Schrumpfkur
11. Oktober 2007Die europäische Volksvertretung stimmte am Donnerstag (11.10.2007) in Brüssel mit großer Mehrheit der umstrittenen Neuverteilung ihrer Sitze zu. Sie soll die Handlungsfähigkeit sichern. Ab der nächsten Europawahl im Sommer 2009 hat das Parlament nur noch 750 Abgeordnete, 35 weniger als bisher.
Von den Europa-Abgeordneten stimmten 378 für die Vorlage des französischen Berichterstatters Alain Lamassoure von der konservativen Europäischen Volkspartei sowie des Rumänen Adrian Severin von den Sozialdemokraten. 154 Parlamentarier stimmten dagegen, 109 enthielten sich.
Stärkere Ausrichtung an der Einwohnerzahl
Nach dem Beschluss verlieren alle großen EU-Staaten mit Ausnahme Spaniens Stimmen in der Volksvertretung. Deutschland stellt künftig 96 statt bisher 99 Abgeordnete. Das ist nach den neuen Regeln die Höchstzahl. Einen Machtverlust bedeute dies für Deutschland aber nicht, sagte der Verfassungsexperte im Europaparlament, Jo Leinen. Denn bei der geplanten Reform der EU-Institutionen gewinne die Bundesregierung Gewicht im Ministerrat hinzu. Deshalb wolle Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem EU-Gipfel in Lissabon am 18. und 19. Oktober für die Neuverteilung stimmen.
Verlierer und Proteste
Größter Verlierer im Stimmenpoker ist Italien: Das Land entsendet ab 2009 nur noch 72 Abgeordnete, sechs weniger als bisher. Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi hatte am Mittwoch bei einem Brüssel-Besuch bedauert, dass Frankreich künftig zwei Stimmen mehr hat. Rom kritisiert, dass drei Millionen in Frankreich lebende Einwanderer zu den Staatsbürgern hinzugezählt wurden. Prodi will dennoch einen Beschluss auf dem EU-Gipfel nicht mit seinem Veto verhindern.
Auch in Polen gibt es Proteste gegen die Neuverteilung. Das größte neue Mitgliedsland stellt künftig nur noch 51 Abgeordnete, drei weniger als bisher. Leinen hält die Klagen aus Warschau jedoch für nicht berechtigt. Polen vergleiche sich mit Spanien, das künftig drei Stimmen mehr hat. Es habe aber nur rund 38 Millionen Einwohner und damit gut fünf Millionen weniger als Spanien, sagte Leinen.
Mehr Stimmen - jeweils eine - erhalten künftig nur vier kleinere EU-Länder: Österreich, Slowenien, Schweden und Malta.
Obergrenze bleibt
Die Stimmverteilung folgt dem Prinzip der degressiven Proportionalität. Danach sind kleinere Länder verhältnismäßig stärker vertreten als größere. Konkret heißt dies: Ein deutscher Europa-Abgeordneter vertritt künftig rund 859.000 Bürger, ein österreichischer aber nur 435.000. Ganz unten in der Liste steht der Zwergstaat Malta: Dort vertritt jeder Abgeordnete rund 67.000 Bürger.
Auch für die künftige Erweiterung der EU ist die Obergrenze von 750 Abgeordneten vorgeschrieben. Damit muss für den Beitritt Kroatiens spätestens bis 2014 eine weitere Neuverteilung erfolgen. In Brüssel wird bereits mit harten Kämpfen gerechnet.
Die Idee eines kleineren Parlaments geht auf die gescheiterte EU-Verfassung zurück. Der Juni-Gipfel unter Leitung Merkels hatte die Pläne bestätigt. Die Obergrenze von 750 Abgeordneten ist im Reformvertrag festgeschrieben, der die Verfassung ersetzen soll. (kas)