Auf der Suche nach Afrikas Steuermilliarden
17. Juni 2022Unsummen an Steuergeldern entgehen afrikanischen Ländern Jahr für Jahr. Die Gründe liegen etwa in mangelnder logistischer Unterstützung von Geschäftsabwicklungen und in fehlenden Kontrollmöglichkeiten. Das eigentliche Dilemma: Die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Afrika ist im informellen Sektor beschäftigt - auf den Märkten, in der Landwirtschaft, im Handwerk, Bau- und Transportgewerbe. Die Mehrzahl kleiner, selbständiger Unternehmen sind nicht angemeldet, sie zahlen weder Steuern noch Sozialabgaben.
Mehrheit arbeitet in der Schattenwirtschaft
Dabei könnten die nicht erfassten Steuereinnahmen erheblich zur Verbesserung der Gesundheit und Bildung, zum Infrastrukturausbau und zu weiteren dringend notwendigen Entwicklungsprojekten in den afrikanischen Ländern beitragen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO arbeiten zwei Milliarden Menschen weltweit in der informellen Wirtschaft, in Afrika beträgt der Anteil 85,5 Prozent.
Nach Zahlen der Weltbank beläuft sich die sogenannte Schattenwirtschaft in Afrika südlich der Sahara gar auf fast 90 Prozent - mit einem Beitrag zum Bruttosozialprodukt von 40 Prozent. In dieser Situation ist das traditionelle Steuersystem laut Weltbank weder effizient noch gerecht.
Faire Besteuerung möglich?
Wie könnte eine faire Besteuerung aussehen, die die ärmeren Bevölkerungsschichten nicht in eine noch tiefere Krise stürzt? John Gartchie Gatsi von der Cape Coast University in Ghana setzt zunächst auf eine stärkere Einbindung des informellen Marktes: "Wenn wir den informellen Sektor vergrößern und ihn durch verschiedene politische Maßnahmen formalisieren, werden wir nach und nach einen Teil davon in den formellen Sektor überführen, und die Bürger werden ganz normal Steuern zahlen müssen", sagt Gatsi im DW-Interview.
Doch auf dem Weg dahin seien noch manche Hürden zu überwinden: "Wir haben die Bedeutung der Digitalisierung, der Automatisierung von Systemen erkannt, diese aber nicht konsequent umgesetzt." Auch Ghana habe - wie viele afrikanische Länder - nationale Identifikations-Systeme entwickelt. Aber anstatt sich an Ländern wie Deutschland oder Schweden zu orientieren, benutze Ghana die persönliche Identifikationsnummer ausschließlich dafür, festzustellen, wer ein Bürger ist und wählen darf, sagte Gatsi. Europäische Regierungen nutzten dieses Ausweissystem hingegen auch, um die wirtschaftlichen Aktivitäten zu vernetzen und so mehr Transparenz herzustellen.
Ghana habe diese Lücke teilweise überwunden, indem SIM-Karten für Mobiltelefone mit der jeweiligen nationalen Identifikationsnummer verbunden worden seien. In Kombination mit mobilen Zahlungsmöglichkeiten - wie es sie zum Beispiel auch in Ruanda, Tansania und Kenia gibt - ergebe sich dadurch mehr Klarheit über Geldflüsse. Doch die Systeme müssten effizienter und weniger kostspielig werden, mahnt Gatsi.
Striktere Gesetze gefordert
Die IDs könnten laut Gatsi noch besser nutzbar gemacht werden. Die Idee: "Wenn Menschen staatliche Leistungen benötigen, müssen sie ihre ID angeben, die Aufzeichnungen darüber aufzeigt, wie viel sie mit einem bestimmten Projekt verdient haben und ob sie dafür Steuern gezahlt haben oder nicht." War dies nicht der Fall, könnte die Leistung an die Tilgung der offenen Forderungen geknüpft werden.
Zudem empfiehlt der Ökonom ein Gesetz, das auch diejenigen steuerlich in die Pflicht nimmt, die Zahlungen an informelle Parteien leisten. Es fehle allerdings oftmals an politischem Willen, auch aus Sorge, potenzielle Wähler zu verlieren.
Im nigerianischen Bundesstaat Lagos - zugleich eine der größten Metropolregionen Afrikas - habe eine Kombination von politischem Einsatz an der Spitze, Strukturreformen in der Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit die Eintreibung der kommunalen Steuern verbessert, sagt Paul Melly, Afrika-Experte beim Londoner Think Tank Chatham House. Für ihn ist eine unbürokratische Vorgehensweise zum Einholen von Steuern wichtig, um eine einfache Lösung und Anreize zur Zahlung auch für informell Beschäftigte anzubieten.
Optionen für Zahlungen vereinfachen
"Das geht am besten durch eine Mischung von entschiedener Durchsetzung bei Großverdienern und einfachen Online-Zahlungsmechanismen, die es den Menschen ermöglichen, Steuern zu zahlen, ohne Angst haben zu müssen, dass das Geld verloren geht", sagt Melly im DW-Interview. Es bedürfe zudem besserer Möglichkeiten, die Höhe der Steuerschuld schnell zu messen und den Bürokratieaufwand in Grenzen zu halten.
Ein Grund für die Zurückhaltung der Steuerzahler sei auch die Annahme, die Steuer bringe ihnen selbst keine Vorteile, sagt Melly. Das bestätigt auch der kenianische Ökonom James Shikwati: Ein Grund dafür sei die Wahrnehmung, dass Regierungen Geld aus dem Ausland erhalten, um ihre Operationen zu unterstützen und es fehle an Vertrauen zur Regierung, sagt Shikwati im DW-Interview: "Selbst wenn informelle Geschäftsleute bereit sind, Steuern zu zahlen, glauben sie, dass das Geld nur in korrupten Taschen landet."
Steuern? Ja - aber fair!
Shikwati beruft sich auf eine Aussage der kenianischen Steuerbehörde, wonach dem Staat jährlich große Summen aus dem informellen Sektor verloren gingen. Wenn die Regierung wirklich interessiert sei, sollte sie die notwendigen Anreize bieten, damit Akteure im informellen Sektor es für sinnvoll halten, Steuern zu zahlen, sagt Shikwati.
Eine Studie des panafrikanischen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer könnte afrikanischen Regierungen Mut machen: Laut den Daten, die 2019/2020 in 18 afrikanischen Ländern erhoben wurden, befürwortet eine Mehrheit der Afrikanerinnen und Afrikaner, dass ihre Regierungen Steuern erheben. Allerdings bezweifeln viele Afrikaner laut Afrobarometer, dass die Steuerlast in ihrem Land fair verteilt ist, und nur die Hälfte glaubt, dass ihre Regierung die Steuereinnahmen zum Wohle ihrer Bürger einsetzt.
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