Was wollen Europäer in Chinas Bank?
18. März 2015China hatte die Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) erst im vergangenen Oktober angeregt, doch schon wird die Bank als potenzieller Konkurrent für etablierte Institutionen wie die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) gehandelt. Die Zentrale der neuen Bank soll in Peking sein, und China ist bereit, bis zu 50 Prozent des Startkapitals von 50 Milliarden US-Dollar zu stellen. Damit sollen Infrastrukturprojekte in den Bereichen Energie, Transport und Telekommunikation in Asien finanziert werden, der am schnellsten wachsenden Weltregion.
Hintergrund ist die zunehmende Kritik an bestehenden Institutionen wie der Weltbank oder der ADB. Diese seien von den USA oder Japan dominiert, hätten nicht genügend Kapital oder andere Prioritäten, so die Vorwürfe. Daher könnten sie die Bedürfnisse in den rasant wachsenden Ländern Asiens nicht mehr befriedigen.
Die chinesische Initiative hat jedoch auch ein politisches Element. Die neue Investitionsbank, die ihre Tätigkeit Ende des Jahres aufnehmen soll, ist nach Ansicht vieler Analysten ein weiterer Versuch Pekings, seinen Einfluss zu vergrößern. China ist inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hat jedoch in der Weltbank keinen entsprechenden Einfluss. Dort verhindern geringe Stimmrechte für China, dass das Land Entscheidungen über Entwicklungsfinanzierungen maßgeblich beeinflussen kann.
Chinas neue Rolle
In den vergangenen Monaten hat sich China deshalb bemüht, Initiativen wie die Neue Entwicklungsbank (NDB) und den Silk Road Fund voranzutreiben, die Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern finanzieren sollen. Die neue Bank AIIB wäre somit nur eine von mehreren Initiativen, doch sie gewinnt schnell an Fahrt. Mehr als 30 Länder haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, Gründungsmitglieder der von China geführten Bank zu werden, darunter Europas größte Volkwirtschaften.
Nach Großbritannien erklärten Frankreich, Deutschland und Italien am Dienstag (17.03.2015), der AIIB beitreten zu wollen - obwohl die USA dem Projekt distanziert gegenüberstehen. Washington befürchtet eine zu lockere Kreditvergabe und zu geringe Umwelt- und Sozialstandards bei den Investitionen. Südkorea, die Schweiz und Luxemburg erwägen ebenfalls einen Beitritt, meldet die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.
Vorteile überwiegen die Risiken
Warum aber sind große europäische Wirtschaftsnationen so erpicht darauf, einer Entwicklungsbank für Asien beizutreten, gegen den Rat der verbündeten USA? Die Gründe mögen von Land zu Land unterschiedlich sein, vermuten Analysten. Doch alle beitrittswilligen Länder scheinen die Ansicht zu teilen, dass die Vorteile einer engeren Beziehung zu China mögliche Nachteile überwiegen.
Die Europäer verfügen über starke Wirtschaftsbeziehungen zu China und anderen asiatischen Ländern, außerdem können sie ihre langjährige Erfahrung mit Entwicklungsfinanzierung in die neue Institution einbringen, sagt Margot Schüller, die am Hamburger GIGA-Institut zu Asien forscht. Angesichts der großen noch unbefriedigten Nachfrage nach Energie, Transport, Wasser und Telekommunikation hätten zudem europäische Firmen ein großes Interesse daran, am Aufbau einer modernen Infrastruktur in Asien beteiligt zu sein.
Die Entscheidung lässt sich auch als Vertrauensbeweis der Europäer gegenüber China werten und als Anerkennung der wichtigen Rolle, die Peking inizwischen für weltweite Entwicklung und Stabilität spielt. Einige Länder hoffen sicher, dass sie dafür von Peking belohnt werden, etwa in Form von Geschäftsabschlüssen oder erleichtertem Zugang zu Geschäftsfeldern in China, die für europäische Firmen problematisch sind, so Frederik Erixon, Direktor des European Centre for International Economy (ECIPE), einer Denkfabrik mit Sitz in Brüssel.
China verfügt über die weltgrößten Devisenreserven, rund vier Billionen US-Dollar. Die Währung des Landes, Renminbi oder auch Yuan genannt, ist nach dem Dollar die meistgenutzte Währung für Handelsfinanzierung und im globalen Zahlungsverkehr die Nummer Sieben. Die meisten Notenbanken in Europa haben die chinesische Währung inzwischen in ihrem Portfolio oder denken zumindest darüber nach. Oft verkaufen sie dafür Dollar-Bestände.
