Lärm verschmutzt die Welt
13. März 2018"Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso bekämpfen müssen, wie die Cholera und die Pest." Als der Nobelpreisträger und Tuberkulose-Entdecker Robert Koch diesen Satz sagt, ist die Welt noch eine andere. Wir schreiben das Jahr 1910. Verbrennungsmotoren und Dampfmaschinen gibt es bereits, aber vom Menschen verursachte, störende Geräusche spielen noch nicht die gleiche Rolle wie heute.
Um die Aussage des Mediziners zu verstehen, muss man wissen, was Lärm ist. Denn nicht jedes Geräusch ist Lärm, aber jedes Geräusch hat das Potential zu Lärm zu werden. Dorota Jarosińska von der World Health Organization (WHO) hat eine Bezeichnung dafür: "unerwünschte Geräusche".
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"Lärm ist ein sehr weit verbreiteter Umweltfaktor", sagt sie. "Es ist sinnvoll zu unterscheiden. Wir sind umgeben von natürlichen und künstlichen Klängen, aber nicht alle sind Lärm, weil Lärm nur der unerwünschte Klang ist." Was uns also in den Ohren schmerzt, kann zum Problem werden. Es sind vor allem die impulsartigen Geräusche, die hier eine Rolle spielen. Übrigens nicht nur für den Menschen, sondern genauso für Tiere in allen erdenklichen Lebensräumen.
Allerdings muss man klarstellen, dass nicht alle Geräusche, die als Lärm empfunden werden, menschengemacht sind. Es sind aber die meisten. "Ich glaube, dass die Taube auf dem Fensterbrett manche Menschen stören kann. Klassische Musik, die menschengemacht ist, stört uns vielleicht nicht so sehr", sagt Dr. Maxie Bunz vom Umweltbundesamt. "Generell ist es so, dass die Geräusche in der Natur meistens nicht so laut sind, dass sie allein aufgrund ihrer Lautstärke als störend empfunden werden. Die verbinden wir auch oft mit etwas Schönem, wie z.B. das Meeresrauschen, und allein dadurch hat es schon einen nicht so negativen Effekt wie das Straßenreinigungsfahrzeug, das an uns vorbeirauscht."
Heißgelaufen: Lärm beim Menschen
Wenn wir das Straßenreinigungsfahrzeug aber durch eines der frühen tuckernden Automobile ersetzen, kommen wir der Aussage Robert Kochs schon ein Stück näher. Denn "Menschen haben schon immer ab einem gewissen Punkt Lärm als Lärm empfunden", so Maxie Bunz weiter und das Hören ist immer da, selbst wenn wir schlafen. "Damit wir im Falle einer Notsituation schnell reagieren, also aufwachen können, weglaufen können, kämpfen können."
Im Umkehrschluss heißt das: Wir sind alarmiert, immer und überall. Und weil das so ist, laufen wir manchmal heiß. "Tatsächlich kann die Lärmbelastung ernsthafte Auswirkungen auf unseren Körper, aber auch auf unsere Psyche und das Wohlbefinden haben", sagt Dorota Jarosińska. Eine Konsequenz dieser Dauerbeschallung kann sein, dass unser Körper mit Stress reagiert, mit Bluthochdruck, einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
Wie ein Tsunami: Lärm bei Säugetieren
"Setz dich doch mal an einen einsamen Ort draußen. Lauf eine einsame Straße entlang. Das erste Auto, das dir begegnet, wird sich wie ein Regiment von Panzern anhören." Dieses eindrückliche Bild formuliert der Tierkundler Charles Forster in seinem Buch Being a Beast.
Der Autor, mehr Poet als Wissenschaftler, arbeitet beim Green Templeton College der University of Oxford. In seinem Werk versucht er zu ergründen, wie es ist ein Tier zu sein. Als Dachs beispielsweise hauste Forster wochenlang in einer Erdhöhle. Eine offenbar sehr erhellende Erfahrung, auch bezogen auf den menschengemachten Lärm.
"Dachse bekommen nicht nur eine Menge mehr mit als wir", schreibt er. "Ihre Sensibilität gegenüber Geräuschen (...) ist ebenfalls größer. Es wird vermutet, dass sie hören können, wie sich Regenwürmer durch die Erde graben. Und nun stellen Sie sich vor, was der Geräusch-Tsunami eines nahenden Autos mit einem Tier macht, das so etwas kann."
Dachse werden regelrecht überrumpelt vom Krach der Menschen. Und nicht nur sie, wie Untersuchungen des Verhaltensbiologen Andrew Radford von der University of Bristol zeigen. Er hat mit seinem Team Zwergmungos in Südafrika untersucht. Die Tiere, sagt er, würden sozusagen die Fähigkeit verlieren, angemessen auf Gefahren zu reagieren.
