Weiter Streit um documenta
20. Januar 2022Zankapfel ist nach wie vor die Frage, ob Ruangrupa, das indonesische Künstlerkollektiv, das die "documenta fifteen" leitet, antisemitisch handelte, als es das palästinensische Künstlerkollektiv "Question of Funding" nach Kassel einlud. Die Gruppe hat ihren Sitz in Ramallah im Westjordanland. Ursprünglich wurde sie unter dem Namen Khalil al Sakakini Cultural Center (KSCC) eingeladen.
Kritik an Beteiligung palästinensischen Künstlerkollektivs
Namensgeber ist der arabische Nationalist Khalil al-Sakakini (1878-1953), der mit den Nationalsozialisten sympathisierte und gegen eine "jüdische Weltverschwörung" agitierte. Darauf hatte ein Kasseler "Aktionsbündnis gegen Antisemitismus" in einem Blog hingewiesen. Dem Sprecher des palästinensischen Kollektivs, dem 1981 in Syrien geborenen Architekten und Autor Yazan Khalili, wirft das Bündnis zudem vor, antisemitische Positionen zu vertreten. Ein Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" griff die Vorwürfe auf. Seither zieht die Debatte immer weitere Kreise.
An diesem Donnerstag (20.01.2022) meldete sich nun auch die jüdische Gemeinde in Kassel zu Wort. Ihre Vorsitzende, Ilana Katz, bezeichnete die Diskussion im Gespräch mit der Deutschen Welle als "nicht einfach". Es gelte, jeden Schaden für Kassel und die Documenta zu vermeiden, so Katz. Und selbstverständlich habe das Kuratorenteam bei der Auswahl von teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern alle Freiheit, die es braucht. Das Khalil al Sakakini Cultural Center (KSCC) stufe sie allerdings als "problematisch" ein, so Katz. "Das Kuratorenteam besteht aus Profis und muss für seine Entscheidung Verantwortung übernehmen", so Katz. Die Documenta solle wachsam sein und Provokationen gegen die jüdische Gemeinde vermeiden. Katz steht seit 15 Jahren an der Spitze der Jüdischen Gemeinde Kassels.
Documenta weist Antisemitismusvorwürfe zurück
Handelten die Kuratoren wider besseres Wissen? Schauten sie nicht so genau hin? Trägt die Programmplanung zur Weltkunstausstellung in Kassel antisemitische Züge? Die Kuratorengruppe Ruangrupa weist sämtliche Antisemitismusvorwürfe zurück, ebenso die gastgebende "documenta und Museum Fridericianum gGmbH".
Grundlage der documenta sei die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits, teilte die gemeinnützige Gesellschaft am Mittwoch mit. "Das Recht aller Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben in Frieden, Würde und Sicherheit ist für das Team der 'documenta fifteen' elementar."
Experten zu Symposium eingeladen
Es sei Aufgabe der documenta gGmbH, Kunst Räume zu eröffnen, in denen unabhängige und konträre Diskurse stattfinden dürfen. "Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der 'documenta fifteen' vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte." Gegen externe Eingriffe in diesen künstlerischen Freiraum verwehre sich die "documenta fifteen".
Die Gesellschaft will nun "zeitnah" Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen, darunter der Kolonialismus- und Rassismusforschung, Holocaust- und Antisemitismusforschung sowie Kunst und Kultur, zu einem internationalen Forum einladen. "Im Sinne einer offenen und vielstimmigen Debatte" solle dabei über "das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" diskutiert werden.
Expertenforum zu Kunstfreiheit und Rassismus
Zuvor hatte sich die Politik hinter die documenta-Organisatoren gestellt. Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte nach Beratungen mit Vertretern von documenta, Stadt Kassel und Land Hessen, sie begrüße den Vorschlag für ein internationales Expertenforum. "Ich finde es richtig, dass die documenta Gelegenheit geben will, in eine Debatte einzutreten, um das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts des Kampfes gegen Rassismus und Antisemitismus und Islamophobie zu diskutieren und werde sie auf dem Weg dahin unterstützen", so Roth.
Ähnlich äußerte sich Hessens Kunstministerin Angela Dorn, die auch stellvertretende Vorsitzende des documenta-Aufsichtsrates ist.
Kein Eingriff in künstlerische Freiheit
Nach Informationen der Deutschen Presseagentur will der Aufsichtsrat zu einer Sondersitzung über die Antisemitismus-Vorwürfe zusammenkommen. Kassels Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta gGmbH, Christian Geselle, hatte die Vorwürfe gegen Ruangrupa ebenfalls zurückgewiesen. Einen Eingriff in die künstlerische Freiheit dürfe es nicht geben, so Geselle, "auch nicht durch Überprüfung oder gar Beschlüsse in den Gremien der Gesellschaft". Strafrechtlich relevante Verstöße lägen nicht vor.
Die documenta gilt als die international wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Ihre nächste Ausgabe soll vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel stattfinden.