Eine Frage der Mitbestimmung
China hat zudem sein finanzielles Engagement in Europa ausgeweitet, sowohl bei Investitionen als auch bei Geldflüssen. Die britische Regierung erhoffe sich, durch eine Beteiligung an der AIIB die Rolle der Londoner City als globales Finanzzentrum zu sichern, sagt Hugh Jorgensen, unabhängiger Experte für Weltwirtschaft mit Sitz in den Niederlanden und zuvor Mitarbeiter am australischen Lowy Institute for International Policy. So könnten etwa Transaktionen der AIIB über die Londonder City abgewickelt werden.
Wenn Großbritannien bereit ist, sich China auf diese Weise anzudienen - trotz der Einwände seines "besonderen Verbündeten" USA - dann wollten die anderen europäischen Wirtschaftsmächte nicht abgehängt werden, vermutet Jorgensen.
Thomas König von der Europäischen Handelskammer in Peking sieht das ähnlich. China habe begonnen, sich seiner Verantwortung für die Region zu stellen. Für die großen europäischen Wirtschaftsnationen sei es daher sinnvoll, sich zu beteiligen, so König: "Wer mitmacht, ist Teilhaber und wird voraussichtlich mitentscheiden können, wie sich die gesamte Organisation entwickelt - darauf setzen die Europäer. Wenn alles gut läuft, könnte die AIIB die Beziehungen zwischen China und Europa vertiefen und Europas Beteiligung in Asien erhöhen."
Was kann Europa leisten?
Wieviel Einfluss die Europäer auf die Entscheidungen der Bank haben werden, hängt letztlich von der Struktur ab. Allerdings sei es im Interesse der AIIB, bewährte Praktiken anderer globaler Finanzeinrichtungen zu übernehmen, glauben viele Experten. Die AIIB könnte hier von der Erfahrung der Europäer profitieren.
"Wie jede andere Bank auch, muss die AIIB potenziellen Kunden gute Gründe dafür liefern, ihr zu vertrauen - und nicht anderen Einrichtungen wie der Weltbank oder der ADB", sagt Jorgensen. "Die Beteiligung großer europäischer Länder schwächt Befürchtungen ab, dass die AIIB nur ein trojanisches Pferd für chinesische Machtansprüche ist."
Auch die Erklärung des deutschen Finanzministeriums zur geplanten Beteiligung an der AIIB zielt in diese Richtung: "Frankreich, Italien und Deutschland - in enger Abstimmung mit internationalen und europäischen Partnern - sind sehr daran interessiert, mit den AIIB-Gründungsmitgliedern beim Aufbau einer Institution zusammenzuarbeiten, die den besten Standards und Praktiken in den Bereichen Governance, Absicherungen sowie Schulden- und Beschaffungspolitik folgt", heißt es dort.
Die Europäer könnten ihren Einfluss nutzen, um eine transparente Kreditvergabe zu gewährleisten und bei der Prioritätensetzung der Bank mitzureden, glaubt Mikko Huotari vom Berliner Mercator Institut für Chinastudien. Zudem könnten sie europäischen Firmen Investitionsmöglichkeiten sichern, etwa über Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Akteuren.
Sind die von China geführten Finanzinstitutionen Wettbewerber von Weltbank und Asian Development Bank oder bieten sie einfach nur zusätzliche Angebote zur Finanzierung von Infrastruktur? Chinas Absicht, das von westlichen Ländern dominierte Finanzsystem anzufechten, sei offensichtlich, sagt Nicola Casarini vom italienischen Istituto Affari Internazionali in Rom. "Die AIIB könnte durchaus ein Konkurrent werden für Dollar-basierte westliche Institute wie die Weltbank." Allerdings würde das davon abhängen, wie sich die Beziehungen zwischen China und den USA in den kommenden Jahren entwickeln, so Casarini.
Rückschlag für Washington
Die Gründung der AIIB könnte Reformen innerhalb der Weltbank dringender machen - vor allem, was die Stimmrechte der Entwicklungsländer angeht. Denn auch nach der jüngsten Reform der Mehrheitsverhältnisse im Jahr 2010 können Entscheidungen nur mit Zustimmung der USA gefällt werden, die mit einem Stimmrechtsanteil von mehr als 15 Prozent faktisch ein Vetorecht haben.
Mikko Huotari vom Mercator Institut wertet die europäische Unterstützung für die AIIB daher als "eine schweren Rückschlag für Washington". Allerdings stehe auch die Regierung in Peking unter Druck: "China hat wahrscheinlich nicht damit gerechnet, wie schwierig es ist, multilaterale Institutionen zu schaffen - und wie groß die öffentliche Aufmerksamkeit ist."
Wie sich die neuen Finanzeinrichtungen nutzen lassen, um Chinas Interessen durchzusetzen und wie sie sich in die Außen- und Wirtschaftspolitik des Landes einfügen, werde auch in China sehr intensiv debattiert, so Huotari. "Es ist keine einfache Aufgabe, die AIIB an den Start zu bringen." Innerhalb Asiens seien die nationalen Interessen sehr unterschiedlich, und auch die europäischen Teilnehmer verfolgten ihre eigenen Absichten.