Wie die Wirtschaftskrise die Afrikaner trifft
28. Dezember 2022Als Richard Gbewornyo in Ghanas Hauptstadt Accra seine Ausbildung zum Kameramann beendet hatte, juckte es ihn in den Fingern: Er wollte rausgehen und Filme drehen. Doch die Aufträge waren rar gesät im Corona-Jahr 2022. Jetzt verdingt er sich als Uber-Fahrer - ein Job, der ohnehin schon ein mäßiges Einkommen verspricht. Und es kam noch schlimmer. "Es ist sehr, sehr schwierig", sagt Gbewornyo der DW: "Als ich anfing, kostete der Liter Benzin 4 Cedi (umgerechnet 0,42 Euro). Jetzt ist er auf 15 Cedi gestiegen."
Ungebremste Inflation
Auch Moses Oduola wäre gerne richtig durchgestartet - und auch ihm verpassten die Preissteigerungen einen Dämpfer. In Lagos hat Oduola nach dem Studium begonnen, Energy Drinks zu vermarkten. Doch die Verkaufszahlen in Nigerias Wirtschaftsmetropole ließen zu wünschen übrig, sagt er der DW. "Überall beschweren sich die Leute, dass kein Geld da ist. Da bleiben als Kunden nur noch die, die Geld auf der hohen Kante haben, sagt Oduola der DW.
In Ghana hat die Inflation in diesem Jahr die 50-Prozent-Marke überschritten - zum ersten Mal in mehr als drei Jahrzehnten. In Nigeria stieg die Inflationsrate zehn Monate in Folge an und lag im November bei knapp 21,5 Prozent. Damit übertrifft sie noch deutlich die durchschnittliche jährliche Inflation in Subsahara-Afrika. Sie liegt laut der Economic Intelligence Unit (EIU), die weltweit Wirtschaftsdaten analysiert und Prognosen erstellt, bei 14 Prozent.
Armutsbekämpfung zurück auf Start
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) zeichnet ein düsteres Bild: Die Einkommens- und Ernährungssicherheit in Afrika südlich der Sahara sei komplett zerstört, wozu Jahre der Pandemie, eine allgemein hohe Staatsverschuldung und die explodierenden Energie- und Lebensmittelpreise beigetragen hätten.
Und für die teureren Produkte bleibt nun auch noch weniger Geld übrig: "Wer bisher 100 Cedi für ein Mittagessen ausgegeben hat, muss es jetzt schaffen, mit 40 Cedi hinzukommen", sagt Uber-Fahrer Gbewornyo in Accra. "Vielleicht warst du es gewohnt, drei anständige Mahlzeiten am Tag zu essen, und isst jetzt nur noch eine und trinkst Wasser gegen das Hungergefühl."
Die Trends, die 2022 erkennbar wurden, stellen laut Andrew Dabalen, dem Weltbank-Chefökonom für Afrika, eine "Gefahr für die langfristige menschliche Entwicklung" dar - so schreibt er es in deren zweijährlich erscheinendem Afrikabericht: "Diese Trends machen alle Erfolge der Armutsbekämpfung zunichte, nachdem diese schon durch die Covid-19-Pandemie einen Rückschlag erlitten hatte."
Wenn Krieg und Konflikt ihr Übriges tun
In der kongolesischen Großstadt Goma kommen Versorgungsengpässe erschwerend hinzu, Folge eines Jahrzehnte währenden bewaffneten Konflikts. Im Oktober meldeten Beobachter die Einnahme der weiter nördlich gelegenen Städte Rutshuru und Kiwanja durch die M23-Miliz. Seitdem sind die Einwohner der Provinzhauptstadt von den Erträgen des fruchtbaren Umlands weitgehend abgeschnitten, viele Bauern von dort entweder geflohen oder ohne Zugang zu ihren Feldern.
Das macht sich an den Preisen bemerkbar - etwa auf dem Maman-Olive-Lembe-Markt im Westen der Stadt. Bisafi Viviane, die dort mit Maismehl handelt, zahlte im Einkauf bisher 100.000 kongolesische Franc (46 Euro) pro Sack, berichtet sie der DW. Jetzt habe sich der Preis verdoppelt: "Der Mais, den wir heute verkaufen, kommt über Ruanda aus Tansania und Sambia."
