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Musik

Das Geheimnis von Whitney Houstons Stimme

Brenda Haas
11. Februar 2022

Vor zehn Jahren starb Whitney Houston. Die US-Sängerin perfektionierte eine Gesangstechnik, die schon Jahrhunderte überdauert hat: Melisma. Bestes Beispiel dafür ihr Kulthit "I Will Always Love You".

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Whitney Houston sing in ein Mikrofon
Whitney Houston schrieb als "The Voice" MusikgeschichteBild: nordphoto/picture alliance

Manche Lieder werden so unvergleichlich schön vorgetragen, dass sie gar keine instrumentale Begleitung brauchen. Dazu gehört auch Whitney Houstons Version von "I Will Always Love You" - ein Coversong des Hits von Country-Sängerin Dolly Parton aus dem Jahr 1974. In den ersten Zeilen nimmt Houston uns ganz ohne Instrumente mit auf eine klangliche Reise: Stimmlich lotet sie alle Höhen und Tiefen aus und spielt dabei mit den Worten. Der schmerzvolle Abschied und das Versprechen einer nie endenden Liebe gehen bei jedem Ton unter die Haut.

Stimmliche Urgewalt

Geschickt baut der Song eine dramatische Zäsur ein, bevor Houston die ganze Kraft ihrer Stimme entfesselt. Es ist die gleiche stimmliche Urgewalt, mit der sie den Menschen schon bei anderen Gelegenheiten schlichtweg den Atem raubte: mit Songs wie "One Moment In Time" bei den Olympischen Sommerspielen in Seoul 1988, mit "All the Man That I Need" aus dem Jahr 1990 und mit ihrer Version der US-amerikanischen Nationalhymne beim Super Bowl 1991. 

Whitney Houston 1997
Als strahlende Sängerin wird Whitney Houston immer in Erinnerung bleibenBild: John Barrett/Newscom/picture alliance

Die Popdiva besaß die Fähigkeit, einzelne Silben virtuos mit wechselnden Tonfolgen über mehrere Oktaven auszuschmücken. Gesangsprofis nennen diese nahezu akrobatische Technik "Melisma". Sie sei auch unter dem italienischen Begriff "Koloratur" bekannt, erklärt die Gesangslehrerin Sandra Toner-Uhl aus Frankfurt im DW-Gespräch. Toner-Uhl stand selbst 55 Jahre in ganz Europa als Opernsängerin auf der Bühne und kennt sich mit dem Effekt bestens aus. "Das bedeutet, dass man dem Ton Farbe gibt, indem man mehrere Töne auf einen Vokal legt." 

Weit verbreitete Technik: Melisma 

Melismatischer oder auch Koloraturgesang ist seit Jahrhunderten in vielen Kulturen verbreitet: in gregorianischen Mönchsgesängen, beim Ruf des Muezzin zum Gebet oder in der indischen Raga-Musik. Im weltweit populären Weihnachtslied "Hört der Engel helle Lieder" aus dem 18. Jahrhundert wird die erste Silbe im Wort "Gloria" auf ganze 16 Noten gestreckt.

Ein Imam steht mit dem Rücken zum Betrachter vor einer mosaikgeschmückten Wand in einer Moschee
Melismatische Gesang gibt es in vielen Kulturen - auch im islamischen Gebetsruf Bild: picture-alliance/AP Images/N. El-Mofty

Heutzutage hört man melismatischen Gesang in der Oper, im Gospel, im Soul, im Rhythm and Blues und im Pop - wie bei Whitney Houston.

Auch andere Pop- und Soulstars bedienten sich dieser Technik: Ray Charles, Stevie Wonder und Aretha Franklin hatten es schon vorgemacht. R&B Sängerin Deniece Williams lieferte Anfang der 1980er-Jahre im Song "Let's Hear It For The Boy" aus dem Film "Footloose" melismatische Gesangspassagen. In den 90ern machten neben Whitney Houston Mariah Carey und Celine Dion diesen Gesang "salonfähig". Die drei Ausnahmesängerinnen bildeten damals die "Vocal Trinity" - die Dreifaltigkeit der Stimmen - und konkurrierten damals um den Status als größte Popdiva ihrer Zeit.

"Sie war ein Naturtalent"

Whitney Houston lernte viel von ihrer Mutter, der Gospelsängerin Cissy Houston. Sie war Chorleiterin der lokalen Ortskirche, förderte das Talent ihrer Tochter und feilte an ihrer Gesangstechnik. Schon mit zwölf Jahren sang Whitney Solostücke.

