Europäisches Beben?
31. März 2014Gegenüber der ersten Runde konnte der Front National noch einmal zulegen und wird jetzt eine zweistellige Zahl von Bürgermeistern stellen. Prozentual ist das Ergebnis von 6,8 Prozent zwar gar nicht so berauschend, aber bloß deswegen, weil der Front nur in ausgesuchten Gemeinden angetreten war. Insgesamt hat sich die Partei als dritte Kraft im politischen System Frankreichs etabliert. Man muss sich das klarmachen: Im EU-Gründungs- und Kernland Frankreich will diese wichtige Partei raus aus dem Euro, raus aus dem grenzkontrollfreien Schengen-System, will Ausländer auf dem Arbeitsmarkt und bei Sozialleistungen gezielt gegenüber Franzosen benachteiligen und am liebsten ganz aus dem Land werfen.
Der Aufschrei in Frankreich bleibt dennoch aus. Offenbar haben sich die Franzosen schon an die neuen Verhältnisse gewöhnt, so, als wären die Rechten eine ganz normale politische Kraft. Ein Grund hierfür ist auch, dass Parteichefin Marine Le Pen ganze Image-Arbeit geleistet hat: Sie hat aus einem Haufen Krawallmachern, die der Front National unter ihrem Vater Jean-Marie war, eine salonfähige Partei gemacht. Man schämt sich nicht mehr, für ihn zu stimmen.
Schuld sind immer die anderen
Seine Anhänger leben vor allem in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit, in heruntergekommenen ehemaligen Industrierevieren, wo Frankreich den Strukturwandel verschlafen hat. Und davon gibt es leider eine ganze Menge. Das Land befindet sich im Niedergang - und es fühlt sich auch so. Schuld sind, so die Botschaft des Front National, immer die anderen: die Globalisierung, die Einwanderer, die "deutsche" Sparpolitik in Europa.
Der sozialistische Präsident François Hollande hat die Abstiegsängste noch befördert. Er hat den Franzosen zuerst weisgemacht, die alte Wohlfahrtspolitik könne so weitergehen. Und als es gar nicht mehr ging, hat er Reformen angekündigt, aber bisher nur wenig davon umgesetzt. Hollande wirkt nicht nur kraft- und mutlos in der französischen Sinnkrise, er ist geradezu zu ihrem Symbol geworden.
Ein gesamteuropäisches Phänomen
Bis zur Europawahl Ende Mai wird keine Regierungsumbildung die Stimmung ändern können. Marine Le Pen kann sich Hoffnungen machen, dass ihre Partei dann nicht nur dritte Kraft in Frankreich sein wird, sondern zweite und - nichts scheint ausgeschlossen! - vielleicht sogar erste. Ihre Chancen stehen auch deshalb so gut, weil viele Wähler dem Irrtum aufsitzen, bei Europawahlen komme es nicht so darauf an, man könne sich hier deshalb eine Protestabstimmung noch am ehesten leisten.
Dabei bestimmt das Europaparlament bei praktisch allen wichtigen Gesetzen mit, die die europäischen Bürger direkt betreffen. Vielleicht auch deshalb sind die Rechten und Europaskeptiker mittlerweile zu einem gesamteuropäischen Phänomen geworden. Ob es die UK Independence Partei (UKIP) in Großbritannien, die Lega Nord in Italien, die Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden, die Wahren Finnen oder die Alternative für Deutschland ist, ihre Abgeordneten dürften im Europaparlament Platz nehmen.
Die Macht ist vor allem destruktiv
Welchen Einfluss sie dann auf die Europapolitik haben werden, ist schwer zu sagen. Denn selbst wenn sie in großer Zahl und aus vielen verschiedenen Ländern ins Parlament einziehen, wären sie erst stark, wenn sie sich zusammenschlössen. Das wiederum ist keineswegs sicher. Dazu sind viele dieser Parteien zu unterschiedlich, auch einfach zu "national". Es mag bei ihnen und ihren Wählern eine gemeinsame Grundströmung geben, zum Beispiel Widerstand gegen weitere europäische Integration und gegen Einwanderung: Die Unterschiede sind aber erheblich.
So will der Front National die Menschen vor der Globalisierung schützen, die britische UKIP ist dagegen für freien Welthandel; PVV-Chef Geert Wilders ist betont israelfreundlich, andere Rechtsparteien sind mehr oder weniger antisemitisch. Doch ob vereint oder auch jede für sich: Diese Parteien werden zumindest ein erhebliches Störpotenzial haben. Ihre Kraft ist vor allem destruktiv.
Europa muss begründet werden
Damit werden sie den etablierten Parteien im Europaparlament das Leben schwer genug machen. Und eine entscheidende Frage wird sein, wie die Altparteien auf die Herausforderung reagieren: Rücken sie umso stärker zusammen, oder lassen sie sich auf einen politischen Wettbewerb mit den Extremen ein, den sie nur verlieren können, weil die Rechten das Original, die klassischen Parteien dagegen die "Weichlinge" sind? Dann würden die Rechten die Agenda bestimmen.
Dennoch sollte man einen erwarteten Rechtsruck nicht schon jetzt als Schicksalsschlag hinnehmen. Überzeugte Europapolitiker haben noch zwei Monate Zeit, um ihre Argumente wirken zu lassen: zum Beispiel, dass sich die europäische Konsolidierungspolitik inzwischen auszuzahlen beginnt, oder - ganz aktuell -, dass sich ein Herr Putin bestimmt nicht von einzelnen europäischen Ländern beeindrucken lässt, von der eng abgestimmten Politik eines ganzen Kontinents aber vielleicht schon.
Ein vereintes Europa ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Darauf haben die politischen Eliten leider zu lange vertraut. Europa hat aber sehr gute Argumente auf seiner Seite. Man muss sich nur die Mühe machen, sie auch vorzubringen.