Was im UN-Migrationspakt wirklich steht
10. Dezember 2018Wahr und unwahr voneinander zu trennen, ist eigentlich nicht die vorrangige Aufgabe des Auswärtigen Amtes. Von jetzt an will es aber "irreführenden Informationen" entgegentreten, die Stimmung machen sollen gegen den Migrationspakt der Vereinten Nationen. Die kommen nicht nur aus namenlosen Ecken des Internets, sondern auch mitten aus dem politischen Berlin: Die AfD schreibt auf ihrer Website, der Pakt sei "ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge". Rechtspopulistische Medien beziffern gar, dass es um bis zu hundert-millionenfache Einwanderung gehe. Das ist falsch - genauso wie die Behauptung des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der Ausstieg der Alpenrepublik aus dem Pakt sei notwendig, um die nationale Souveränität zu verteidigen.
Tatsächlich handelt es sich um einen "rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen", der die Souveränität der unterzeichnenden Staaten nicht antastet. "In der Erkenntnis, dass die Migrationsproblematik von keinem Staat allein bewältigt werden kann, fördert er die internationale Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren im Bereich der Migration und wahrt die Souveränität der Staaten und ihre völkerrechtlichen Pflichten", heißt es im Vertragstext.
So einen Pakt gab es noch nie
Weltweit sind nach UN-Angaben 250 Millionen Menschen auf der Suche nach einem besseren Ort zum Leben, das entspricht etwa drei Prozent der Weltbevölkerung. Sie erarbeiten laut einer McKinsey-Studie zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Der globale Migrationspakt soll "die erste globale, zwischen Regierungen unter der Ägide der Vereinten Nationen ausgehandelte Übereinkunft zur Abdeckung aller Aspekte internationaler Migration werden", schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Bislang existieren schlicht noch keine allgemeingültigen Absprachen darüber: Für Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte gibt es die Genfer Flüchtlingskonvention und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, die gewisse Grundrechte weltweit sicherstellen. Für Migranten, die nicht unter die Genfer Konvention fallen, soll nun der neue Globale Migrationspakt (nicht zu verwechseln mit dem Globalen Flüchtlingspakt, der noch nicht fertig ist) einspringen.
Benjamin Schraven und Eva Dick vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik versichern in einem gemeinsamen Text, der Migrationspakt sei "sicherlich kein Türöffner für ungebremste Masseneinwanderung nach Europa oder dergleichen. Er ist vielmehr ein nüchternes Bekenntnis zu dem, was Migration eigentlich ist. Nämlich eine globale Realität, die sich nicht einfach durch Grenzschließungen oder ein paar Milliarden Euro mehr an Entwicklungshilfe unterbinden lässt".
23 mehr oder weniger konkrete Ziele
Kernstück des Vertrags sind, neben einigen Leitlinien, 23 "Ziele für eine sichere, geordnete und reguläre Migration". Dabei geht es vor allem um mehr Verbindlichkeit und weniger Bürokratie bei regulärer Migration und einen besseren Zugang der Migranten zu diversen Grundrechten. Freiheitsentzug bei Migranten sollte nur das letzte Mittel sein, erklärt der Vertrag. Auch ein koordiniertes Grenzmanagement und die Bekämpfung des Schleuserwesens sowie des Menschenhandels finden sich darin.
Auch ist von einer "sicheren und würdevollen Rückkehr" und nachhaltiger Reintegration die Rede. Für Migranten, die dauerhaft in einem Land bleiben, sollen Sozialversicherungs- und sonstige Leistungsansprüche einfacher übertragen werden können.
Mehrere Punkte in der Liste lassen sich unter dem hierzulande gerne gebrauchten Schlagwort "Bekämpfung von Fluchtursachen" zusammenfassen. Dabei geht es, grob gesagt, um die Verwirklichung der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Entwicklungsziele für 2030, den sogenannten "Sustainable Development Goals" (SDGs). Außerdem sollen die Auswirkungen des Klimawandels und von Naturkatastrophen bestmöglich abgefedert werden.
Konkret wird die Liste etwa bei der Maßnahme, Rücküberweisungen von Migranten günstiger, sicherer und zugänglicher zu machen. Die privaten Finanzhilfen von Menschen, die in Industrieländer migriert sind, an ihre Familien in Entwicklungsländern werden mittlerweile von einigen Experten als wirksamer erachtet als die meisten öffentlichen Entwicklungsprojekte. Laut der Weltbank kamen 2017 so 466 Milliarden US-Dollar in Entwicklungsländern an, in diesem Jahr sollen es sogar 485 Milliarden Dollar werden.
Auslandsüberweisungen sind jedoch oft mit hohen Kosten verbunden - private Geldsendeinstitute, für die der Empfänger kein Bankkonto braucht, sind meist noch teurer. Bei Überweisungen von 200 Dollar in Entwicklungsländer werden laut Weltbank durchschnittlich 7,1 Prozent an Gebühren fällig - für Sub-Sahara-Afrika sind es sogar 9,4 Prozent. In den Nachhaltigen Entwicklungszielen wird das Ziel formuliert, die Kosten für solche Überweisungen bis 2030 auf weniger als drei Prozent zu drücken. Der Migrationspakt stellt nun einen Fahrplan für dieses Ziel und innovative technische Lösungen in Aussicht.
Der Zeitplan zum Vertrag
Der globale UN-Migrationspakt nahm seinen Anfang 2016 in einer Debatte bei der UN-Generalversammlung. Sie endete mit der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten, in der alle 193 Mitgliedsstaaten anerkannten, dass in diesem Themenbereich eine verstärkte globale Zusammenarbeit notwendig ist. Konkret sicherten die Unterzeichner auch die Wahrung der Menschenwürde, Bekämpfung von Fremdenhass und Unterstützung von Staaten, die viele Menschen aufnehmen, zu.
Diese Kerngedanken soll der UN-Migrationspakt als umfassendes Abkommen auf breitere Füße stellen, auch Deutschland gehörte zu den Unterstützern eines politisch, jedoch rechtlich nicht bindenden Abkommens. Inhaltlich stand für die Bundesregierung unter anderem die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Bekämpfung illegaler Migration sowie der Schutz der Menschenrechte im Vordergrund. Nach 18 Monaten Verhandlungen stand der Vertrag zur Abstimmung in der UN-Vollversammlung. 192 Staaten stimmten dem Vertragstext zu, einzig die USA lehnten die Vereinbarung ab.
Jetzt ist der Vertrag bei einem Ministertreffen im marokkanischen Marrakesch feierlich unterzeichnet worden. Doch die Zahl der Unterschriften ist niedriger als zuerst gedacht: Australien, Ungarn und kürzlich auch Österreich sind auf Distanz gegangen. Dänemark äußert Vorbehalte, Tschechien und Polen haben Kritik am Vertrag. In der Schweiz lobbyiert die populistische Oppositionspartei SVP gegen den Pakt. In Deutschland fordert die AfD, ebenfalls auszusteigen, "um irreversible Schäden vom Volk abzuwenden". Die Bundesregierung sieht das erkennbar anders - ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kritisierte, dass in der Diskussion über den Pakt "Ängste geschürt werden", die "so nicht zu rechtfertigen sind". Deutschland verspricht sich vom Vertrag auch Kompromisse zwischen Herkunfts-,Transit- und Zielländern von Migranten.