Bisafi bleibt keine Wahl, als die Preissteigerung weiterzugeben. Überall hätten sich die Preise verdoppelt, sagt auch der Familienvater Kitumaini Kimwenge: "Wir sind eine achtköpfige Familie. Ich muss arbeiten wie ein Sklave, nur um etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen."
Der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion bei gleichbleibender Nachfrage sei ein treibender Faktor für die Inflation, sagt Thomas Gahamanyi, Wirtschaftsprofessor am Institut für Handel (ISC) in Goma. "Haushalte, die sich von Reis, Bohnen oder Kartoffeln ernähren, wissen nun nicht mehr, was sie essen sollen." Nun brauche es Strategien zur Ernährungssicherung, sagt Gahamanyi der DW.
Der Fluch der Importabhängigkeit
Für einige Ökonomen hängen die Schwierigkeiten von Ländern wie Ghana, Nigeria oder Sierra Leone mit den schwachen nationalen Währungen zusammen. "Importeure mussten mehr lokale Währung eintauschen, um mit Dollar Rohöl einzukaufen", sagt der ghanaische Ökonom Cleanse Tsonam Akpeloo. Der ghanaische Cedi hat 2022 fast 52 Prozent seines Werts verloren und steht damit von 148 Währungen weltweit am schlechtesten da.
Für den Autozubehör-Händler Clement Boateng ist das eine Katastrophe: "Immer, wenn der Cedi an Wert verliert, muss ich mehr Geld aufbringen, um die Differenz auszugleichen, damit ich weiter Waren einkaufen kann", sagt er der DW. "Und wenn ich einen Kredit aufnehmen will, verlangt die Bank hohe Zinsen. Für einen Familienvater ist das eine schwierige Situation."
Laut Akpeloo dürfte diese Situation noch anhalten - denn Ghana importiere etwa 70 Prozent seiner Güter. Manche Regierungen hätten angesichts dieser Schieflage die Steuern auf Importe erhöht, sagt Ökonom Edward Adeola in Lagos. "Sie wollen damit den Export stärken. Aber fiskale Maßnahmen alleine werden nicht helfen", so Adeola. Erst, wenn lokal produzierte Waren die Importgüter ablösen, werde sich die Lage verbessern können.
"Wir wissen, was passieren wird"
Und dann sind da noch die hohen Schulden, die der Weltbank zufolge in vielen Ländern mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts betragen. 2021 setzten afrikanische Regierungen demnach 16,5 Prozent ihrer Einkünfte zur Schuldentilgung ein - ein Anteil, der mehr als dreimal so hoch war wie noch 2010. Zum Jahresende gewährte der IWF Ghana nun ein Rettungsdarlehen über drei Milliarden US-Dollar (2,82 Milliarden Euro). Dass dieses Umschulden das Problem langfristig löst, halten Ökonomen wie Akpeloo in Accra für fraglich. Fakt ist: Die Gesamtlage südlich der Sahara ist angespannt, die Wachstumsprognose für 2023 fällt bei EIU mit 2,8 Prozent noch einmal niedriger aus als 2022.
"Wir wissen doch alle, was passieren wird", sagt der Uber-Fahrer und ausgebildete Kameramann Richard Gbewornyo in Accra. "Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Das ist unser einziger Ausweg, bis sich unsere politischen Anführer zusammensetzen und versuchen, ihre eigenen Fehler einzugestehen und an Lösungen zu arbeiten." Moses Oduola hofft in Lagos darauf, seine Energy-Drinks 2023 weiter unter die Leute zu bringen. Es sei unumgänglich, das Afrikas bevölkerungsstärkstes Land mehr in seine Jugend investiert, sagt er. Denn die Arbeitslosigkeit treibe diese sonst weiter in die Kriminalität.
Adaptiert aus dem Englischen von Philipp Sandner.