Was bedeutet ein Rechtsruck für die Wirtschaft in Sachsen?
31. August 2024Dresden ist stolz auf seine Geschichte, seine zahlreichen Barockbauten wie die Frauenkirche oder das Palais im Großen Garten, seine einzigartige Kunstsammlung und die herrlichen Aussichten. Doch es gibt auch Ausblicke in der Hauptstadt Sachsens, die zumindest in den Augen einiger Investoren wenig ansprechend sind.
Sachsen und Thüringen liegen im ehemals sozialistischen Osten Deutschlands. Am 1. September wird in beiden Bundesländern ein neuer Landtag gewählt. Nur drei Wochen später gehen auch die Wähler in Brandenburg, einem weiteren ostdeutschen Bundesland, an die Urnen. Die Region steht am Scheideweg und Unternehmer warten mit angehaltenem Atem, was passieren wird.
Grund dafür ist der Aufstieg der rechten Parteien, insbesondere der Alternative für Deutschland (AfD). Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni belegte die rechtspopulistische Partei in Deutschland den zweiten Platz und lag damit vor allen drei Parteien der Regierungskoalition.
Die AfD profiliert sich als einwanderungsfeindliche Partei, die den Euro verlassen will und die Auflösung der Europäischen Union fordert. Auf ihren Wahlplakaten verspricht sie unter anderem kostenloses Schulessen und geringere Kosten für die Pflege älterer und bedürftiger Menschen. Ihr Plan für Migranten lautet "Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen". Ganz klar ist jedoch noch nicht, wer damit gemeint ist: Vorwiegend Geflüchtete oder alle Neuankömmlinge? Am Wahltag wird die Partei in Ostdeutschland vermutlich Zugewinne verzeichnen können. Einige Umfragen gehen von bis zu 30 Prozent der Stimmen aus.
Arbeitgeber und Gewerkschafter schlagen Alarm
Fragt man Menschen auf der Straße, ob sie sich Sorgen über einen Rechtsruck bei den Wahlen machen, muss man häufig erst mit einigen Sekunden Schweigen rechnen. Viele zögern und überlegen, was sie sagen sollen.
Fragt man Arbeitgeber oder Gewerkschafter, kommt die Antwort schneller. "Wir haben ein zunehmendes Problem mit Rechtsextremismus", sagt Markus Schlimbach, Vorsitzender des Bezirks Sachsen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Mit rund 250.000 Mitgliedern repräsentiert die Gewerkschaft etwa 16 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Bundeslandes.
"Diese Ablehnung von allem Fremden ist wirklich ein Problem, das sich in Sachsen in den vergangenen Jahren immer mehr aufgebaut hat", berichtet er im Gespräch mit der DW und weist darauf hin, dass Sachsen paradoxerweise gleichzeitig stark davon abhängig ist, seine Produkte global zu vermarkten.
Schlimbach stammt selbst aus Sachsen und ist seit 1991 Gewerkschaftsmitglied, seit 2017 steht er dem Bezirk vor. Er engagiert sich gegen Extremismus und Rassismus und ist überzeugt, dass Unternehmen das auch tun und ihre Mitarbeiter schützen müssen.
Für viele Menschen ist das nicht nur offensichtlich, die rassistische Propaganda hat angesichts des Fachkräftemangels auch praktische Konsequenzen. In den kommenden zehn Jahren gingen in Sachsen 300.000 Arbeitskräfte in den Ruhestand und müssten ersetzt werden, führt Schlimbach aus. Ein weiteres Wirtschaftswachstum und der entsprechende Bedarf an Beschäftigten sei bei diesen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt.
Automatisierung und Digitalisierung können einen Teil der Arbeit übernehmen, jedoch nicht alles. Für viele Arbeiten sei Sachsen "auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen", betont Schlimbach in seinem Büro in der Nähe des Zentrums von Dresden. Da Sachsen an Polen und die Tschechische Republik grenzt, haben es einige dieser Arbeitnehmer nicht weit. Doch andere müssen aus entfernter gelegenen Teilen der Welt nach Sachsen kommen.
