Weniger Plastikmüll: Unverpackt einkaufen
23. Mai 2023Die Aromen, die beim Öffnen der Ladentür aus dem Inneren strömen, sind so ganz anders als der neutrale Geruch von Supermärkten. Der Duft verschiedener Gewürze, ätherischer Öle und aus der Backstube kitzelt die Nasenschleimhäute. Hier halten keine Plastikhüllen die Lebensmittel davon ab, ihre Aromen zu entfalten. Es riecht nach unverpackt.
Und genau darum geht es Olga Witt, der Inhaberin des Geschäftes Tante Olga in Köln: unnötige Verpackungen vermeiden. Ihre Waren befinden sich in großen Glasröhren, die dicht an dicht eine Wand bedecken. Auf der Theke windet sich eine creme-weiße Teigsubstanz in einem großen Einmachglas mit der Aufschrift: Sheabutter. Gegenüber im Regal reiht sich ein Keramiktopf mit Gewürzen und Kräutern an den nächsten. Wer hier einkauft, muss seine eigenen Verpackungen mitbringen. Der Effekt ist groß: "Durch uns landet 84 Prozent weniger Verpackung im Müll", sagt Christine Holzmann vom Verband der Unverpackt-Läden.
Viele Unverpackt-Läden mussten schließen
"In Deutschland gibt es derzeit rund 260 solcher sogenannter Unverpackt-Geschäfte", so Holzmann. Die Pandemie hat ihren Tribut gefordert. "Das absolute Hoch hatten wir vor Beginn der Corona-Pandemie, da hatten wir 330 Mitglieder-Läden." Die Unverpackt-Branche stehe angesichts steigender Lebensmittelpreise und Kaufzurückhaltung genauso wie viele andere Fachgeschäfte vor Herausforderungen, so der Verband. Trotzdem seien weitere 108 Läden zur Zeit in Planung.
Auch andere Geschäftsmodelle, die vor kurzem noch angesagt und zukunftsorientiert wirkten, spüren angesichts der sinkenden Kaufkraft vieler Menschen plötzlich Gegenwind. "Bio-Fachgeschäfte und Hofläden stecken ebenfalls zum Teil in einer existenziellen Krise", sagte kürzlich der Handelsexperte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn.
"Wir haben in der Tat drei schwierige Jahre hinter uns mit Corona und Inflation", erzählt auch Olga Wittig. "Aber wir merken, dass sich die Lage gerade stabilisiert und es auch wieder aufwärts geht."
Ausmaß des Problems
Was früher einmal lose verkauft wurde, ist heute meist verpackt. So werden beispielsweise Obst und Gemüse zu über 60 Prozent in Plastik- oder Papierverpackungen angeboten, heißt es von der Umweltorganisation Nabu. Doch Verpackungen sorgen für viel Müll. Private Endverbraucher waren 2020 für gut 8,7 Millionen Tonnen Verpackungen verantwortlich. Schaut man sich den Pro-Kopf-Verbrauch an Verpackungen an, ist Deutschland europäischer Spitzenreiter. Das heißt: die Deutschen verbrauchen rund 36 Prozent mehr Verpackungen als der durchschnittlichen EU-Bürger. Im Bereich Kunststoffverpackungen hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland fast verdoppelt.
Meist nur einmal benutzt, landen viele der Verpackungen im Müll. In Europa werden etwas mehr als 40 Prozent der Kunststoffabfälle für die Energierückgewinnung genutzt - also verbrannt. Nur gut ein Drittel (36 Prozent) wird recycelt, 23 Prozent landet auf Deponien.
Handel und Industrie profitieren von Verpackungen
Warum wird trotzdem so viel verpackt? Zumal Verpackungen auch Kosten verursachen? Das Deutsche Verpackungsinstitut argumentiert, Verpackungen würden die Ware schützen. Rund 90 Prozent der ökologischen Belastung würde bei der Produktion der Lebensmittel entstehen, nur zehn Prozent bei der Herstellung der Verpackung. Der Schaden sei also viel größer, wenn die Nahrung verderbe, als wenn sie mit einer Verpackung geschützt werde.
Klare Vorteile hat auch der Handel, denn verpackte Waren sind leichter zu transportieren und die Verpackung treibe Kundinnen und Kunden dazu, mehr zu kaufen, als sie es unter Umständen bei unverpackter Ware tun würden, heißt es vom Nabu. Zudem sorge der Trend, kleinere Mengen extra zu verpacken und unterwegs zu konsumieren, für mehr Verpackungen.
