"Neuwahlen brauchen neue Gesichter"
25. Februar 2015In der vergangenen Woche hatte Josef Weidenholzer mit einer Delegation des Unterausschusses für Menschenrechte des Europäischen Parlaments Bangladesch besucht und Gespräche mit Vertretern von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft geführt.
Deutsche Welle: Was war Ihr Eindruck von der politischen Lage in dem Land?
Josef Weidenholzer: Das Straßenbild in Bangladesch ist an sich sehr ruhig. Da merkt man nicht unbedingt viel von den Spannungen. Wenn man aber mit Menschen unterschiedlicher Positionen redet - von Regierungsvertretern bis zu Journalisten - dann glaube ich, dass es auf eine große Kollision zuläuft.
Wer mit beiden Seiten spricht, wird unschwer feststellen, dass es keinen Spielraum für eine Übereinkunft gibt, dafür, dass man die Hand zur Versöhnung ausstrecken würde. Die Positionen sind sehr verhärtet. Beide Seiten haben uns Videos gezeigt, die zeigen sollen, dass die jeweils andere Seite hinter diesen Anschlägen mit vielen Todesopfern steckt..
Die Situation jetzt ist ausweglos. Als jemand, der die politischen Prozesse auch in anderen Ländern kennt, bin ich sehr besorgt, wie auch viele prominente Politiker in Bangladesch.
Sehen Sie dabei Lösungsansätze für eine Entspannung?
Im Vergleich zu anderen Ländern sehe ich eigentlich sehr viele positive Parameter in Bangladesch. Die Wirtschaft funktioniert gut. Es gibt zwar Korruption und Menschenrechtsverletzungen, aber man ist sich ihrer bewusst. Es ist insgesamt eine gute Voraussetzung, dass sich das Land positiv entwickeln könnte.
Es ist wirklich so, dass die etablierten Eliten einer Entwicklung im Wege stehen. Mein Eindruck war auch, dass die beiden Führungspersönlichkeiten (Sheikh Hasina von der regierenden Awami-Liga und Khaleda Zia von der oppositionellen BNP, Anm. d. Red.) auch ein Lager um sich scharen und diese Gegensätze unüberbrückbar machen.
Was braucht das Land dringend, um aus der Krise zu kommen? Die Opposition forderte jüngst "inklusive, kompetitive und bedeutungsvolle Neuwahlen".
Das Land braucht ein umfassendes Konzept. Dabei wäre es wichtig, einen inklusiven, partizipativen und demokratischen Ansatz zu haben, der den Leuten ermöglicht, sich an den Wahlen zu beteiligen. Dann glaube ich, dass das Land die Krise sehr schnell überwinden könnte.
Für mich war es sehr interessant zu beobachten, dass beide Konfliktparteien immer auf vergangene Ereignisse rekurrieren und die Zukunftsfragen nicht beantworten. Das ganze Parteiensystem lebt in dieser Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Frauen, die aufgrund ihrer familiären Kontexte Gefangene ihrer eigenen Vergangenheiten sind. Die möglichen Wahlen müssen neue Gesichter und Namen bringen. Dann würde sich etwas ändern.
Europa ist nun als Vermittler für Bangladesch wieder im Spiel. Ist Europa diese Aufgabe gewachsen?
Es muss nicht unbedingt eine Vermittlung sein, aber ich glaube auf jeden Fall, dass das Land einen Anstoß von außen braucht. Sonst wird sich nichts bewegen, die politischen Parteien werden sich weiterhin wechselseitig blockieren.
Die EU hat eine wichtige Position. Wir sind der größte Handelspartner von Bangladesch. Wir haben als Europäer positive Traditionen bei der Bewältigung von Konflikten. Insofern wären wir durchaus auch eine geeignete Kraft für einen solchen Versöhnungsprozess. Allerdings muss der Zuruf von Bangladesch selber kommen.
Das Thema Menschenrechte steht im Fokus Ihrer Reise. Die Arbeitsbedingungen sind in den Textilfabriken oft sehr schlecht. Konnten Sie eine Verbesserung feststellen?
Wir konnten schon sehen, dass vieles passiert ist, vor allem was die Sicherheitsbestimmungen betrifft: Feuer, Elektrizität, Gebäudesicherheit. Einige Betriebe wurden geschlossen. Es ist etwas schwieriger, wenn es um Löhne geht. Sie wurden zwar in den letzten Jahren erhöht, aber die Kollektivverhandlungen und Tarifverhandlungen funktionieren noch nicht gut. Es sind gute Vorsätze vorhanden, aber es ist bei weitem nicht so, dass die Gewerkschaft in jedem Betrieb der Verhandlungspartner der Geschäftsführung ist.
Generell habe ich den Eindruck, dass die Tragödie Rana Plaza (Ein Gebäude der bangladeschischen Textilfabrik stürzte im April 2013 in sich zusammen. Mehr als 1100 Menschen kamen ums Leben. Anm. d. Red.)Anlass für ein Umdenken gegeben hat. Viele Besitzer sind sich bewusst, dass sie im europäischen Markt nicht überleben, wenn sie ihren Mitarbeitern keine fairen Arbeitsbedingungen anbieten.
Die amtierende Premierministerin Sheikh Hasina hatte 2010 ein Sondertribunal gegen jene eingerichtet, die im Krieg 1971 gegen die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan gekämpft hatten. Letzte Woche wurde wieder ein Oppositionsführer zum Tode verurteilt. Kritiker halten die Prozesse für politisch motiviert. Wie ist Ihre Einschätzung?
Grundsätzlich haben wir immer darauf hingewiesen, dass für Europa die Anwendung der Todesstrafe unter keinen Umständen akzeptabel ist. Die Seite Bangladeschs hat uns gegenüber aber klargemacht, dass sie auf ihrem Rechtssystem bestehen würde. Natürlich ergibt es auch keinen Sinn, gerade wenn die Fälle schon über 40 Jahre zurückliegen, dass man jetzt auf die Todesstrafe zurückgreift, um Racheaktionen an den jeweiligen politischen Gegnern durchzuführen.
Josef Weidenholzer ist Professor für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Universität Linz in Österreich und Abgeordneter der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.