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Wer rettet den Journalismus?

Kristie Pladson
13. März 2021

Nachdem sie sich lange gesträubt haben, bezahlen Google und Facebook Verleger jetzt doch für einige Inhalte. Ob das den Zeitungen und Sendern hilft, ist allerdings fraglich.

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Symbolfoto für Fake News
Bild: imago images/ZUMA Wire

Es war ein wilder Monat für Facebook. In Australien hatte der Social-Media-Riese erst alle Nachrichten-Inhalte gesperrt, sich dann aber doch mit Verlegern und Sendern geeinigt. Und verkündete dann Anfang März, auch in Deutschland dutzende Verlage für journalistische Inhalte zu bezahlen, die auf Facebook News erscheinen sollen, einem Nachrichtenüberblick, der im Mai auch in Deutschland starten wird.

Facebook werde den angeschlagenen Zeitungsverlagen helfen, "ihre Inhalte zu monetarisieren und ihr Geschäftsmodell langfristig und nachhaltig zu erweitern", sagte Jesper Doub, der bei Facebook für die Partnerschaften mit europäischen Nachrichtenanbietern zuständig ist, bei der Vorstellung des Abkommens in der vergangenen Woche.

Ähnliche Vereinbarungen wurden auch in den USA und Großbritannien erzielt. Auch der Suchmaschinen-Betreiber Google hat vor kurzem begonnen, Verlage für journalistische Inhalte zu bezahlen.

Es klingt, als wäre für Zeitungsverleger endlich der Zahltag gekommen, den sie sich so lange erhofft hatten. Die Branche tut sich schwer damit, ihr Geschäftsmodell an das digitale Zeitalter anzupassen. Doch Kritiker sagen, die Deals mit Facebook und Google seien ein Pakt mit dem Teufel, der auf lange Sicht mehr schaden als nutzen werde.

Regulierung vermeiden

"Strategisch gesehen, macht Facebook das sehr, sehr klug. Durch den Erhalt seiner Marktmacht gewinnt es viel mehr, als es durch die Bezahlung einiger Verlage verliert", sagt Christian-Mathias Wellbrock, Ökonom und Professor für Medienmanagement an der Universität zu Köln. Dort forscht er nach Wegen zur Finanzierung des Journalismus in der digitalen Welt.

"Facebook will Geld mit Werbung verdienen", so Wellbrock zur DW. "Und sie werden alles tun, was diesem Ziel dient."

Behörden rund um den Globus sind in den letzten Jahren mit zunehmender Härte gegen Google und Facebook vorgegangen. Einige wollen die Tech-Konzerne auch dazu bringen, Verlage für journalistische Inhalte zu bezahlen, die auf ihren Plattformen landen.

Das aber haben Facebook und Co. bisher immer verweigert. Ihr Argument: Sie erwiesen Zeitungsverlagen und Sendern einen Dienst, weil sie ihnen durch ihre Plattformen und Suchmaschinen mehr Nutzer bescheren, also Traffic und Klicks bringen.

Doch weil immer mehr Menschen ihren Nachrichten über Social Media oder Suchmaschinen beziehen, sind die Finanzierungsmodelle in Schieflage geraten. Werbeeinnahmen, die früher den Zeitungen zuflossen, gehen jetzt an Google und Facebook. Diese beiden Firmen allein teilen sich in Deutschland und Frankreich das mit Abstand größte Stück vom Werbekuchen: 75 Prozent aller digitalen Anzeigenerlöse im Jahr 2019 laut der Marktforschungsfirma eMarketer. Ähnlich sieht es in den USA, Großbritannien und Indien aus.

Doch wenn Tech-Konzerne den Zugang zu Informationen bestimmen, also eine Gatekeeper-Funktion einnehmen, ist das nicht unproblematisch.

"Inhalte, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft relevant sind, basieren auf Vielfalt", sagt Wellbrock. "Dagegen hat eine kommerzielle, von Algorithmen gesteuerte Verteilung personalisierter Inhalte gar nicht das Ziel, Menschen mit den unterschiedlichen Ideen zu konfrontieren, die gerade öffentlich diskutiert werden."

Nur scheinbar innovativ

Die Art, auf die Facebook seine Vereinbarung mit deutschen Verlegern bekannt gegeben hat, steht in starkem Kontrast zu dem Ton, den das Unternehmen nur wenige Wochen zuvor in Australien angeschlagen hatte. Die Aussicht, per Gesetz zum Teilen seiner Werbeeinnahmen mit den Verlagen gezwungen zu werden, veranlasste Facebook, eine Woche lang alle Nachrichteninhalte auf seiner Plattform zu blockieren. Am Ende gab es dann aber doch noch eine Einigung.

Von den Tech-Firmen für Inhalte bezahlt zu werden, mag den Verlagen wie ein Sieg erschienen. Doch das könnte sich als Trugschluss erweisen, sagt Medienökonom Wellbrock. "Abmachungen dieser Art zementieren im Wesentlichen den Status quo."

