Deutschlands Ziele
16. Oktober 2007Deutsche Regierungen tun gerne so, als ob ihr einziges Interesse in Europa "Europa" hieße. Sie unterstützen erst einmal alles, was die europäischen Institutionen stärkt und die Einigung vorantreibt. Anders als Großbritannien oder neuerdings Polen fällt Deutschland selten dadurch auf, dass es nationale Sonderregelungen verlangt oder sich sträubt, nationale Kompetenzen an Brüssel abzugeben.
Nach dem Scheitern der Verfassung sei das wichtigste am europäischen Reformvertrag, dass er überhaupt zustande komme, ist deshalb auch die offizielle Position der Regierung, wie Kanzlerin Merkel nach der Einigung der Staats- und Regierungschefs im Juni betonte. "Wir haben die Weichen für eine erneuerte gemeinsame Grundlage der Europäischen Union gestellt. Wir haben den Stillstand überwunden", erklärte sie. "Wir haben am Ende Vertrauen nicht enttäuscht und eine Spaltung vermieden.”
Abstriche beim Stimmengewicht
Doch natürlich hat Deutschland auch eigene Interessen und als größtes Mitgliedsland kann es sich darauf verlassen, dass an ihm ohnehin niemand vorbeikommt. Das wird mit dem neuen Vertrag noch deutlicher. In der Vergangenheit haben deutsche Regierungen immer wieder Abstriche bei ihrem Stimmgewicht gemacht. Zurzeit etwa hat Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern genauso viele Stimmen wie Frankreich mit 60 Millionen und kaum mehr als Polen und Spanien mit je rund 40 Millionen Einwohnern.
Wenn der Reformvertrag angenommen wird, ändert sich das. Die Regierungschefs haben sich auf die so genannte doppelte Mehrheit geeinigt. Beschlüsse müssen in Zukunft von einer Mehrheit der Staaten getroffen werden, die gleichzeitig eine Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Als bevölkerungsreichstes Land bekommt Deutschland mit der neuen Regelung ein deutlich höheres Gewicht als früher.
Föderalismus als Prinzip
Der zweite Punkt, auf dem Deutschland immer wieder besteht, ist das so genannte Subsidiaritätsprinzip. Dieses komplizierte Wort bedeutet, dass Entscheidungen möglichst nah an den Betroffenen gefällt werden müssen. Das entspricht dem Gedanken des deutschen Föderalismus, und wenn die Bundesregierung bereitwillig eigene Kompetenzen an Brüssel abgibt, dann sorgt sie gleichzeitig dafür, dass Länder und Gemeinden möglichst viele Entscheidungsmöglichkeiten behalten.
Und so ist man auch im EU-skeptischen Bayern mit dem neuen Entwurf zufrieden. "Eine funktionierende Demokratie, das bedeutet auch, dass die Bürgerinnen und Bürger politische Verantwortung klar zuordnen können und dass auch klar ist, wie weit die Befugnisse der einzelnen Ebenen gehen", erklärt Emilia Müller, die Europa-Staatsministerin der Landesregierung. "Viele unserer Anliegen sind in dem jetzt vorliegenden Vertragsentwurf enthalten."
So sollen in Zukunft sowohl die nationalen Parlamente – in Deutschland also Bundestag und Bundesrat - als auch der Ausschuss der europäischen Regionen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen können, wenn sie das Subsidiaritätsprinzip verletzt sehen.