Was aber macht ihre Stimme so einzigartig? "Es war vor allem ihre Einstellung", so Vokalcoach und Sänger Steve Sweetland aus Los Angeles. "Sie hat wirklich an den künstlerischen Mehrwert der Melisma-Technik geglaubt. Während andere Sängerinnen und Sänger vielleicht nur einem Trend nachliefen, hat sie diese Technik verkörpert; sie war ein Teil von ihr", sagte er gegenüber der DW. Über seine Klientel verrät er nicht viel, dafür ist er zu diskret, aber er weiß, wovon er spricht. Sweetland hat fast 60 Jahre lang mit US-Interpreten aus allen Genres gearbeitet - "außer im Rap und HipHop."

Beyonce Knowles im Glitzerdress auf der Bühne
Auch Beyoncé hat den magischen Klang der Melisma-Technik für sich entdeckt Bild: Getty Images/K. Winter

Der frühere Opernsänger Michael Cooney, der 40 Jahre lang auf der Bühne stand, betont, dass natürlich auch Talent dazu gehöre. Seiner Meinung nach war Whitney Houston "ein Naturtalent": "Und sie hat es beim Singen immer weiter entwickelt. Ich weiß nicht, ob ihr klar war, dass sie sich der Melisma-Technik bediente. Für sie war es einfach etwas ganz Natürliches." 

Imitationen klingen oft verkrampft

Houstons Mentor Clive Davis, der Gründer von Arista Records, gab ihr den Namen "The Voice" (Die Stimme). Ihr Gesang soll Beyoncé, Christina Aguilera und Alicia Keys beeinflusst haben. 

Musikgeschichte. In Talent-Shows hat man oft versucht, ihren Gesangstil zu kopieren, aber niemand kam an das Original heran. "Es ist immer das Gleiche", sagt Sweetland aus Erfahrung. "Jemand kommt mit etwas Tollem um die Ecke, und alle wollen es dann nachmachen - aber das klappt einfach nicht immer so gut."

Sandra Toner-Uhl, seit 30 Jahren als Vocalcoach tätig, warnt davor, dies ohne jahrelanges Training nachzuahmen, man müsse dranbleiben, "eben wie wenn man für die Olympischen Spiele trainiert." Man brauche ein gutes Gehör und Gespür dafür, wie diese Gesangstechnik funktioniert. "Man müsste ihnen in den Rachen schauen, um zu verstehen, was da vor sich geht."

Whitney Houstons Stimme habe unverkrampft geklungen, das bedeute aber nicht, dass das auch bei anderen Sängerinnen und Sängern klappe. "Bei untrainierter Stimme kann es sich abgewürgt anhören." Auch Sweetland schwört auf Training: "Damit diese Art des Gesangs so locker rüberkommt, muss man härter arbeiten, als man sich das überhaupt vorstellen kann."

Ganz oben in den Charts 

Als der kanadische Musikproduzent und Songwriter David Foster an dem Song "I Will Always Love You" für den Soundtrack zum Film "Bodyguard" (1992) arbeitete, schreckte er zunächst vor einem Vorschlag des Hauptdarstellers Kevin Costner zurück. Der hatte angeregt, Whitney ohne Instrumentalbegleitung singen zu lassen. So könne man das Lied ja nicht im Radio spielen, hieß es. "Aber als sie ihren Mund aufmachte, merkte ich sofort, dass Kevin Costner eine der besten Ideen der Musikgeschichte hatte", notierte Foster 2008 in seinen Memoiren "Hitman".

Bodyguard-Filmszene 1992: Whitney Houston und Kevin Costner stehen sich gegenüber
Whitney Houston spielte in "Bodyguard" eine berühmte Sängerin, Kevin Costner ihren Leibwächter Bild: United Archives/IFTN/picture alliance

Für "I Will Always Love You" gab es drei Grammys, später landete das Lied in den Billboard Charts der besten Songs aller Zeiten. Nur wenige Stunden nachdem Whitney Houstons Tod 2012 bekannt wurde, katapultierte sich ihr Song erneut auf den ersten Platz der US-Hitparade. Auf die Frage, warum dieses Lied stellvertretend für Houstons Kunst in die Musikgeschichte eingegangen ist, antwortete Tenor Michael Cooney der DW: "Man hörte, dass sie ihre Seele in den Song legte. Es gab noch nie eine Stimme wie ihre - und es wird sie wohl auch nie wieder geben."

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords