Positiver Corona-Test - und dann?
24. November 2020Die Abläufe nach einem positiven Corona-Test scheinen in Deutschland klar geregelt zu sein. In einer Broschüre informiert das Robert Koch-Institut (RKI) Patienten darüber, was am besten zu tun ist, wenn eine Quarantäne ansteht. Ist jemand positiv getestet, muss der jeweilige Arzt oder das Labor dies an das zuständige Gesundheitsamt weitergeben. "Das Gesundheitsamt wird sich regelmäßig nach Ihrem Gesundheitszustand erkundigen", schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) auf ihrer Webseite. Die Realität sieht allerdings oft anders aus. Viele derer, die in Quarantäne sind, haben nie einen Anruf vom zuständigen Gesundheitsamt bekommen.
Eine Aufgabe der Gesundheitsämter ist es zu kontrollieren, ob die Quarantäne-Regeln von den isolierten Personen eingehalten werden. Dazu müssten sie regelmäßig angerufen werden, um beispielsweise festzustellen, ob sie sich wirklich zuhause aufhalten. Um das aber konsequent durchzuführen, fehlt vielen Gesundheitsämtern in den Zeiten der Corona-Pandemie das Personal.
Von den etwa 400 deutschen Gesundheitsämtern haben 38 beim RKI eine Überlastung angezeigt. Sie stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen.
Strenge Quarantäne-Regeln
Die Quarantäne-Regeln sollen die Corona-Positiven selbst und andere Menschen schützen. Dazu gehört zunächst, dass die Betroffenen sich wirklich in den eigenen vier Wänden aufhalten und nicht nach draußen gehen, weder um Einkäufe zu machen noch um in die Apotheke zu gehen. Selbst um die tägliche Zeitung zu bekommen, muss man also Nachbarn oder Freunde bitten, einem diese vor die Wohnungstür zu legen. Durch das Treppenhaus zu laufen, ist schon ein Verstoß, genauso wie der tägliche Gang zum Briefkasten. Jederlei Besuch ist natürlich tabu. Wer aber will all das kontrollieren?
Ist da jemand?
Man solle COVID-19-Symptome selbst beobachten, rät das RKI. Das ist leichter gesagt als getan – vor allem wenn es sich eventuell um alleinstehende, ältere Menschen handelt oder auch um Menschen mit Vorerkrankungen. Bedeutet der Husten schon, dass jetzt der Krankenhausaufenthalt bevorsteht?
Viele Menschen, die wegen Corona in Quarantäne sind, fühlen sich alleine gelassen, haben das Gefühl, dass sich niemand kümmert. Da kommt leicht Panik auf, im schlimmsten Fall kommt es zu Depressionen.
Auf der Webseite der Bundesregierung gibt es folgenden Rat: "Akzeptieren Sie Ihre Gefühle: Unfreiwillig in häuslicher Quarantäne zu sein, kann viele verschiedene emotionale Reaktionen hervorrufen. Das sind normale Reaktionen auf die unnormale Situation." Viele aber bräuchten wohl eher einen Ansprechpartner, jemand, mit dem sie reden können.
Der Besuch des Hausarztes
Der Hausarzt ist für viele der erste Ansprechpartner. Über 80 Prozent aller COVID-19-Patienten werden laut RKI ambulant behandelt, und das soll der Hausarzt übernehmen. Was aber heißt "ambulant" im Fall von COVID-19 überhaupt? Wirksame Medikamente gibt es nicht, es können nur die Symptome behandelt werden. Und so sind auch die meisten Ärzte ratlos. Das neue Beta-Coronavirus SARS-CoV-2 stelle unser gesamtes Gesundheitssystem vor große Herausforderungen, heißt es in einem Papier des RKI. "Trotz der globalen Forschungsanstrengungen bestehen weiterhin erhebliche Wissenslücken in Bezug auf die durch das Virus verursachte Erkrankung COVID-19."
Zurzeit gibt es in Deutschland etwa 55.000 Hausärzte. Sie sind berufsrechtlich dazu verpflichtet, notwendige Hausbesuche durchzuführen. Deren Zahl ist seit Beginn der Pandemie um ein Vielfaches gestiegen, bei manchen Ärzten um über zehn Prozent. Corona macht Angst. Bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit bekommen viele Panik, dass sie sich mit dem Virus angesteckt haben könnten und rufen lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig beim ärztlichen Notdienst an.
Einen Termin beim Arzt zu bekommen, ist in diesen Zeiten oft schwierig. Außerdem fahren viele Praxen nur mit halber Kraft, beispielsweise um die Wartezimmer nicht übermäßig zu füllen und damit der geforderte Mindestabstand eingehalten werden kann.
Die meisten Ärzte sind sehr engagiert, versuchen sich bestmöglich um ihre Patienten zu kümmern. Aber kaum eine Arztpraxis hat die Möglichkeit, sich ausschließlich COVID-19-Patienten zu widmen. Auch in Pandemiezeiten gibt es Patienten mit anderen Beschwerden, mit Bauchschmerzen, Masern oder Asthma.
Einweisung in die Klinik?
Und wenn sich die Beschwerden verschlechtern? Mit der Angabe konkreter Regeln, wann ein Patient in die Klinik muss, hält sich das RKI zurück. Die Broschüre nennt nur Kurzatmigkeit als Alarmsignal. Die Entscheidung über eine Einweisung muss der Arzt in jedem Einzelfall treffen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin hat dazu im September eigens eine neue Leitlinie herausgegeben, an der sich Ärzte orientieren können.
Letzter Ausweg 112
"Bleiben Sie in Verbindung mit Ihrem Hausarzt", ist eine Empfehlung des RKI. Was aber, wenn dessen Anschluss ständig besetzt ist, weil auch seine Praxis und das Personal dort vollkommen überlastet sind? Jeder kennt die telefonische Ansage "Bitte haben Sie einen Moment Geduld, einer unserer Mitarbeiter steht Ihnen gleich zur Verfügung." Aber auch die Geduld hat ihre Grenzen. Wenn sich die Symptome verschlimmern und der Zustand zusehends schlechter wird, sehen viele nur noch die Möglichkeit, die Notrufnummer 112 zu wählen und auf den Krankenwagen zu warten.
Und die Psyche?
Die Diagnose ist der erste Schritt. Ob die Krankheit einen schweren oder leichten Verlauf hat, ob es zu Folgeerkrankungen oder heftigen Spätfolgen kommt - all das kann niemand voraussagen. Dadurch entsteht bei vielen Patienten eine große Unsicherheit. Es ist die Unberechenbarkeit des Virus, die bei den Menschen Angst schürt. Zudem gibt es tagtäglich zahllose Berichte über COVID-19, die sich beispielsweise mit dem neuesten Stand der Infektionszahlen beschäftigen, mit dem Stand der Forschung oder sie zeigen einzelne Schicksale auf.
All das ist beunruhigend, sowohl für positiv auf Corona getestete Personen als auch für diejenigen, die gesund sind. Im schlimmsten Fall reagieren die Menschen panisch oder bekommen Depressionen. Das trifft vor allem auf diejenigen zu, die sich in Quarantäne befinden und diese Zeit eventuell sogar ganz alleine durchstehen müssen.