Energiewende: Stolperstein Naturschutz
21. Juli 2016Es ist ein grauer Sommermorgen in Bremerhaven. Der Wind zerrt angestrengt an einem Bauzaun. Davor ein Schild mit der Aufschrift "Hier entsteht der Offshore-Terminal Bremerhaven (OTB)". Dahinter gähnende Leere - kein Baulärm, der das Kreischen der Möwen übertönt.
Den Bau des Schwerlasthafens für den Umschlag von Offshore-Windenergieanlagen hat das Bremer Verwaltungsgericht schon im Mai gestoppt - nach Klage des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Begründung der Naturschutzorganisation: Reformen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) machten das Terminal überflüssig. Erhebliche Teile des Lebensraums Weserwatt würden verloren gehen. Das angrenzende Naturschutzgebiet Luneplate sei bedroht.
Es klingt paradox: Die Energiewende - das klimafreundliche Aushängeschild Deutschlands - soll dem Naturschutz im Weg stehen? EEG-Reformen werden zum Trumpf von Naturschützern? Ist denn Klimaschutz nicht auch gleich Naturschutz?
"Technisierung der Landschaft"
"Es gibt eine Menge Synergien bei Klima- und Naturschutz, denn Klimaschutz ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt bestimmter Lebensräume und die Artenvielfalt", sagt Kathrin Ammermann, Leiterin des Fachgebiets Naturschutz und Erneuerbare Energien des Bundesamts für Naturschutz (BfN). Dennoch gäbe es auch eine ganze Menge Konfliktpunkte bei einzelnen Ausbauprojekten Erneuerbarer Energien.
Für Reinhard Klenke, Naturschutzforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, ist das Konfliktpotenzial eindeutig: "Mit der Energiewende kommen neue Formen der Landnutzung hinzu, eine Art Technisierung der Landschaft. Solaranlagen, Windkraftanlagen mit ihrer Infrastruktur und großflächige Mais- oder Rapsfelder für Bioenergie verändern das Landschaftsbild. Das hat vielfältige Konsequenzen für den Naturhaushalt und die Artenvielfalt."
Ein Naturschutzgebiet steht im Weg
So auch in Bremerhaven: Das geplante Baugebiet des Offshore-Terminals (OTB) im Weserwatt auf Höhe des Fischereihafens schließt eine Gewerbefläche auf dem geschützten Gebiet der Luneplate mit ein. Seit Anfang 2015 ist das Marschgrünland der Luneplate zusammen mit dem Bremerhavener Weserwatt das größte Naturschutzgebiet des Landes Bremen. Außerdem ist es als EU-Vogelschutzgebiet mit etwa 70 Wasser- und Wattvogelarten von internationaler Bedeutung.
Die Hafengesellschaft "bremenports" hatte mit der Renaturierung der Luneplate in der 90er Jahren einen Ausgleich für Hafenbaumaßnahmen geschaffen. Das Umweltbundesamt lobte das Kompensationsprojekt in seinem Handbuch für gute Praxis aus dem Jahr 2013 als "vorbildliches Beispiel".
Von den nun geplanten Kompensationen hält Martin Rode, Geschäftsführer von BUND Bremen, jedoch wenig: "Im Wesentlichen handelt es sich um Maßnahmen, die auf bereits bestehende Kompensationsmaßnahmen aufgesattelt werden sollen, damit haben wir überhaupt keinen Gewinn für die Natur."
Ein Konflikt kocht hoch
Neben dem besonderen Schutzinteresse für die Luneplate sieht sich der BUND in seiner Klage auch durch die im Juli verabschiedete EEG-Reform bestätigt, die eine Reduzierung der Ausbaumengen für Offshore-Windkraftanlagen vorsieht.
Für Rode wird der OTB "am Bedarf vorbei" geplant: "Die Rahmenbedingungen rechtfertigen das Terminal nicht mehr. Die jüngste EEG-Reform ist da ein weiteres Mosaiksteinchen."
Martin Günthner, Senator für Wirtschaft und Häfen des Landes Bremen, hat für die Klage indes wenig Verständnis: " Der OTB ist Bremens zentraler Beitrag zum Gelingen der Energiewende. Es bleibt unverständlich, dass ein Umweltverband ein Projekt, das dem Klimaschutz dient, juristisch bekämpft.“
Konflikte wie diese sind für Kathrin Ammermann vom Bundesamt für Naturschutz nichts Neues: "Oft zeigt sich vor Ort in den Genehmigungsverfahren oder in der Planung von Windkraft-, Photovoltaik- und Wasserkraftanlagen, was da an Konflikten hochkocht."
Auf den Standort kommt es an
Die Standortwahl sei die maßgebliche Möglichkeit, um Konflikte so gut wie möglich zu vermeiden. "Eine andere Möglichkeit ist die Ausgestaltung der Anlage. Zum Beispiel kann man bei Wasserkraft Fischpässe integrieren, sodass die Fische die Anlage passieren können", so Ammermann. Für Windkraft seien Abschaltalgorithmen entwickelt worden, um die Anlage abschalten zu können, wenn kaum Wind weht und Fledermäuse aktiv sind.
Damit Umweltauswirkungen der Erneuerbaren Energien schon bei der Standortwahl berücksichtigt werden können, fehlt zum Teil noch die wissenschaftliche Grundlage. Diese will das Bundesamt für Naturschutz mit dem Projekt "EE-Monitor" schaffen.
Das Forschungsvorhaben gestaltet sich als sehr aufwendig, sagt der Biologe Reinhard Klenke. "Eine Aufgabe des Projektes EE-Monitor ist es, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu dokumentieren. Die Anlagen sind sichtbar, aber die flächenhaften Auswirkungen nicht immer. Viele Wirkungszusammenhänge kennen wir noch nicht."
Ein Beispiel für so einen Wirkungszusammenhang sei der Rotmilan. "Große Raps- und Maisfelder für Bioenergie sind für den Rotmilan wie eine versiegelte Decke. Er muss bei der Futtersuche also länger fliegen. Dadurch steigt das Risiko, in Kontakt mit Windkraftanlagen zu kommen", so Klenke.
Umweltministerium will vermitteln
Eine Hilfe für Forscher als auch Konfliktparteien soll indes das "Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende" bringen, das seit dem 1. Juli seine Arbeit aufgenommen hat und Fachwissen und Erfahrungen aus der Praxis bündeln will. "Ich möchte im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Energiewende einen konstruktiven Beitrag leisten", so Bundesumweltministerin Barbara Hendricks bei der Eröffnung des Kompetenzzentrums.
Bei Konflikten sollen Beteiligte der Energiewende und des Naturschutzes zusammengebracht werden und Mediatoren beim Austausch helfen.
Dies kommt für den Konflikt um das Offshore-Terminal in Bremerhaven (OTB) zu spät. Statt Mediatoren werden Richter am Leipziger Bundesverwaltungsgericht den Konflikt lösen. Das Land Bremen erwartet eine Entscheidung im Laufe des nächsten Jahres.