Die Wissenschaftler haben in Feldversuchen den kleinen Insektenfressern Kotproben ihrer Fressfeinde vorgelegt und gleichzeitig Tonaufnahmen mit menschengemachtem Lärm eingespielt. Das Ergebnis: Für die Tiere ist das bedrohlich, denn sie haben die potentielle Gefahr seltener bemerkt als in einer ruhigen Umgebung.
"Sie waren abgelenkt und weniger wachsam", so Radford. "Krach kann akustische Signale und Reize überdecken. Man bekommt also überhaupt nichts mehr mit oder nur einen Teil der Information oder man versteht sie falsch. Wenn man von einer Geräuschquelle abgelenkt wird, neigt man dazu, weniger fokussiert zu sein."
Neben den Mungos haben die Wissenschaftler auch den Einfluss von ungesundem Krach auf verschiedene Fischarten untersucht. Wie Landsäuger spielen auch diese eine eher untergeordnete Rolle in der Forschung, so der Biologe. Dabei lassen sich bei beiden sehr ähnliche Ergebnisse beobachten.
"Wir finden Beispiele für unsere Ergebnisse bei beiden, Fischen und Mungos. Sie verbringen weniger Zeit mit der Futtersuche, machen mehr Fehler, sind weniger erfolgreich bei der Jagd." Selbst die Pflege des Nachwuchses leidet darunter, fügt er hinzu.
Beispielsweise würden Arten, die ihren Eiern Frischwasser zufächeln, weniger konsequent mit den Flossen wedeln. Damit gefährdeten sie ihre Nachkommen. Käme dann noch hinzu, dass sich gestresste Fische nicht so oft paaren, sinke allein dadurch die Zahl der Individuen.
Das große Beben: tödlicher Lärm unter Wasser
Für Unterwasserbewohner ist es sehr schwer, störenden Schallquellen zu entgehen. Das liegt an der physikalischen Beschaffenheit des Wassers. Schall breitet sich hier ca. fünfmal schneller aus als an Land. Er wird auch weniger stark absorbiert (bzw. gedämpft) und dringt deshalb auch in Gebiete vor, die weit vom eigentlichen Emissionsort entfernt liegen, beschreibt Alexander Liebschner vom Bundesamt für Naturschutz.
Vor allem tiefe Frequenzen seien problematisch, sagt er. Ein Beispiel sei der Bau von Offshore-Windenergieanlagen, deren gewaltige Fundamente im Meeresboden verankert werden müssen. Der Schall, der dabei entstehe, könne für Tiere, die sich in der Nähe aufhalten, auch tödlich sein.
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Ähnlich sieht es bei der Seismik aus, einem Verfahren, mit dem unter Wasser nach Rohstoffen, Erdöl oder Erdgas gesucht werden kann. Auch dabei wird mit Hilfe von sogenannten Schallkanonen (Airguns) Schall impulshaft ausgesendet. Je nachdem, in welcher Tiefe des Meeresbodens nach Rohstoffen gesucht wird, ist der Lärm, der dabei entsteht, das Lauteste, was technisch Unterwasser erzeugt werden kann. Und mehr noch: "Man geht davon aus, dass man seismische Untersuchungen fast überall permanent im Meer empfängt und diese Signale sich über Hunderte von Kilometern ausbreiten", so Liebschner. Infolgedessen wird, wie an Land bei Mensch oder Mungo, überlebenswichtige Information vom Schall überlagert.
"Bestes Beispiel sind Delfine oder Wale", sagt der Meeresforscher. "Die orientieren sich über ihr Gehör, ihr Echo-Sonar. Das basiert ebenfalls auf akustischen Wellen, welche auch zum Beutefang oder auf der Flucht vor Räubern genutzt werden."
Lärm: Der Mensch macht's, aber langsam
Das Hauptproblem ist die Variabilität des Themas. Nicht jedes Tier und nicht jeder Mensch reagiert auf dieselbe Weise auf denselben Lärm, sagen die Experten. Menschen können sich an konstant auftretende Geräusche gewöhnen, Tiere gehen der Störquelle womöglich manchmal auch aus dem Weg.
Kann man Lärm nun bekämpfen wie Cholera oder Pest? Man kann es versuchen. Der Mensch kann für sich selbst etwas tun, und sei es nur nachts einen Hörschutz zu tragen, um die nervenaufreibenden Geräusche auszublenden. Wirksame Maßnahmen und verbindliche Grenzwerte gegen Krach unter Wasser gibt es auch.
"Die Industrie versucht diese Werte einzuhalten, und man hat sich sehr viele Gedanken gemacht, wie man die Rammgeräusche bei Offshore-Windenergieanlagen reduzieren kann", sagt Alexander Liebschner.
Aber das kann dauern bis sich so etwas weltweit durchsetzt. Und es gibt ja noch mehr Lärmquellen. Als Robert Koch also vor mehr als 100 Jahren den Lärm als ein drängendes Problem anspricht, greift er ein Thema auf, das auch heute noch drängt, bei dem man aber, zwangsläufig, nur sehr langsam vorankommt.