Warum Streaming Hollywood nicht retten kann
6. August 2020Disney hat Kinobetreiber rund um den Globus diese Woche in Angst und Schrecken versetzt. Der Grund: Disneys Spielfilm-Remake des Trickfilmklassikers "Mulan" wird nicht in die Kinos kommen, sondern gleich on demand verfügbar sein. Ab dem 4. September können Abonnenten von "Disney+", dem hauseigenen neuen Streamingdienst von Disney, die 200 Millionen US-Dollar teure Produktion online schauen.
Zu einem Extra-Preis von 29,99 Dollar, umgerechnet rund 25 Euro, bleibt der Film über das rebellische Mädchen Hua Mulan so lange in der Bibliothek abrufbar, wie der Kunde ein Abo beim Streamingdienst besitzt. Nicht nur in den USA, auch in Kanada, Neuseeland, Australien und westeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland können "Disney+"-Kunden den Film sehen.
Herbe Verluste durch geschlossene Themenparks
Die Ankündigung schien dem finanziell angeschlagenen Unternehmen zu helfen: Die Disney-Aktien stiegen nach der Bekanntgabe um mehr als fünf Prozent. Zwischen April und Juni diesen Jahres hatte Disney einen Verlust von rund 4,7 Milliarden US-Dollar zu verzeichnen: Die Corona-Pandemie brachte Disneys Geschäft mit den Themenparks und Resorts zum Erliegen.
Der Streamingdienst "Disney+", der vor neun Monaten gestartet ist, hat bereits 60,5 Millionen Abonnenten. Damit liegt Disney deutlich hinter Streaming-Gigant Netflix, der weltweit 193 Millionen Abonnenten hat, kommt dem selbstgesteckten Ziel von 60 bis 90 Millionen Abonnenten bis 2024 aber schon nahe.
Disney scheint seine träge Vergangenheit, in der sich der Konzern ganz klassisch auf das Kino konzentrierte, zu überwinden und sich einer digitalen Zukunft zuzuwenden.
Corona beflügelt Digitalgeschäft
"Angespornt durch den Erfolg (Disney+) und auch aus der Notwendigkeit heraus (Einschränkungen durch Corona), erreicht Disney mit seiner Streaming-Strategie ein neues Investitions- und Wachstumsniveau", beschrieb der Analyst Benjamin Swinburne von der Investmentbank Morgan Stanley kürzlich die Situation.
Auf den ersten Blick sieht Disneys "Mulan"-Schachzug wie ein guter Deal aus: Der Blockbuster wird "Disney+" neue Abonnenten bringen, und da diese direkt beim Konzern für ihr Abonnement bezahlen und kein Kino dazwischen geschaltet ist, geht jeder durch den Film eingenommene Dollar unmittelbar an das Studio. Sonst teilt ein Hollywood-Studio bei einem Kinostart in der Regel die Einnahmen an den Kinokassen zur Hälfte mit den Kinos.
"Trolls World Tour": On demand erfolgreicher als im Kino
Universal hat mit "Trolls World Tour" im April einen ähnlichen Weg eingeschlagen: Der Animationsfilm startetet exklusiv im Heimkino und wurde nur als Video-on-Demand veröffentlicht.
Universal gibt an, dass er auf diesem Wege in den USA an die 100 Millionen US-Dollar eingespielt habe. Davon erhalte Universal rund 77 Millionen. Dieser Gewinn sei sogar höher als das, was das Unternehmen 2016 von den 154 Millionen US-Dollar erhielt, die der Vorgängerfilm "Trolls" über die Kinokassen eingespielt habe.
On demand in China und Großbritannien unbedeutend
Blickt man jedoch auf das Geschäft außerhalb von Nordamerika, sieht die Sache anders aus. Verglichen mit dem, was Kinos einbringen, ist der Direct-to-Digital-Markt in weiten Teilen der Welt noch immer winzig. In China existiert er so gut wie gar nicht, und selbst in Großbritannien machten digitale On-Demand-Verkäufe im Jahr 2019 nur fünf Prozent des rund 3,2 Milliarden Dollar schweren Home-Entertainment-Marktes des Landes aus.
"Das digitale Geschäft hat durch den Corona-Lockdown, bei dem plötzlich alle Filme zu Hause streamen wollten, stark zugelegt. Aber das hat nicht annähernd ausgereicht, um die Verluste der Filme zu kompensieren, die eigentlich mit einem Kinostart kalkuliert hatten oder diesen noch planen", sagt David Garrett, Leiter von Mister Smith Entertainment, einer unabhängigen Filmproduktions- und Vertriebsgesellschaft mit Sitz in London.
"Aladdin", das letzte Spielfilm-Remake eines Trickfilmklassikers von Disney, brachte an den Kinokassen weltweit 1,05 Milliarden Dollar ein. Um diese Gewinne mit "Mulan" zu erreichen, bräuchte das Studio bei Leihgebühren in Höhe von 29,99 Dollar rund 30 Millionen Zuschauer - also die Hälfte der jetzigen "Disney+"-Abonnenten. Hehre Ziele in Zeiten, in denen die ganze Welt unter einer beispiellosen wirtschaftlichen Rezession leidet.
Streaming begünstigt Piraterie
Dazu kommt, dass die digitale Veröffentlichung durchaus auch eine dunkle Seite hat: Piraterie. Eine neue Studie des in Großbritannien ansässigen Unternehmens Muso, das Daten zu Urheberrechtsverletzungen durch Piraterie sammelt, deutet darauf hin, dass schnelle Onlineveröffentlichungen zu mehr Piraterie führen, weil qualitativ bessere Raubkopien so einfacher verfügbar sind.
Wie die Film-Fachzeitschrift "The Hollywood Reporter" berichtet, verzeichnete Bloodshot", ein Actionfilm mit Vin Diesel, den Sony vertreibt, in den ersten sieben Tagen, nachdem das Studio die Kinovorführungen wegen Corona gestoppt und den Film on demand herausgebracht hatte, einen massiven Zuwachs an Menschen, die ihn auf einschlägigen Seiten als Raubkopien sehen wollten: ein Anstieg um 1600 Prozent. Bei "Sonic the Hedgehog", ein Paramount-Titel, steigerten sich die Zugriffe auf eine Raubkopie des Films um 719 Prozent. Zum Vergleich: Der Film "Joker" von Warner Bros. startete Anfang Oktober 2019 nur im Kino. Als am 10. November eine hochwertige Raubkopie des Films in Umlauf geriet, stiegen die Visits auf den Piraterieportalen lediglich um 29 Prozent.
Das erklärt, warum auch Disney sich beim Filmstart von "Mulan" nach allen Seiten absichert. In China und in anderen Ländern, in denen "Disney+" nicht verfügbar ist - also in den meisten Teilen der Welt - soll "Mulan" nämlich noch ganz regulär in die Kinos kommen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Warner Bros. mit Christopher Nolans "Tenet". Das Sci-Fi-Epos soll außerhalb der USA Ende August in die Kinos kommen, in den USA startet der Film erst Anfang September in ausgewählten US-amerikanischen Kinos.
"Wir betrachten 'Mulan' als ein Experiment, anstatt zu sagen, dass so das neue Geschäftsmodell aussieht, das wir anvisieren", erklärte Disney-CEO Bob Chapek diese Woche Investoren.
Seinen nächsten großen Film, den Marvel-Film "Black Widow", will Disney ganz regulär im Kino starten lassen. Die Premiere ist für den 6. November geplant. Bis dahin hofft Hollywood, dass das träge Kinogeschäft wieder auf Trab kommt und es sein Geld nicht mehr rein digital eintreiben muss.