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Wenn Freundschaften zum Politikum werden

Hendrik Heinze2. April 2014

Mehrere französische Gemeinden wählen ultrarechte Bürgermeister - und bringen ihre deutschen Partnerstädte damit in die Klemme: Sollte man den Kontakt abbrechen? Oder soll die Weinkönigin doch hinfahren?

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Unterstützer berühren ein Wahlplakat der französischen Rechtspolitikerin Marine Le Pen
Hat in Frankreich abgeräumt - und deutsche Gemeinden ins Dilemma gestürzt: Rechtspolitikerin Marine Le PenBild: Reuters

"Gemeindepartnerschaft". Deutscher kann ein Wort kaum klingen: sachlich und organisiert, 21 Buchstaben und diverse Konsonantenknäuel. Wie französisch dagegen: "Jumelage". Bezeichnet das gleiche, klingt aber ganz anders. Das Wort für "Zwilling" steckt darin - blinde Verständigung und große Nähe.

Mehr als 2000 Partnerschaften gibt es zwischen deutschen und französischen Gemeinden. Bereits im Jahr 836 beschworen Paderborn und Le Mans ihre "ewige Liebesbruderschaft" - die älteste in Europa. Doch nun haben sich mehrere französische Gemeinden für ultrarechte Bürgermeister entschieden - und ihre deutschen Partnerstädte damit in einen echten Konflikt gebracht: Wie soll man damit umgehen, wenn aus Freunden Rechtspopulisten werden?

Sieben Stimmen und eine schlaflose Nacht

"Als ich das Wahlergebnis gelesen habe, habe ich eine schlaflose Nacht gehabt", sagt Georg Schäfer. "Und dann kam einfach die Frage: Kann das so weitergehen oder kann das nicht weitergehen. Das hat in den letzten Tagen das Wohlsein schon etwas beeinträchtigt."

Schäfer spricht über die Kommunalwahl im südfranzösischen Le Pontet. Mit nur sieben Stimmen Vorsprung eroberte ein Jungpolitiker des Front National (FN) das Bürgermeisteramt. Das deutsche Hochheim am Main ist die Partnerstadt. Schäfer ist Sprecher des Freundschaftsvereins, zu Fuß ist er in 15 Minuten am Le-Pontet-Platz direkt vor dem Rathaus. Da haben sich zwei nette Städte gefunden, beide idyllisch gelegen, beide groß im Weinanbau.

Schon seinetwegen kann Hochheim die Partnerschaft kaum kündigen: Der "Le-Pontet-Platz" vor dem Rathaus
Schon seinetwegen kann Hochheim die Partnerschaft kaum kündigen: Der "Le-Pontet-Platz" vor dem RathausBild: Brühl

Etwa 100 Hochheimer Familien haben persönliche Kontakte in die Partnerstadt - und noch ist das Vertrauen groß, dass diese Freundschaften stärker sind als alle Fremdenfeindlichkeit. Der Schüleraustausch läuft gut, erzählt Schäfer, die Schwimmvereine suchen derzeit nach Terminen für gegenseitige Besuche. Nächstes großes Projekt: Die deutsch-französische Berlinreise Ende Juni - auf der Bahnfahrt wollen sich dann alle in Ruhe unterhalten über den Rechtsruck in Le Pontet.

Die Weinkönigin hält sich zurück

Einen Kontaktabbruch lehnt Schäfer ab. "Das wäre ja Wasser auf die Mühlen der Nationalisten, wenn man jetzt sagt 'Jetzt wollen wir von euch, von der Stadt Le Pontet nichts mehr wissen'. Das ist Quatsch, das wollen wir nicht, das hat auch niemand vor."

Die offen fremdenfeindlichen Positionen des Front National kenne er, den neuen Bürgermeister der Partnerstadt aber noch nicht. "Es ist die Frage, wie freundschaftlich und herzlich man mit so jemandem umgeht", sagt Schäfer. "Da müssen wir abwarten, wie dann das persönliche Verhältnis wird, zum Beispiel bei geplanten Besuchen. Die haben immer ein großes Stadtfest an Pfingsten. Die Bürgermeisterin, die Weinkönigin und die Weinprinzessinnen, die wollten da hinfahren, wie das immer üblich war, aber die halten sich im Moment noch zurück."