In Deutschland steht hinter den Verpackungen eine große Industrie, vor allem für die Materialien Papier und Pappe sowie Kunststoffe. Sie setzt jährlich über 35 Milliarden Euro um und beschäftigt 117.000 Menschen. Das könnte auch erklären, warum hierzulande der Gesetzgeber nicht stärker reguliert. "Mit gut organisiertem Lobbydruck sorgt die Plastikindustrie dafür, dass die wachsende Produktion von Kunststoffen als Problem aus dem Blick gerät", heißt es im Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung von 2019. Die Botschaft: "Das Müllproblem lässt sich durch Recycling in den Griff bekommen." Eine Reduktion der Plastikproduktion soll nicht in Frage gestellt werden.
So gibt es zwar eine Plastiksteuer in der EU, die Einwegplastik verteuern soll. In vielen Ländern ist sie auch umgesetzt worden, aber nicht in Deutschland. Auch die Mineralölsteuer in Deutschland verteuerte alle Weiterverarbeitungsarten von Rohöl, also Benzin, Diesel oder Heizöl. Plastik, das aus Erdöl gewonnen wird, aber nicht, was einer versteckten Subventionierung gleichkommt. Laut einer Studie vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft haben Unternehmen bei der Plastik-Produktion beispielsweise im Jahr 2013 dadurch rund 780 Millionen Euro Steuern gespart.
Alternativen zum Plastik möglich?
Was aber, wenn Plastik nicht mehr aus Erdöl produziert wird, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen? Manche Hersteller werben auch damit, dass ihr Kunststoff biologisch abbaubar sei beziehungsweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurde. Das Umweltbundesamt (UBA) warnt vor solchen vermeintlichen Lösungen.
Für solche Bio-Kunststoffe gebe es bisher keinen Recyclingpfad, heißt es auf der UBA-Internetseite. Sie würden in Sortieranlagen schlichtweg aussortiert und energetisch verwertet, sprich verbrannt. Auch die Bioabfalltonne sei keine Alternative, da diese Bio-Plastik-Produkte in Kompostieranlagen nicht gut abgebaut werden könnten. Zudem würden, auch wenn Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, für die Produktion dieser Rohstoffe fossile Rohstoffe (Anbau, Fahrzeuge, Maschinen, usw.) benötigt und oft müssten natürliche Wälder weichen, um Anbauflächen zu gewinnen.
Kundschaft kommt nicht aus einer Blase
Wer wirklich der Umwelt und dem Klima etwas Gutes tun möchte, muss also versuchen, Verpackungen zu vermeiden. Aber kann sich jeder den Einkauf in einem Unverpackt-Laden leisten?
Für Jana Nehrlich, Inhaberin von Zollstock Unverpackt, einem weiteren Unverpackt-Laden in Köln, ist das Argument, unverpackt sei automatisch teurer, ein Vorurteil, mit dem sie aufräumen will. "Unverpackt bedeutet in erster Linie ganz oft Bio, das heißt die Preise bei uns im Unverpackt-Laden dürfen nicht mit denen in einem konventionellen Supermarkt oder Discounter verglichen werden, sondern mit Waren in Bio-Geschäften. Außerdem, fügt sie an, "wenn die Kundinnen und Kunden nur so viel einkaufen, wie sie wirklich brauchen, würden sie weniger bezahlen und unter Umständen auch weniger entsorgen".
Es sei nicht immer eine Frage des Geldbeutels, "es ist eine gewisse Überzeugung, es einfach zu versuchen und mal reinzugehen," sagt Nehrlich. Mit ihrem Konzept hat sie Menschen aus allen möglichen sozialen Schichten überzeugt. "Wir haben junge Leute, Studenten, Berufsschülerinnen, aber genauso auch ältere Leute - auch über 80-Jährige, die mit ihrem Rollator hierherkommen. Unsere Kundinnen und Kunden kommen aus der Türkei, aus Russland, der Ukraine und neuerdings auch aus Äthiopien", erzählt sie.
Offener gegenüber dem Konzept Unverpackt-Laden sind die Menschen in Frankreich, meint Christine Holzmann vom Verband für Unverpackt-Läden. Auch in der Schweiz oder in Spanien gebe es viele Unverpackt-Läden. "In Deutschland sind wir momentan noch in einer Nische, aber wir kämpfen sehr stark dafür, aus dieser Nische rauszukommen und gesellschaftsfähiger zu sein."