Bundeskanzlerin Merkel: Abschied von Israel
9. Oktober 2021Während in Berlin die Sondierungsgespräche für eine neue Regierung weitergehen, ist Bundeskanzlerin Angela Merkel in Israel eingetroffen. Ihren ursprünglich geplanten Besuch Ende August hatte sie wegen der Ereignisse in Afghanistan kurzfristig absagen müssen.
Das ursprüngliche "Arbeitstreffen" - um die neue israelische Regierung kennen zu lernen - wird nun, da sie zum wahrscheinlich letzten Mal kommt, zu einem richtigen Abschiedsbesuch für die Kanzlerin.
Am Sonntag trifft sie den neuen israelischen Ministerpräsident Naftali Bennett, und ihr zu Ehren wird sich das gesamte israelische Kabinett im King David Hotel in Jerusalem versammeln. Auch ein erneuter Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist geplant.
Merkels nahender Abschied von der politischen Weltbühne wird auch in Israel mitverfolgt. Zwar gab es auch Phasen, in denen es Kritik und Lob gab, etwa im Hinblick auf ihre Flüchtlingspolitik 2015. Allgemein wird sie als "wahre und enge Freundin Israel" sehr geschätzt.
Das spiegelt sich auch in Reaktionen wider, die man auf dem Tel Aviver Carmel Markt zu hören bekommt. "Ich denke sie war gut für Israel, und natürlich gut für Deutschland," sagt eine Kundin. In einem nahegelegenen Café sagt Alina Mejubovsky: "Wow, ja, sie hat diesen besonderen Stil, ich mag sie sehr. Sie ist eine richtig starke Frau." Ein anderer junger Passant, Aviv Anbar, sagt, er habe ihre Politik nicht aus der Nähe mitverfolgt, aber "von deutschen Freunden habe ich mitbekommen, das sie viele gute Sachen gemacht hat. Und ich finde es gut, dass Frauen ganz vorne stehen. Ich war glücklich, dass sie da war, und bin traurig, dass sie geht."
Deutsch-Israelische Beziehungen vertieft durch Merkel
Für Angela Merkel wird es der siebte Besuch in Israel in ihrer Amtszeit. Zwölf der 16 Jahre hatte sie es dabei mit Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident zu tun, der jetzt Oppositionsführer geworden ist. Die besonderen Beziehungen beider Länder waren eng, wurden aber manchmal auch als "etwas komplex" zwischen beiden Politiker bezeichnet.
Politische Beobachter weisen dabei auf Netanjahus Umgang mit der Europäischen Union hin, der innereuropäische Spannungen für sich nutzen wollte. Oder aber auf Differenzen über den Siedlungsbau Israels in besetzten palästinensischen Gebieten. Doch Merkels unerschütterliche Unterstützung Israels und die engen Beziehungen beider Länder standen dabei nie in Frage.
Die Meinung über die deutsche Bundeskanzlerin habe sich über die Jahre verändert in Israel. "80 Prozent der politischen 'Mitte' hatten Gründe, sie zu mögen," sagt Ofer Ashkenazi, Direktor des Richard-Koebner-Minerva-Zentrums für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Viele zionistisch-linke Israelis sähen in ihr "ein Vorbild einer Führungspersönlichkeit, die entschieden, aber auch mitfühlend sein kann, die für Werte steht und bei der es nicht um den politischen Selbsterhalt geht," sagt Ashkenazi. Dennoch gehe es dabei "mehr um ihre Aussagen, nicht so sehr um ihre Politik, die viele hier nicht unbedingt (im Detail) mitverfolgt haben."
Merkels "moralische Sensibilität"
In ihren ersten Amtsjahren war Ehud Olmert, Israels Ministerpräsident von 2006 bis 2009 und langjähriger Rivale von Benjamin Netanyahu, ihr politisches Gegenüber. In einem DW-Interview in Tel Aviv blickt Olmert auf die deutsch-israelischen Beziehungen in dieser Zeit zurück: "Es gibt viele historische Dimensionen dieser Beziehungen, die offensichtlich das gegenseitige Engagement der beiden Länder definieren. In Deutschland gibt es eine besondere Sensibilität gegenüber Israel. Und ich denke, Angela Merkel repräsentiert diese moralische Sensibilität mehr als jede andere Führungspersönlichkeit," so Olmert.
Auch in Bezug auf die Probleme in der Region und die palästinensische Frage habe es ein großes gegenseitiges Verständnis über die "grundlegenden Parameter" gegeben.
Die deutsch-israelischen Beziehungen definieren sich durch den Holocaust, in dem sechs Millionen Juden systematisch von Deutschen während des NS-Regimes ermordet wurden. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Mai 1965 sind die Beziehungen stetig gewachsen und enger geworden. Unter Ehud Olmert und Angela Merkel wurden die Beziehungen 2008 weiter vertieft und institutionalisiert durch regelmäßige Regierungskonsultationen, bei denen sich seitdem die israelischen und deutschen Kabinette jeweils in Jerusalem oder Berlin treffen.