Kein Handschlag mit Faschisten

War zwölf Jahre entpartnert, hat sich aber wieder gebunden: Dillenburg, Schwesterstadt von Orange
War zwölf Jahre entpartnert, hat sich aber wieder gebunden: Dillenburg, Schwesterstadt von Orange

Zwei belgische Städte haben sich bereits für einen Kontaktabbruch entschieden. "Politisch können wir nicht mit Leuten weiter zusammenarbeiten, die derartige Sichtweisen verbreiten", sagt etwa der Bürgermeister von Farciennes. In Deutschland gab es vergleichbares bereits Mitte der 1990er Jahre: Damals wählten Toulon, Vitrolles, Marignane und Orange ultrarechte Bürgermeister - sehr zum Verdruss von Mannheim, Mörfelden-Walldorf, Wolfsburg, Rastatt und Dillenburg. Einem Faschisten wolle er nicht die Hand geben, sagte damals Rastatts Oberbürgermeister. Die fünf deutschen Kommunen kündigten die jeweiligen Freundschaften - zumindest offiziell.

"Es war eine umstrittene Entscheidung"

"Die Städtepartnerschaften leben ja nicht nur über die offiziellen Kanäle und die Besuche von Bürgermeistern", sagt Dillenburgs heutiger Bürgermeister Michael Lotz, "sondern auch auf der Grundlage von Kontakten zwischen Bürgern. Und da hat eine Stadtverordnetenversammlung weder den Willen noch die Macht zu sagen: 'Ihr dürft euch nicht mehr treffen', das ist ganz klar."

War der offizielle Kontaktabbruch damals richtig? "Es war eine umstrittene Entscheidung", sagt Lotz heute. Viele seien damals der Meinung gewesen, man dürfe sich nicht zum Richter über demokratische Entscheidungen aufschwingen - gewählt sei schließlich gewählt.

Zwölf Jahre später wurde der Kontakt wieder aufgenommen. Man wollte das 50-jährige Jubiläum der Partnerschaft zusammen feiern. Und weil der Bürgermeister von Orange seine Stadt aus Sicht der Dillenburger ohne Beanstandungen regiert hatte und aus dem FN ausgetreten war, stand dem auch nichts mehr im Wege.

In Courrières erschüttert 1906 eine Explosion ein Kohlebergwerk - sofort eilen deutsche Grubenwehren aus Herne und Gelsenkirchen zum Hilfseinsatz nach Frankreich
In Courrières erschüttert 1906 eine Explosion ein Kohlebergwerk - sofort eilen Grubenwehren aus Herne und Gelsenkirchen zum HilfseinsatzBild: gemeinfrei

Der Anfang: eine Katastrophe

Kollektiver Beziehungsabbruch - das wäre heute nicht mehr denkbar, in deutschen Städten herrscht eine andere Haltung vor, wie in Herne zum Beispiel, Bergarbeiter-Stadt. Im Jahr 1906 explodierte in Nordfrankreich ein Kohlebergwerk. "Über 1000 französische Bergleute haben damals ihr Leben verloren", sagt Hernes Oberbürgermeister Horst Schiereck der DW. "Eine Rettungsmannschaft einer Herner Zeche ist hingeschickt worden. Und das war der Grundstein für diese Freundschaft, erst einmal unter Bergleuten." Seitdem ist Herne der Stadt Hénin-Beaumont verbunden - und will es bleiben.

"Das ist schon ein wichtiges Stück Völkerfreundschaft auf lokaler Ebene, das wir nicht aufgeben wollen", sagt Schiereck - ein Sozialdemokrat, von dem man vermuten darf, dass es ihm sehr zuwider ist, was der Front National so alles von sich gibt. "Das dürfen Sie", stimmt Schiereck zu. Und spricht sofort vom großen Herner Engagement gegen rechts, von alten Krieger- und neuen Shoah-Denkmälern. Der neue Bürgermeister der Partnerstadt heißt Steeve Briois und ist nicht irgendjemand im FN, er ist dessen Generalsekretär - man wird sehen, wie der rote Schiereck und der braune Briois miteinander auskommen werden.

"Die Partnerschaft hat zwei Überfälle der Deutschen auf Frankreich überstanden": Horst Schiereck
"Die Partnerschaft hat zwei Überfälle der Deutschen auf Frankreich überstanden": Horst SchiereckBild: imago/biky

Man werde sich nun beraten, sagt Schiereck, "dann werden wir schauen, was die Zukunft der Städtepartnerschaft angeht." Das klingt sanft, keine blanke Empörung, kein blinder Aktionismus. "Wissen Sie", sagt der Bürgermeister, "die Partnerschaft hat den Ersten Weltkrieg überstanden, die hat die Naziherrschaft überstanden, die hat zwei Überfalle der Deutschen auf Frankreich überstanden - ich glaube schon, dass auch ein Bürgermeister der Nationalen Front uns nicht hindern wird, weiterhin die Freundschaft zwischen Familien, Vereinen und Verbänden zu pflegen."