel | Mannschaftsbild | Fußball WM
Israels Nationalmannschaft, die 1970 bei der Weltmeisterschaft in Mexiko antratBild: Imago Images

1969 spielten Latteks Junioren in Deutschland gegen die israelische Nationalmannschaft, die sich in der Sportschule Hennef auf die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko vorbereitete. Unter den Zuschauern waren hochrangige Vertreter beider Länder, anschließend gab es einen Empfang für das israelische Team im Bundesinnenministerium in Bonn.

"Sie wussten nichts darüber, ich auch nicht"

Mit dabei war Nationalspieler Yochanan Vollach, ein Israeli mit deutschen Wurzeln. Die deutschen Regierungsvertreter hätten sich Sorgen gemacht, ob das israelische Team die Einladung zu dem Empfang überhaupt annehmen würde, erinnert sich der heute 76-Jährige im Gespräch mit der DW. "Wir waren die erste Generation, die nach dem Holocaust geboren wurde, und die Deutschen wollten sehen, wie wir reagieren würden", sagt Vollach. Die Veranstaltung sei ein Erfolg gewesen. "Sie waren überrascht, wie gut wir uns benommen haben. Sie haben nicht geglaubt, dass wir Fußballer sind."

Vollach wurde 1945 im damaligen Palästina geboren. Seine Eltern waren kurz vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland geflohen, was Yochanan in den Augen der Israels zu einem "Yeke", einem deutschen Juden, machte. Als Vollach elf Jahre alt war, begleitete er seinen Vater auf einer mehrmonatigen Reise nach Niedersachsen. Sein Vater fahndete dort nach den Besitztümern, die seine Familie während des Holocausts verloren hatte. Der Junge nutzte die Zeit, um mit einheimischen Kindern zu kicken.

"Niemand von ihnen sprach damals mit mir über den Zweiten Weltkrieg oder ähnliches. Wir waren einfach Kinder, die Fußball spielten. Sie wussten nichts darüber. Ich auch nicht", sagt Vollach. "Wenn du gut im Fußball bist, wird alles einfacher." Bei Hapoel Haifa wurde Vollach später zu einer israelischen Fußballlegende. Zweimal gewann er mit dem Klub den israelischen Pokal. Vollach war auch 1970 in Mexiko dabei, dem bisher einzigen Auftritt Israels bei einer Fußball-WM. Das Team schlug sich achtbar, musste aber nach zwei Unentschieden und einer Niederlage als Letzter seiner Vorrunde die Heimreise antreten.

Wichtige Freundschaft zwischen zwei Trainern

Nationaltrainer zu jener Zeit war Emmanuel Scheffer, der als er einer der prominentesten Mittler im Sport zwischen Israel und Deutschland galt. Scheffer war 1924 in Polen geboren worden, kurz danach war seine Familie in den Südwesten Deutschlands gezogen. Scheffer hatte den Holocaust überlebt, als einziges Familienmitglied.

Trainer Emanuel Schaffer (Israel) im Trainingslager der Israelis in Hennef
Israels Nationaltrainer Emmanuel Scheffer bei einem Trainingslager in Hennef Bild: Horstmüller/imago image

1958 - sieben Jahre bevor Israel und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufnahmen - nahm Scheffer an einem Trainerkurs der Deutschen Sporthochschule in Köln teil. "Nachdem Westdeutschland 1954 die Weltmeisterschaft gewonnen hatte, hielt er sie für die Besten, und als Perfektionist musste er dorthin gehen", sagte sein Sohn Eran 2014 der israelischen Zeitung "Haaretz": "Er trennte zwischen Fußball und der Vergangenheit."

Scheffer wurde von der deutschen Trainerlegende Hennes Weisweiler unterrichtet und später von den Teilnehmern zu einem der beiden Besten des Kurses gewählt. Der andere war der spätere legendäre niederländische Trainer Rinus Michels.

Die Freundschaft, die sich während des Trainer-Lehrgangs zwischen Scheffer und Weisweiler entwickelte, war der Katalysator für eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen dem israelischen und dem deutschen Fußball. Weisweilers damalige Meister-Mannschaft Borussia Mönchengladbach reiste als erster deutscher Spitzenverein nach Israel und trat kurz vor der WM 1970 zu einem Testspiel an. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass Weisweiler 1972 Shmuel Rosenthal als ersten israelischen Spieler nach Mönchengladbach in die Bundesliga holte.

Trainer Hennes Weisweiler | Sporthochschule Koeln | Rainer Ohlhauser
Freundschaft zwischen Lehrer und Schüler: Hennes Weisweiler (l.) und Emmanuel SchefferBild: Horstmüller/imago images

Der frühere israelische Nationaltorhüter Itzhak Vissoker bezeichnete den 2012 verstorbenen Scheffer als "taktisches Genie". Er habe "die deutsche Disziplin in den israelischen Fußball gebracht". Das bestätigt auch Ex-Nationalspieler Vollach: "Er war ein harter Mann", sagte Vollach der DW. "Aber ich habe niemanden erlebt, der den Fußball so gut verstand wie er."

Fußball als Schlüssel zum Wandel der Beziehungen

Der Fußball blieb ein wichtiger Faktor bei der Annäherung zwischen Deutschland und Israel. 1987 standen sich in Tel Aviv die Nationalmannschaften beider Länder beim ersten von inzwischen vier Freundschaftsspielen gegenüber. Zehn israelische Fußballer sind in der Bundesliga aufgelaufen, vier deutsche in der Ligat Ha'al, der ersten israelischen Liga. Die israelische Nationalstürmerin Sharon Beck spielt derzeit für den Frauen-Bundesligisten 1. FC Köln.

Fußball Bundesliga | Frauen | 1. FC Köln - FC Bayern München
Sharon Beck (2.v.l.), Bundesliga-Spielerin des 1. FC Köln, ist Verteidigerin im israelischen NationalteamBild: BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl/picture alliance

Seit dem Beitritt Israels zur UEFA im Jahr 1992 haben mehrere israelische Mannschaften gegen deutsche Vereine gespielt, zuletzt Männer-Bundesligist Union Berlin gegen Maccabi Haifa Ende September.

Für Ex-Nationaltorwart Vissoker hat der Fußball eine wichtige Rolle dabei gespielt, das Verständnis füreinander zu fördern, sowohl bei Deutschen als auch bei Israelis. "Wir trugen die schwere Last des Holocausts. Durch diese Spiele hat man verstanden, dass die auf der anderen Seite auch Menschen sind", sagt Vissoker. Sein früherer Teamkollege in der Nationalmannschaft, Yochanan Vollach, stimmt zu: "Ich bin sehr froh, dass die Versuche der Deutschen, aufgrund ihrer Schuldgefühle die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu stärken, erfolgreich waren."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.