1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Dopingfall Kamila Walijewa

15. Februar 2022

Doping oder nicht? Der Fall der erst 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa aus Russland sorgt bei den Olympischen Winterspielen in Peking für Wirbel. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

https://p.dw.com/p/472C8
Eiskunstläuferin Kamila Walijewa hält sich die Hände an den Kopf
Eiskunstläuferin Kamila Walijewa steht unter DopingverdachtBild: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP

Was ist passiert?

Die 15-jährige Eiskunstläuferin Kamila Walijewa wurde am 25. Dezember 2021 bei den russischen Meisterschaften positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Dabei handelt es sich um einen verbotenen Wirkstoff, der in Herzmedikamenten enthalten ist. Das Testergebnis lag jedoch erst viel später vor, nämlich einen Tag nach dem Sieg der russischen Mannschaft im Teamwettbewerb der Olympischen Spiele am 8. Februar. Die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA sperrte Walijewa daraufhin, hob die verpflichtende Suspendierung aber bereits am nächsten Tag nach einem Einspruch wieder auf. Dagegen gingen das Internationale Olympische Komitee (IOC), die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und der Eislauf-Weltverband ISU vor. In einem Eilverfahren entschied der Internationale Sportgerichtshof CAS, dass Walijewa nicht gesperrt wird, sondern auch im Einzelwettbewerb in Peking starten darf. Im Wettbewerb läuft es zunächst gut: Walijewa ist zur Halbzeit Führende, verpatzt dann aber ihre Kür und wird am Ende Vierte.

Wie begründet der CAS seine Entscheidung?

Die CAS-Richter erklärten ihr Urteil für eine Starterlaubnis Walijewas mit dem Verweis auf das Alter der minderjährigen Athletin und die unzureichende Beweislage. Sollte sich der Dopingverdacht im Nachhinein nicht erhärten, wäre Walijewa die Chance genommen worden, um olympische Medaillen zu kämpfen. "Da die B-Probe der Russin noch nicht untersucht worden sei, sei ihr Dopingverstoß noch nicht endgültig bewiesen", erläuterte IOC-Mitglied Denis Oswald.

Was sind die Folgen?

Die größte Folge der gesamten Causa Walijewa könnte sein, dass bei kommenden Olympischen Spielen das Mindestalter im Eiskunstlaufen hochgesetzt wird und die Teilnehmerinnen künftig 18 Jahre alt sein müssen. Bevor das jedoch entschieden wird, könnten sich in Peking die Ergebnislisten ändern. Zwar mussten wegen Walijewas Platzierung im Einzelwettbewerb keine Medaillen unter Vorbehalt vergeben werden, trotzdem würde sie - sollte sie des Dopings überführt werden - im Nachhinein aus der Wertung genommen. Wäre sie unter die besten Drei gekommen, wären keine Medaillen vergeben worden. Nun steht immer noch Russlands Goldmedaille im Teamwettbewerb auf dem Spiel. Der Olympiasieg ginge dann an die USA, Silber an Japan und Bronze an das Team aus Kanada.

Für den russischen Sport geht es indes um weit mehr als ein Dopingvergehen im Eiskunstlauf und verpasste Medaillen. Das Land ist wegen organisierter Manipulationen und der Vertuschung von Sportbetrug wie schon bei den Sommerspielen in Tokio gesperrt. Die russischen Athleten dürfen nur als Vertretung des russischen Olympia-Komitees ROC antreten. Bei Siegerehrungen wird weder die russische Hymne gespielt noch die Flagge gehisst. Ende des Jahres läuft der zweijährige Olympia-Bann aus. Sollte der Fall Walijewa belastbare Hinweise liefern, dass mehr dahintersteckt als ein Einzelfall, könnte der Bann verlängert und verschärft werden. Zudem ist in den USA kürzlich der sogenannte "Rodschenkow Act" in Kraft getreten. Das Gesetz, benannt nach Doping-Whistleblower Grigori Rodschenkow, erlaubt es US-Behörden, Dopingvergehen und die Drahtzieher überall in der Welt zu verfolgen.

Wie erklärt die russische Seite den positiven Test?

