Warum Sprachen aussterben
21. Februar 2017Überall auf der Welt sind Sprachen vom Aussterben bedroht: ob in Deutschland, wo Niedersorbisch nur noch von knapp 7000 Menschen gesprochen wird, oder in Nordamerika, wo etwa 250 Menschen ihre Muttersprache Cayuga nutzen. Die indigene Sprache Dalabon sprechen sogar nur noch elf Menschen, vielleicht auch weniger. Die letzte Zählung liegt über zehn Jahre zurück.
Mit dem Internationalen Tag der Muttersprache (21. Februar) machen die UN jährlich auf die Bedeutung der Sprachenvielfalt aufmerksam. Weltweit werden nach Schätzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) rund 6000 Sprachen gesprochen. 2500 davon sieht die UNESCO in ihrem Bestehen bedroht. "Ein ganz klares Zeichen für eine Gefährdung ist, wenn die Eltern ihre Sprache nicht mehr mit den Kindern sprechen", sagt Katharina Haude, Wissenschaftlerin am Centre National de Recherche Scientifique (dem Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Frankreich) und ehrenamtliches Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft für bedrohte Sprachen.
Globalisierung begünstigt Sprachensterben
In Lateinamerika konnte Haude dieses Phänomen selbst beobachten. Über einen Zeitraum von zehn Jahren reiste sie regelmäßig nach Santa Ana del Yacuma im Norden Boliviens. Die 12.000-Einwohner-Stadt ist aus linguistischer Sicht besonders interessant: Hier finden sich die letzten 1500 Menschen, die die indigene Sprache Movima sprechen. Doch ihre Sprecher sind alt, viele schon über 70.
Für den Rückgang von Sprachen haben Wissenschaftler unterschiedliche Erklärungen. "Ein Faktor ist sicherlich die Globalisierung", sagt Paul Trilsbeek, Leiter des Archivs für Bedrohte Sprachen am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen. "Die Menschen denken, sie haben bessere Chancen in ihrem Leben, wenn sie weiter verbreitete Sprachen sprechen." Auch dass immer mehr Menschen aus ländlichen Gemeinden in größere Städte ziehen, sei mitentscheidend.
Mehr Sprachen sterben aus
Insbesondere indigene Sprachen, die nicht verschriftlicht sind, seien gefährdet, sagt Katharina Haude. In Bolivien sei der Rückgang kleiner Sprachen wie Movima auch mit dem Ausbau des Schulsystems verbunden gewesen: "In den 50er Jahren wurden in Bolivien Schulen aufgebaut, an denen nur Spanisch angeboten wurde", so Haude. In der Folge hätten die Eltern aufgehört, mit ihren Kindern die eigene Sprache zu sprechen. Erst mit einer Bildungsreform erhielten die 30 indigenen Sprachen Boliviens 1994 wieder Eingang in die Schulen. Auch Movima habe dadurch wieder an Ansehen gewonnen.
Seit 1950 sind laut UNESCO mehr als 200 Sprachen weltweit ausgestorben. "In den letzten Jahrzehnten scheint die Zahl der verschwundenen Sprachen angestiegen zu sein", erzählt Paul Trilsbeek im DW-Interview. Er leitet das Multimedia-Archiv für Bedrohte Sprachen am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik. Über zehn Jahre lang reisten Forscher in die entlegensten Gegenden der Welt, um mit Menschen zu sprechen, deren Muttersprache vom Aussterben bedroht ist. Ihre Audio- und Videoaufzeichnungen finden sich in der Online-Datenbank.
Motivation entscheidend
"Das Ziel des Projekts war es, bedrohte Sprachen für die Forschung zu dokumentieren, aber das Archiv kann auch für die Sprachgemeinschaften wichtig sein”, erklärt Trilsbeek. So könnten die Aufzeichnungen als Grundlage für Lehrmaterial verwendet werden. Um eine sterbende Sprache wiederzubeleben, reiche das aber nicht: "Zuerst muss die Motivation neu geschaffen werden, die Sprache an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben", sagt der Archivleiter. Positiv habe sich ausgewirkt, dass immer mehr Menschen Smartphones und einen Zugang zum Internet haben. "Dadurch gibt es auch online immer mehr indigene Sprachen, zum Beispiel auf YouTube. Das kann auch helfen, Sprachen zu erhalten", sagt Trilsbeek.