Griechenland: Was ist mit den Asylverfahren?
25. September 2020Ein Asylverfahren in Griechenland beginnt mit der Registrierung und Identifizierung der Antragsteller. Dann folgt eine ärztliche Untersuchung, die auch überprüft, ob der Neuankömmling zu einer besonders schutzbedürftigen Gruppe gehört. Erst wenn das klar ist, kann der eigentliche Asylantrag eingereicht werden - und dann muss der Antragsteller auf einen Interviewtermin warten. Oftmals monatelang.
Nach dem Interview wird der entsprechende Antrag bearbeitet. Dann eine Entscheidung getroffen. Wird der Antragsteller abgelehnt, kann er bei einer speziell eingerichteten Behörde Berufung einlegen. Fällt deren Entscheidung ebenfalls negativ aus, kann der Migrant vor ein Verwaltungsgericht ziehen. Das kann Jahre dauern.
"Unverhältnismäßige Verzögerungen in allen Phasen des Verfahrens" kritisiert Andreas Pottakis, der Ombudsmann Griechenlands, im Gespräch mit der DW. "Schon auf den ersten Interviewtermin wartet man Monate. Dann auf den Entscheid, dann auf die Berufungsbehörden, wenn ein Bewerber abgelehnt worden ist, und dann in der letzten Phase sind die Verzögerungen der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten schockierend." All das gehört für Pottakis zu den "Merkmalen des griechischen Justizsystems."
"Um die Verzögerungen im griechischen Asylverfahren zu verringern, müssen die zuständigen Behörden gestärkt werden", sagt Alexandros Konstantinou, Anwalt beim griechischen Flüchtlingsrat. "Gleichzeitig ist aber ein dauerhafter Mechanismus der Solidarität und Verteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten erforderlich", so der Jurist der Hilfsorganisation, die Asylbewerbern bei den zuständigen griechischen Behörden Rechtshilfe leistet.
10,3 Monate Wartezeit
Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass die Bereitstellung von Logistikinfrastruktur und Personal - etwa durch den Einsatz von Mitarbeitern des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen bei der griechischen Asylbehörde - nicht ausreiche. "Das allein kann die Verfahren nicht beschleunigen - und vor allem keine humanitäre Krise an den Außengrenzen Europas vermeiden", so Konstantinou weiter.
Catherine Woollard, Direktorin des Europäischen Rats für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) in Brüssel, stellt fest, dass es bereits 2019 Fälle von Afghanen und Irakern gab, die einen Termin Ende 2023 bekommen hatten - für das erste Interview. Türken und Iraner müssten bis 2024 warten. "Für die Syrer, die einen 'fast-track'-Prozess durchlaufen, sind Interviewtermine für 2021 geplant. Im Jahr 2019 betrug die durchschnittliche Wartezeit für die Asylentscheidung 10,3 Monate."
Das System wird immer komplizierter
Auch Woollard meint, dass diese Verzögerungen auf strukturelle Probleme und Ressourcenmangel im griechischen Asylsystem zurückzuführen sind. Ein anderer Grund sei die mangelnde Einhaltung des europäischen Rechts in Bezug auf die Verfahren und Aufnahmebedingungen. Hinzu kämen wirtschaftliche Schwierigkeiten Griechenlands infolge der Eurokrise. Auch die häufigen Gesetzesänderungen würden verstärkt zur "Ineffizienz" der Behandlung von Asylfällen beitragen. "Die Gesetze und die Personen, die sie anwenden müssen, ändern sich ständig, was das System noch komplizierter macht", so die ECRE-Direktorin.
Erklärtes Ziel der griechischen Regierung bei den Änderungen im Asylrecht war eine Beschleunigung der Verfahren. Das sei aber nur ein Vorwand, sagt Rechtsanwalt Alexandros Konstantinou: "Die wahre Absicht scheint zu sein, das Verfahren so kompliziert zu gestalten, dass der Asylbewerber den Prozess gar nicht allein, also ohne Rechtsanwalt, fortsetzen kann. Es geht letztendlich um drastische Änderungen, die den Zugang zu einem fairen Verfahren erheblich einschränken."
Problem "Inhaftierung"
Vor allem die "Inhaftierung" von Migranten, die kein Asyl bekommen haben, hält Ombudsmann Andreas Pottakis für rechtlich hoch problematisch. Diese sei von der Ausnahme zur Regel geworden, wobei die maximale "Inhaftierungszeit", die eigentlich selbst für Straftäter nur 18 Monate betrage, bei abgelehnten Asylbewerbern nach einer Gesetzesänderung nun 36 Monate dauern kann. Dafür sei Griechenland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach verurteilt worden - aber es ändere sich nichts.
Im DW-Gespräch äußert Pottakis auch seine Besorgnis über mutmaßliche illegale "Push-backs". Im Sommer 2017 hatte der Ombudsman nach einer Beschwerde erstmalig eine Untersuchung durchgeführt. Trotz der vielen Fälle, die seitdem durch Medienberichte bekannt geworden seien, hätten alle griechischen Regierungen behauptet, es habe nie Push-backs gegeben.