Washington: Corona-Risiko bei Obdachlosen hoch
23. März 2020Wir kennen die Corona-Warnungen mittlerweile alle: Regelmäßig Hände waschen, möglichst zuhause bleiben, sich von größeren Menschenansammlungen fern- und einen Sicherheitsabstand einhalten. Aber was, wenn das Zuhause ein Zelt ohne fließend Wasser ist? Oder wenn man eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf nur in einer Sammelunterkunft bekommt, wo die Betten dicht an dicht stehen? Diesen schwierigen Situationen sehen sich wohnungslose Menschen dort gegenüber, wo das Coronavirus umgeht - also auf der ganzen Welt.
Im Großraum Washington DC lebten 2019 laut einer Untersuchung des "Metropolitan Washington Council of Governments" 9794 obdachlose Personen. Die Zahl fluktuiert stark und lässt sich nicht genau festlegen. Sicher ist aber: Eine Vielzahl von ihnen steht seit dem Ausbruch des Coronavirus vor noch größeren Herausforderungen.
"Unter den wohnungslosen Personen sind viele ältere Erwachsene, viele von ihnen mit Behinderungen, die in Masseneinrichtungen oder auf der Straße leben, an Orten wo sie nur schlecht Zugang zu sanitären Anlagen haben. Ihr Alter, ihr schlechter Gesundheitszustand, ihre Behinderungen und ihre Lebensumstände machen sie besonders anfällig für Krankheiten", heißt es auf der Website der "National Alliance to End Homelessness".
Obdachlosen-Beratung per Telefon
Amber Harding ist Anwältin bei der "Washington Legal Clinic for the Homeless", an die sich wohnungslose Menschen, oder Personen, denen die Obdachlosigkeit droht, wenden können. Sie spricht aufgeregt über die Probleme, die ihre Klienten jetzt haben. "Bitte entschuldigen Sie", sagt sie am Telefon, "man merkt, dass ich jetzt nur noch zuhause bin, deswegen rede ich so viel, wenn mich jemand nach diesem Thema fragt."
Seit Freitag arbeitet die "Washington Legal Clinic" nur noch telefonisch. Die Anwälte übernehmend wechselnd eine Notfallschicht, die rund um die Uhr erreichbar ist, alle anderen Anrufe werden an die übrigen Rechtsexperten im Homeoffice weitergeleitet.
"Normalerweise gehen wir dahin, wo die Menschen sind, in Obdachlosenunterkünfte oder zu Programmen, die tagsüber stattfinden", sagt Harding. "Aber die Programme sind abgesagt und zu den Unterkünften haben nur noch Menschen Zutritt, die dort rein müssen." Zusätzlich zu ihrer Hotline rufen die Anwälte auch ehemalige Klienten an, um zu sehen, ob sie irgendwie helfen können in dieser schwierigen Zeit. Einiges geht aber auch leichter während der Corona-Krise.
Weniger Bürokratie in Krisenzeiten
Familien, die in einer speziell für sie eingerichteten Notfall-Obdachlosenunterkunft Zuflucht suchen, müssen sich gewöhnlicherweise durch einen Bürokratie-Wust kämpfen. Bevor sie einen Platz bekommen, müssen sie Ausweisdokumente, Belege ihrer Wohnorte für die letzten zwei Jahre und vieles mehr vorlegen - und werden dann häufig immer noch fälschlicherweise abgelehnt, erklärt Harding. Aktuell läuft die Aufnahme dagegen über ein formloses Telefongespräch. "Da stellt sich mir natürlich die Frage: Warum geht das nicht immer so?"
Die Stadt Washington DC hat einige Maßnahmen beschlossen, die verhindern sollen, dass mehr Menschen durch die Corona-Krise ihre Wohnung verlieren. Einer der größten Schritte: Ein Moratorium für Zwangsräumungen. Niemand kann während des öffentlichen Gesundheitsnotstands, den Bürgermeisterin Muriel Bowser erlassen hat, auf die Straße gesetzt werden. Das reicht aber nicht, sagen Experten. Auch die Mieten von Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten, müssten gezahlt werden.
"So wie es aktuell aussieht, kann der Vermieter Familien, die durch die Krise ihr Einkommen verloren haben und ihre Miete nicht bezahlen können, rauswerfen, sobald der Gesundheitsnotstand endet", sagt Harding. "Dann werden wir einen riesigen Anstieg in der Zahl wohnungsloser Familien sehen."
Wenn einer es hat, bekommen es alle
In New York City hat das Coronavirus mittlerweile die Obdachlosenunterkünfte erreicht. In verschiedenen Unterkünften gibt es, Stand Donnerstag, sieben Fälle. Das Risiko einer Ausbreitung des Virus in Washingtons Sammelunterkünften für wohnungslose Menschen macht auch Harding Sorgen. "In den Unterkünften hier gibt es teilweise Stockbetten, Wohnräume und Badezimmer werden geteilt und die Sauberkeit lässt manchmal zu wünschen übrig."
Sie beschwert sich darüber, dass es nicht genügend Tests in den USA gibt und sagt, dass eigentlich alle Menschen in einer Hochrisiko-Gruppe wie den älteren Wohnungslosen mit Vorerkrankungen getestet werden müssten. "Wenn wir ein gutes Testsystem hätten, könnten wir diejenigen, die das Virus haben, sofort isolieren", sagt Harding. "Aber wenn eine Person erstmal hustet, ins Krankenhaus kommt und dort positiv getestet wird - dann wurde das Virus bereits an alle anderen, die in der Unterkunft auf engstem Raum leben, weitergegeben." Hardings größte Sorge für die kommenden Wochen: "Dass Menschen in den Obdachlosenunterkünften sterben."