Mit den Vereinbarungen, die jetzt in Deutschland, Australien, den USA und Großbritannien getroffen wurden, bleibt die Marktmacht weiterhin dort, wo den Tech-Konzeren dominieren, d.h. Werbung, Internet-Suche, Social Media und Messaging. So werden die Verlage noch abhängiger von den Tech-Firmen, erhielten im Gegenzug aber Geld, dass sie nutzen können, um ihren Vorsprung gegenüber kleineren Wettbewerbern zu festigen.

Es wäre nur natürlich, wenn Google und Facebook die Inhalte der Verlage, die für ihre Artikel bezahlen, gegenüber den Angeboten kleinerer und aufstrebender Nachrichtenanbietern bevorzugen, sagt Wellbrock.

Mangel an Alternativen

"Am besten wäre es, wenn niemand diesen Vertrag (mit Facebook) unterschreiben würde", so Wellbrock. "Verlage oder vielleicht sogar Regulierungsbehörden könnten stattdessen eine eigene Plattform gründen", sagt der Professor.

Alternative Plattformen für journalistische Inhalte gibt es zwar, aber nicht in einer Größe, die das aktuelle Modell herausfordern könnte.

Apple bietet den Bezahldienst Apple News+ an, der Nutzern Zugang zu Hunderten von Zeitungen und Magazinen bietet. Aber nicht alle Zeitungen nehmen daran teil, und die Dienst funktioniert nur innerhalb des Apple-Ökosystems. Und Dienste wie die Zeitschriftenplattform Readly oder Bundle sind nicht groß oder bekannt genug, um mit Google und Facebook zu konkurrieren - und werden es wohl auch nie werden, wenn die Tech-Giganten es verhindern können.

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Was können Zeitungen von Netflix lernen?Bild: Reuters/D. Ruvic

"Aus einer journalistischen oder demokratischen Perspektive denke ich, dass wir eine Lösung brauchen, die so ziemlich alle journalistischen Inhalte für so ziemlich jeden zugänglich macht", sagt Wellbrock.

Kein Netflix für Zeitungen

Wellbrock hat eine Idee, wie das erreicht werden könnte: durch eine "verlagsübergreifende Plattform", ein Abo-Modell, das für eine Flatrate den Zugang zu praktisch allen journalistischen Inhalten ermöglichen würde.

Der Vergleich mit Netflix oder Spotify drängt sich auf, doch anders als bei Netflix wäre diese Plattform kein "One-Stop-Shop", der sämtliche Inhalte direkt anbietet. Stattdessen könnten zahlende Kunden, die sich auf der Plattform eingeloggen, von dort durch die Paywalls auf die Webseiten aller beteiligten Anbieter navigieren.

Technologisch wäre dies weniger aufwändig, als verschiedene Content-Management-Systeme zu harmonisieren. Und es lasse die journalistischen Inhalte innerhalb der Markenwelt der produzierenden Unternehmen - beides wichtige Anliegen für Verleger, wenn sie über solche Ideen diskutieren, sagt Wellbrock.

Wer seine Inhalte über diese Plattform verbreiten darf, müsse durch Kriterien festgelegt werden, die auf einer Reihe von journalistischen Standards basieren. Ein Algorithmus, der Nutzern weitere Artikel empfiehlt, könnte so entwickelt werden, dass Filterblasen vermieden werden. Wie die Erlöse verteilt werden, müssten die teilnehmenden Anbieter journalistischer Inhalte untereinander aushandeln.

"Eine solche Plattform würde zwei Dinge unterstützen, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind", sagt er. "Erstens die Medienvielfalt, denn auch kleinere Verlage hatten dann eine Chance, im Netz gefunden zu werden. Zweitens wären die Inhalte dann breit zugänglich."

Altes Konkurrenzdenken

Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass Verlage daran gewöhnt sind, sich gegenseitig als Konkurrenz zu sehen. Das mag für landesweit verfügbare Publikationen der Fall sein, regionale oder lokale Angebote haben in ihren jeweiligen Gebieten aber oft eine Monopolstellung, sagt Wellbrock.

"Wenn alle Verlage zusammenarbeiten oder ihre Inhalte über eine Plattform zugänglich machen würden, wäre das ein gutes Experiment", sagt Wellbrock. "So könnte man herausfinden, ob Menschen wirklich bereit wären, zum Beispiel 25 Euro pro Monat zu zahlen für so ziemlich alle bestehenden journalistischen Inhalte."

"Dann gäbe es einen ausreichend großen Anbieter, der als Werbung sagen könnte: 'Schaut her, wir haben im wesentlichen dieselben Funktionen wie Facebook, aber unser Algorithmus treibt auch nicht in die Radikalisierung'", so der Medienökonom. "Vielleicht würden sich die Menschen wirklich dafür entscheiden. Momentan aber haben sie diese Wahl nicht."

Adaption aus dem Englischen von Andreas Becker.

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