Ein Herzmittel im Körper einer 15-Jährigen? Das wirft viele Fragen auf. Da sich Experten einig sind, dass Walijewa nicht selbst auf die Idee gekommen ist, ein Medikament zur Verbesserung der Herzmuskel-Durchblutung einzunehmen, steht Russland nach dem Staatsdoping-Skandal rund um die Olympischen Winterspiele in Sotschi erneut im Fokus. Schlimmer noch, diesmal ginge es sogar um Kinderdoping. Allerdings versucht die russische Seite den positiven Test Walijewas einen Tag nach dem CAS-Urteil damit zu erklären, dass er durch eine Kontamination entstanden sei. Schließlich nehme Walijewas Großvater ein entsprechendes Herzmittel ein. Russischen Medien zufolge habe Walijewas Anwältin in der CAS-Anhörung darauf verwiesen, die Eiskunstläuferin könne aus einem Glas getrunken haben, das zuvor ihr Großvater genutzt habe. Durch eine Speichelübertragung könne dann die verbotene Substanz in ihren Körper gelangt sein. Zudem wirft die russische Seite dem Stockholmer Labor, in dem die A-Probe analysiert wurde, technische Fehler vor. Die Öffnung der B-Probe soll Klarheit bringen.

Nach Informationen der New York Times sind in der Dopingprobe allerdings drei unterschiedliche Substanzen zur Behandlung von Herzproblemen entdeckt worden - eine verbotene und zwei erlaubte. Das gehe aus einem Dokument hervor, das bei der CAS-Anhörung vorgelegt worden war. Walijewa habe die Einnahme von den zwei legalen Herzmitteln Hypoxen und L-Carnitin auf dem Anmeldeformular vor einer Dopingkontrolle angemeldet. Dies nährt einer Einschätzung der WADA zufolge Zweifel an der Darstellung von Walijewas Anwälten: Die Kombination der drei Substanzen scheine "darauf abzuzielen, die Ausdauer zu erhöhen, Ermüdung zu reduzieren und eine effizientere Nutzung von Sauerstoff zu fördern", sagte Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA.

Wie waren die Reaktionen?

In den sozialen Medien wurde Walijewa von vielen teilweise heftig angefeindet, in Russland von der Politik instrumentalisiert. Auf gigantischen Plakaten an mehreren Gebäuden ist die Eiskunstläuferin zu sehen. "Wir, das ganze Land, wünschen Kamila, dass sie die Olympischen Spiele gewinnt", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Für Sportminister Oleg Matyzin war der CAS-Spruch die "einzig richtige und gerechte Entscheidung." 

Hochhaus in Moskau mit Plakat von Kamila Walijewa an der Fassade
In Russlands Hauptstadt Moskau versucht man Kamila Walijewa mit großen Plakaten zu unterstützenBild: Sergei Fadeichev/TASS/imago images

Das sah man besonders in den USA anders: Saubere Athletinnen und Athleten würden nicht ausreichend geschützt und nun sogar bestraft. Sie verdienten aber eine Siegerehrung, forderten die Vertreter der US-Mannschaft. "Wenn Walijewa nachträglich disqualifiziert wird, hätte der CAS den Russen schon wieder erlaubt, die Olympischen Spiele zu verderben", schimpfte auch Tygart. "Zum sechsten Mal nacheinander hat Russland die Spiele gekidnappt und den sauberen Athleten ihre Momente gestohlen."

Wie geht es Kamila Walijewa?

Die 15-Jährige gab vor dem Einzelwettbewerb im russischen Staatsfernsehen einen Einblick in ihr Seelenleben. Sieben Stunden habe sie bei der Videoanhörung vor den CAS-Richtern zugehört, bei nur einer 20-minütigen Pause. In der Nacht habe sie nicht geschlafen. Schließlich war die nervliche Belastung so groß, dass sie vor laufender Kamera in Tränen ausbrach. "Dies sind Tränen des Glücks, aber wahrscheinlich auch der Trauer", sagte sie. "Ich bin glücklich, aber gleichzeitig emotional müde."

Im Einzel-Wettbewerb erzielte Walijewa am Dienstag in der Kurzkür das beste Ergebnis. Nach dem Ende ihres Auftritts, brach sie auf dem Eis erneut in Tränen aus. Die Entscheidung fällt am Donnerstag in der Kür. Die entscheidende Kür wurde für die 15-Jährige dann zur Katastrophe: Mehrfach stürzte sie, beendete den Wettkampf nur als Vierte und war anschließend kaum zu beruhigen.

Der Text wurde aktualisiert.