Spektakuläre Solo-Ausstellung von Olafur Eliasson
5. Oktober 2019Eine Olafur Eliasson-Installation lässt den Betrachter nicht los. Es ist nahezu unmöglich, nicht mit dem eigenen Schatten, mit geschachtelten Spiegelungen oder mit einer atmenden Wand aus Moos in Dialog zu treten. Was sich wahrscheinlich viele Künstler von ihren Werken erhoffen, schafft Eliasson scheinbar spielerisch - wenn auch aus Überzeugung.
"Es gibt zwar Objekte, die man in einer Galerie ausstellen kann und die vielleicht auch gesammelt werden - aber eigentlich geht es um die Begegnung selbst", sagte der dänisch-isländische Künstler in einem DW-Interview anlässlich einer Einzelausstellung 2010 in Berlin. Diesen Begegnungen bietet die Tate Gallery of Modern Art in London nun bis Anfang 2020 einen besonderen Raum: eine Solo-Ausstellung mit Werken Olafur Eliassons aus den vergangenen drei Jahrzehnten.
Kunst aus Natur
Auf den ersten Blick wirken die Installationen recht einfach und klar strukturiert, geschaffen häufig aus Naturmaterialien. Und doch gelingt es Eliasson, in einem Zusammenspiel aus Licht und Raum Momente zu erzeugen, die berühren, in denen die Kunstwerke etwas in einem auslösen. "In Real Life" heißt die umfassende Londoner Schau, "im wirklichen Leben".
Genau auf dieses "wirkliche Leben" besann sich der junge Olafur Eliasson, als er 1994 nach einem Kunststudium in Kopenhagen nach Deutschland kam. Um sich auf dem Kunstmarkt behaupten zu können, wurde ihm schnell klar, dass er all sein theoretisches Wissen über Bord werfen musste, um sein ganz eigenes Thema zu finden. Er erdete sich mit Wandertouren in seiner Heimat Island. "Jeden Stein, jeden Geruch, Wasser, das Licht und jedes Loch im Boden habe ich wahrgenommen, aber jeden Tag anders", sagte er einmal in einem Interview mit dem "Spiegel". Er hatte sein Thema gefunden: das Verhältnis von Mensch und Natur.
Diese künstlerischen Anfänge sind nun in London zu sehen. Wie beispielsweise "Moss Wall 1994" - eine überdimensionierte, 20 Meter lange Wand aus finnischem Rentiermoos. Der riesige lebendige Organismus ist bereits zu riechen, bevor man den Raum betritt. Darf man ihn anfassen? Unbedingt! Olafur Eliasson glaubt an einen verantwortungsbewussten, vollmündigen Museumsbesucher, dem man ein Werk nicht auf Texttafeln erklären muss. Und der es auch nicht zerstören wird.
Wasserspiele und künstliche Regenbogen
Vielmehr geht es immer wieder um die subjektive Wahrnehmung, das Erfahren von Kunst mit allen Sinnen durch die artifizielle Reproduktion von Naturphänomenen. Wasser ist dabei ein wiederkehrendes Element - so beispielsweise in "Beauty 1993": Die bekannte, schlichte Wasserinstallation erzeugt dank Scheinwerfern einen Regenbogen im Raum. Oder auch das Werk "Big Bang Fountain 2014", das rund 20 Jahre später entstand. Die Wasserfontäne in einem abgedunkelten Raum ist nur dank eines kurzen Lichtimpulses genau in dem Moment zu sehen, in dem sie an ihrem Höhepunkt in sich zusammenfällt. Zudem entwarf Eliasson mithilfe eines Gerüsts eigens für die Solo-Schau einen elf Meter hohen Wasserfall für die Terrasse des Tate Modern.
