Wertegemeinschaft mit begrenzter Wirkung
1. Februar 201460 Jahre ist es nun her, erinnerte sich US-Außenminister John Kerry. Damals, in den frühen 1950er Jahren, setzte er sich als kleiner Junge in den Zug Richtung Berlin. Er überquerte die deutsch-deutsche Grenze, um dann in der geteilten Stadt anzukommen. Immer, wenn er die Soldaten des östlichen Sektors sah, drückte er das Fester hinunter, um zu sehen, wie es denn so zugehe im damals anderen Teil der Welt. In Berlin, wo sein Vater damals arbeitete, sei er dann mit dem Fahrrad durch die teils immer noch zerstörten Straßen der Stadt gefahren. Gelegentlich traf er auf Schilder, die verkündeten, dass die umstehenden Gebäude mit den Mitteln des Marshall-Plans wieder neu errichtet würden. Und das sei nicht alles, erklärte Kerry weiter: Er und sein neben ihm sitzender Kollege, US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, hätten die transatlantischen Beziehungen geradezu in den Genen - denn beide stammten sie aus Familien, die als Einwanderer einst den Sprung über den großen Teich getan hätten.
Transatlantische Renaissance
Die Reden von John Kerry und Chuck Hagel zu Beginn des zweiten Tages der Münchner Sicherheitskonferenz bildeten so etwas wie den atmosphärischen Gegenpol zum Streit um die NSA-Affäre, die in den letzten Monaten die europäisch-amerikanischen Beziehungen belastet hatte. Vor allem ließen die Politiker erkennen, auf welch starkem Fundament die Beziehungen immer noch ruhen. Die Weltläufigkeit der beiden US-Politiker sollte das Bild eines anderen Amerikas aufzeigen als das einer digitalen Supermacht, die offenbar nichts dabei findet, auch ihre engsten Verbündeten bis in die Staatsspitze auszuspähen.
"2014 muss das Jahr einer transatlantischen Renaissance werden", rief Kerry in den Saal. Und das, fügte er hinzu, sehe auch Präsident Barack Obama so. Sämtliche außenpolitischen Punkte, die er im Folgenden ansprach, hatten einen Tag zuvor auch schon der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angesprochen: den Kampf gegen die Armut, das Ringen um Lebensperspektiven in Afrika, Nahost und in Teilen Osteuropas sowie Integration als wohl effektivstes Mittel zur Terrorismusbekämpfung. Aller derzeitigen Störungen und auch mancher Differenzen zum Trotz, so das Signal dieses Münchner Auftritts, bildeten Deutschland, Europa und die USA immer noch eine außenpolitische Wertegemeinschaft. In ihrer Zusammenarbeit seien die USA und Europa weiterhin eine Führungskraft, so Kerry. Allerdings, fügte er hinzu: "Eine Führungsrolle zu übernehmen heißt nicht nur, zu diskutieren, sondern auch, Mittel bereitzustellen."
Eine neue deutsche Außenpolitik
Ob das auf die aktuelle deutsche Außenpolitik zutrifft, ist fraglich. Denn kurz vor Kerry hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Grundzüge der künftigen deutschen Außenpolitik umrissen. Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen, erklärte er. "Deutschland will und wird Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik", umriss er die Position der Bundesregierung. "Nur, wenn wir unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen, im Süden wie im Osten, wird Europas Außenpolitik mehr sein als die Summe vieler kleiner Teile." Zwar sprach Steinmeier auch die historisch bedingte Sonderrolle Deutschlands an. Doch könne die der deutschen Außenpolitik nicht durchgehend ihren Stempel aufdrücken: "Eine Kultur der Zurückhaltung darf für Deutschland nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden." Deutschland sei "zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren."
Grenzen des Einflusses
Allerdings dürften die deutsch-amerikanische oder die europäisch-amerikanische Politik in Zukunft regelmäßig an Grenzen stoßen. Das machte der Beitrag des russischen Außenministers Sergej Lavrov deutlich. Bei der Ankunft am Tag zuvor noch lässig in Jeans und Windjacke gekleidet, erläuterte Lavrov nun kühl den russischen Standpunkt. So etwa zu Syrien. Russland stehe nahezu täglich in Kontakt zur Regierung wie auch zur Opposition, erklärte er. Aber sein Land könne allein nichts tun, erklärte er - ohne auf die russische Rolle als einer der wichtigsten Waffenlieferanten des Assad-Regimes einzugehen. Dennoch versuche man, die Regierung in Damaskus zu überzeugen, "neue Gesten an den Tag zu legen." Umgekehrt, forderte er, müsse jeder, der Einfluss auf die Opposition habe, diese zur Rückkehr zur Syrien-Friedenskonferenz bewegen.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz machte das Wort von der "multipolaren Ordnung" die Runde. Und immer wieder, in den Diskussionen um Syrien, die Ukraine und unter anderen Vorzeichen auch bei den Beziehungen des Westens zum Iran, zeigte sich, wie sehr diese neue Ordnung den transatlantischen Partnern Grenzen aufzeigt. Regionale Akteure vor Ort lassen sich immer weniger umgehen - vor allem in Zeiten, in denen der Westen eine tiefe Finanzkrise durchlebt. Die derzeitige Wirtschaftslage lag als Schatten über nahezu allen Münchener Diskussionen. Der Westen, da waren sich die Diskutanten einig, vertritt weiterhin sehr attraktive Werte. Wie diese sich aber durchsetzen lassen, diese Frage dürfte die Sicherheitskonferenz auch in den kommenden Jahren beschäftigen.