Bedeutende Knesset-Rede 2008
Im gleichen Jahr feierte Israel auch das 60. Jahr seiner Staatsgründung, und Merkel war als erste deutsche Bundeskanzlerin eingeladen, eine Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, zu halten. Merkel hielt darin fest, dass es eine historische Verantwortung jeder deutschen Regierung, die "Staatsraison", sei, die Verantwortung für Israels Sicherheit zu tragen.
Die Rede gilt in Deutschland als prägend für die deutsch-israelischen Beziehungen und die Zeit von Angela Merkel. Israel habe mit allen vorherigen Bundeskanzlern und Präsidenten gute Beziehungen unterhalten, sagt Ehud Olmert. "Bei Angela Merkel gab es diese zusätzliche Dimension. Die Menschen mochten sie," sagt Olmert. "Es gab etwas in ihrer Haltung, die Art und Weise, wie sie Israel und die Probleme, mit denen Israel zu tun hat, angesprochen hat. Und ihre Persönlichkeit, Integrität, ihr Mitgefühl, ihre Entschiedenheit und ihr Führungsstil sind von großer Bedeutung."
Iran, Bilaterales - Themen des Besuchs
Eines der drängenden Themen auch bei diesem Besuch werden der Iran und sein Nuklearprogramm sein. Derzeit stecken die Gespräche über eine Neuauflage der Nuklearvereinbarung, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), fest. Israels Ministerpräsident Bennett signalisiert dabei einen offeneren Ansatz, um sich in der Frage mit den USA und anderen Verbündeten zu koordinieren - im Gegensatz zu Bennetts Vorgänger Benjamin Netanjahu, der als treuer Verbündeter des früheren US-Präsidenten Donald Trump galt. Unter Trump waren die USA aus dem JCPOA im Mai 2018 ausgetreten.
Der palästinensisch-israelische Konflikt wird bei diesem Besuch nicht weit oben auf der Agenda stehen, auch wird nicht erwartet, dass die Bundeskanzlerin Ramallah besucht. Palästinenser seien es gewohnt, das deutsche Politiker zunächst ihre israelischen Counterparts treffen, meint ein Passant in Ramallah. "Und wenn noch Zeit ist, kommen sie für eine halbe Stunde nach Ramallah um zu sagen, hey, wir sind Freunde Israels, aber seht, wir helfen auch Euch," meint Mohammed Abu-Zaid.
Geschätzt wird die Kanzlerin jedoch ebenso unter Palästinensern. Für viele noch in Erinnerung: ihr Verzicht auf das Schließen der EU-Binnengrenzen, um Flüchtlingen die Reise nach Deutschland 2015 zu ermöglichen. "Ich denke sie hat Deutschland zu einem besseren Ort gemacht, wenn es um Migranten und Flüchtlinge ging, die dort ankamen," sagt Sari Baz, ein junger NGO-Mitarbeiter. "Es ist schade, dass sie geht."
Palästinensisch-israelischer Konflikt im Hintergrund
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje beschreibt die deutsch-palästinensischen Beziehungen als "politisch solide" und sieht Kanzlerin Angela Merkel als "bemerkenswertes Vorbild". "Sie hat Israel immer wieder aufgefordert, den Siedlungsbau in palästinensischem Gebiet zu stoppen," sagt Schtaje.
Merkel gilt als Verfechterin der Zwei-Staaten-Lösung und hat sich konsequent gegen den israelischen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland ausgesprochen. Doch gibt es auch Kritik an der Politik der Bundesregierung von einigen Palästinensern und Israelis, vor allem aus dem linken Lager: Deutschland könnte sich stärker zu möglichen Menschenrechtsverletzungen im besetzten Gebiet äußern.
Der palästinensische Premierminister Schtaje hofft darauf, dass sich Deutschland als eines der größten Geberländer der Palästinenser und einflussreicher EU-Mitgliedsstaat noch stärker einbringen wird. "Ich denke, wenn es um den palästinensisch-israelischen Konflikt geht, wäre es sehr wichtig, dass Europa stärker das wirtschaftliche Gewicht in sein politisches Handeln einbringt," sagt Schtaje in einem DW-Interview in Ramallah.
Beobachter gehen davon aus, dass Ministerpräsident Bennett, ein Hardliner, der die Gründung eines palästinensischen Staates ablehnt, derzeit keine bedeutenden politischen Gesten gegenüber den Palästinensern machen wird. Die israelische Regierungskoalition aus rechten, linken und in der Mitte verorteten Parteien sowie einer arabischen Partei wäre kaum in der Lage, einen Kompromiss über eine palästinensische Staatsgründung zu finden.