In anderen Werken wiederum ist der Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen und erfährt sich und seine Wahrnehmung neu. Etwa in "Your Spiral View" (2002), einem riesigen begehbaren Kaleidoskop aus Spiegeln. Kann man sich noch auf das verlassen, was man sieht? Eine Grenzerfahrung ist das auch in der Installation "Dein Blinder Passagier 2010", einem 39 Meter langen Nebelkorridor, in dem der Besucher nur seine Füße sieht und sich an den Wänden entlang tasten muss.
Es geht weiter
Die Schau wirkt zeitlos. Ohne Texttafeln ist es schwierig, die Jahre der Werke festzumachen. Diese seien noch genauso relevant wie vor 30 Jahren, sagte Eliasson der Deutschen Presse-Nachrichtenagentur einen Tag vor Eröffnung. Die Besucher von heute würden sie "mit neuen Augen sehen". Als Retrospektive wolle er die Ausstellung daher nicht verstanden wissen. "Ich hoffe, noch weitere 30 Jahre zu arbeiten", sagte der 52-jährige.
Die Tate Modern ist ein besonderer Ort für den dänisch-isländischen Lichtkünstler. Für die gigantische Turbinenhalle des ehemaligen Tate-Kraftwerks kreierte er 2003 im "Weather Project" eine glühende Sonne unter einer Spiegeldecke. Ein Meilenstein der Gegenwartskunst, den zwei Millionen Menschen besuchten und damit seiner Karriere einen massiven Aufschwung gab.
Kunst für Klimaschutz
Aus dem jungen Kunststudenten ist in der Zwischenzeit ein Kunstunternehmer geworden. Seit den 1990er Jahren in Berlin ansässig, unterhält er in einem ehemaligen Fabrikgebäude am Prenzlauer Berg ein Studio, in dem rund 100 Mitarbeiter seine Entwürfe umsetzen. Auch sie sind Teil der Ausstellung: Alle zwei Wochen werden einige von ihnen per Live-Schalte aus Berlin virtuell zum Gespräch nach London geholt.
Für gute Stimmung im Eliasson-Kunstbetrieb sorgt eine eigene Kantine, die sich der Isländer für seine Crew und sich leistet. Für ihn ein Ort, an dem sich alle Mitarbeiter ungezwungen treffen - und vorzügliche Biokost essen. Eigentlich für Externe geschlossen, ist die Eliasson-Cuisine während der Solo-Schau jetzt für jede und jeden zugänglich. Für die Terrace Bar des Tate Modern werden seine Köche ganz wie in seinem Berliner Studio regionale, vegetarische Kost anbieten.
In der Ausstellung wird auch Olafur Eliassons klimapolitisches Engagement deutlich. So ließ er beispielsweise 2018 mannshohe Brocken grönländischen Gletschereises vor den Eingang des Tate Modern bringen - die Londoner sollten die Möglichkeit bekommen, das Schmelzen des ewigen Eises direkt mitzuerleben. Fotos davon, ebenso wie Fotos von Gletschern in Island, die der Künstler aufgenommen hat, sind in der Schau zu sehen.
Eliasson: "Im Museum hinterfragen wir uns selber"
Auch das Londoner Museum selbst zeigt sich klimabewusst: Alle Werke der Solo-Ausstellung sind auf dem Land- oder Seeweg nach London gebracht worden. In einem Interview mit der ARD sagte Eliasson überraschend fordernd: "Es ist manchmal auch ein bisschen Arbeit, ins Museum zu gehen. Das ist nicht wie in einen Supermarkt zu gehen. Wir sind hier, um uns selber zu hinterfragen, uns selber zu untersuchen, uns selber in dem Kontext der Welt zu sehen."
So endet die Ausstellung dann auch mit einem ganz besonderen Projekt Eliassons, das weit mehr ist als Kunst: "Little Sun". Die kleine Solarlampe spendet Licht für fünf Stunden und soll vor allem vielen Familienhaushalten in Subsahara-Afrika nützlich sein, die nicht ans Stromnetz angeschlossen sind.