Welche Strategie gegen Boko Haram?
9. Mai 2014In Nigeria wachsen Wut und Angst. Mittlerweile verübt die islamistische Terrorgruppe Boko Haram mehrmals pro Woche blutige Anschläge oder spektakuläre Entführungen. Und sie schlägt längst nicht mehr nur in ihren Hochburgen im Norden zu, sondern im ganzen Land, selbst in der Hauptstadt Abuja. Der Stadtteil Nyanya war zweimal innerhalb kurzer Zeit Ziel von Bombenanschlägen der Terroristen. Auf dem Markt von Nyanya, unmittelbar neben einem der Anschlagsorte, ist nicht nur Angst, sondern auch eine große Hilflosigkeit der Nigerianer zu spüren gegenüber der unaufhaltsam wachsenden Bedrohung durch Boko Haram. Hilfe aus dem Ausland müsse her, fordert deshalb einer der Passanten. "Es gibt keine Sicherheit mehr in diesem Land", klagt er. Auf den eigenen Präsidenten Goodluck Jonathan und dessen Sicherheitskräfte hofft dieser Nigerianer nicht mehr: “Der versucht es ja, aber alleine schafft er es nicht.“
Seit Jahren setzt die Regierung darauf, Boko Haram militärisch zu besiegen. In den drei am schlimmsten betroffenen Bundesstaaten verhängte sie den Ausnahmezustand, um den Sicherheitskräften weitgehend freie Hand zu geben. Angesichts der Erfolglosigkeit dieser Strategie fordern einige Beobachter sogar einen Dialog mit den fanatischen Islamisten. 2013 war dafür sogar ein - weitgehend erfolgloses - sogenanntes Amnestie-Komitee gegründet worden. Die Idee, die Waffen im Gegenzug für Strafffreiheit niederzulegen, lehnte Boko Haram allerdings stets ab. Hildegard Behrendt-Kigozi, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Abuja, ist dennoch verhalten optimistisch: “Ich glaube, mit Teilen der Gruppe ist ein Dialog möglich.“ Wichtig sei ihr, dass dieser zügig beginnt, “damit sich die Anschläge nicht weiter verstärken und im ganzen Land ausbreiten“.
Präsident Goodluck Jonathan Gespräche hat sich allerdings meist gegen Gespräche mit den Terroristen gesperrt. Erst am vergangenen Sonntag (04.05.2014) bekräftigte er während einer Diskussion mit Journalisten, dass ein Dialog nicht möglich sei. Die Gruppe habe kein Gesicht und biete somit keinen Ansprechpartner.
Geiselbefreiung oder Austausch?
Viele Nigerianer empfinden das als Schutzbehauptung. Suran Darba, der aus dem Norden Nigerias stammt, gehört dazu. Er glaubt, Jonathans Regierung habe sehr wohl Möglichkeiten, Boko Haram das Handwerk zu legen. "Ich denke, die Regierung hat nichts getan", sagt Darba, "und die Hintermänner können sich problemlos bewegen.“ Er fordert, dass vor allem die Geldgeber der Terroristen aufgedeckt werden müssten. Denn ohne ihre Geldquellen könne Boko Haram zum Beispiel keine neue Waffen und Autos mehr kaufen. Immer wieder wird in Nigeria spekuliert, dass auch einflussreiche Politiker im Norden zu den Financiers der Terroristen gehören könnten.
In diesen Tagen finden allerdings viele Nigerianer die Frage am dringendsten, wie die mehr als 200 entführten Schülerinnen aus Chibok gerettet werden können. Seit mehr als drei Wochen befinden sie sich in der Gewalt von Boko Haram. Deren Anführer Abubakar Shekau drohte, die Mädchen als Sklavinnen zu verkaufen. Schnelles Handeln der Sicherheitskräfte scheint notwendig, ist aber auch gefährlich. Hildegard Behrendt-Kigozi befürchtet, die Terroristen könnten die Geiseln als lebende Schutzschilde missbrauchen.
Behrendt-Kigozi hält deshalb auch in diesem Punkt Verhandlungen für sicherer. “Vielleicht könnte man die Mädchen im Austausch gegen gefangene Boko-Haram-Kämpfer freikaufen. Das wäre wahrscheinlich die weniger gefährliche Methode.“
Internationale Kooperation
Bei der Befreiung der Mädchen sollen nun Spezialisten aus den USA den nigerianischen Sicherheitskräften helfen. Für Emmanuel Nnadozie Onwubiko von der Organisation „Schriftsteller für Menschenrechte“ ist das ein Schritt in die richtige Richtung. “Wir brauchen internationale Partner im Kampf gegen den Terrorismus.“ Onwubiko wünscht sich auch über den aktuellen Entführungsfall hinaus eine stärkere Vernetzung mit dem Ausland.
Wichtig ist aus Sicht Onwubikos darüber hinaus auch eine bessere Ausbildung des Militärs. Der jüngste Überfall Boko Harams nahe der Grenze zu Kamerun unterstreicht für ihn diese Notwendigkeit. Im Dorf Gamboru Ngala sollen die Islamisten am Montag bis zu 300 Menschen ermordet haben. “Diese Leute kommen im Schutz der Nacht, greifen an und verschwinden wieder. Sie sind bewaffnet und sehr gut ausgebildet.“ Nigerias Soldaten seien vor allem in traditioneller Kriegsführung ausgebildet, nicht aber im Umgang mit sehr mobilen Terroristen.