Sachsen sucht Investoren
Ein weiteres Problem: Es gibt - anders als im Westen des Landes - in Sachsen kaum große oder mittlere, sondern vor allem etliche kleine Unternehmen. 90 Prozent der Firmen haben weniger als 20 Mitarbeitende.
Für die Region bedeute dies oft, dass Forschung und Entwicklung anderswo stattfänden, so Schlimbach. Die Region fungiere nur als "verlängerte Werkbank" und nicht als Innovator. Das macht es schwierig, zahlungskräftige Investoren zu finden und führt zu häufigen Wechseln im Management.
Für internationale Investoren sei Deutschland ohnehin nur ein Land unter vielen, sagt Olaf Zachert. Der Investor hat sich auf die Rettung von Unternehmen spezialisiert, die andere abgeschrieben haben. In jüngster Zeit bekommt er jede Menge Verkaufsangebote von Gründern, die aufgeben, oder von Unternehmen, die Deutschland oder Europa ganz verlassen wollen. Wenn Zachert einen Betrieb übernimmt, gehört es zu seinen Prinzipien, Fertigungs-Knowhow vor Ort zu erhalten.
"Ausländisches Kapital ist wie ein scheues Reh. Es ist in Bewegung", sagt er zur DW. "Ich investiere nicht dort, wo ich nicht willkommen bin, ich investiere nicht dort, wo ich große Probleme sehe." Zachert ist überzeugt: Sollte die AfD an Einfluss gewinnen, dann überlegten Investoren sich zweimal, ob sie ein Angebot machen.
Osteuropa ist nah - und für Unternehmen attraktiv
Eines der wichtigsten Argumente, das für Sachsen spricht, ist das große Reservoir an Fachkräften. Sie verfügten über langjährige Erfahrungen, arbeiteten teilweise schon seit Jahrzehnten für denselben Arbeitgeber. Ihre Unternehmen kennten sie in- und auswendig. "Ostdeutschland hat ein immenses Potential, eben gerade weil hier so unendlich gute Fachkräfte angesiedelt sind", meint Zachert. Doch das allein reiche nicht aus, zumal der Bestand an Arbeitskräften insgesamt schrumpfe.
"Wir sind nur wettbewerbsfähig, wenn wir auch ausländisches Knowhow durch ausländische Fachkräfte zulassen", betont er - aber deren Arbeitsplätze würden mit der AfD an der Macht nicht sicherer. Osteuropa sei direkt nebenan und voll mit Menschen, die bereit seien, für weniger Geld zu arbeiten. Betriebe könnten ihre Produktion also einfach über eine EU-Grenze hinweg verlagern - das sei nicht schwierig.
Olaf Zachert hofft, dass Wähler und Wählerinnen sich Gedanken über die Konsequenzen machen, bevor sie ihre Stimme abgeben. Bei Menschen und Unternehmen, die sich überlegen, hier zu arbeiten oder zu produzieren, habe Sachsens Ruf bereits Schaden genommen. Zachert blickt dennoch mit vorsichtigem Optimismus auf den Ausgang der Wahlen.
Auch Markus Schlimbach glaubt an die Zukunft Sachsens und ist zuversichtlich, weil die Öffentlichkeit diese Wahlen so ernst nimmt. Made in Saxony sei "ein Ausweis von Qualität, von Fachwissen, von gut ausgebildeten Menschen und von Innovationkraft", sagt er. Er hofft darauf, dass die Wahlen eine stabile demokratische Mehrheit hervorbringen und sich die Menschen wieder ihren Alltagsgeschäften zuwenden können. Schließlich benötigt Sachsen mehr als eine reiche Vergangenheit, um in Zukunft zu überleben.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.