Warum kommt Viktor Orban zur CSU?
5. Januar 2018Für viele in Deutschland ist es unverständlich, warum ausgerechnet Viktor Orban immer wieder Gast bei der CSU ist - der bayerischen Schwesterpartei der CDU. So geschah es 2014, 2015 und 2016. Zuletzt war der umstrittene ungarische Regierungschef im Herbst 2017 in München Gast der CSU. Nur wenige Monate später kam er nun zur Winterklausur der Christsozialen, um sich zunächst mit dem Parteichef und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer unter vier Augen und dann mit den Bundestagsabgeordneten der CSU auszutauschen.
Gemeinsame Geschichten
Es gibt eine lange Vorgeschichte - zum einen, was die Person Orban selbst betrifft, zum anderen zum Verhältnis zwischen Bayern und Ungarn. Historisch sehen manche schon im Mittelalter den Ausgangspunkt für eine lange Freundschaft. Die erste ungarische Königin vor rund 1000 Jahren wurde in Bayern geboren. Im 20. Jahrhundert war die Zeit nach der gescheiterten Revolution in Ungarn 1956 prägend. Tausende Ungarn flüchteten damals - und fanden im geografisch nicht weit entfernten Bayern ihre neue Heimat. Die Integration klappte gut. Nicht wenige "bi-nationale" Ehen entstanden. In der Münchner High-Society machte sich auch so mancher Exil-Ungar einen Namen.
Das Land mit dem Plattensee war für viele Bayern aber auch ein relativ günstiger Urlaubsort oder ein Ort für Wasser-Kuren in den ungarischen Bädern. Trotz des Eisernen Vorhangs waren die Bayern dort gern gesehene Gäste.
Kohls Freund, Gegenspieler von Merkel
In Orbans erster Regierungszeit zwischen 1998 und 2002 konnte dieser auf viele politische Freunde in Deutschland bauen - unter anderem auf Ex-Kanzler Helmut Kohl. 2001 überreichte ihm die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung einen wichtigen Preis. Er war auch schon bei runden Geburtstagen mancher hoher CSU-Funktionäre eingeladen. Orban soll sich beim Aufbau seiner Partei an der CSU orientiert haben - konkret an der Betonung von pro-kirchlichen und pro-familiären Werten. Aber auch Angela Merkel trat lächelnd neben Orban auf - gehören, beziehungsweise gehörten ihre beiden Parteien doch - auf Initiative von Kohl - zur selben politischen Familie.
Doch die Partnerschaft änderte sich während Orbans zweiter Regierungszeit ab 2010. Seine Partei wurde autoritärer und rutschte stärker an den rechten Rand, wohl auch wegen einer starken rechtsextremen Strömung in Ungarn. Das Zerwürfnis begann dann mit der Flüchtlingskrise im Sommer 2015. Merkel öffnete Deutschland für die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge - der Rest ist bekannt. Die deutsche Regierungschefin wollte dann einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in der EU installieren. Der aber bis heute nicht zustande kam. Daran trägt Orban einen hohen Anteil. Unter seiner Wortführerschaft entwickelte sich ein Anti-Merkel-Bündnis mit Polen, Tschechien und der Slowakei. Im Ergebnis wurde Orban ein gewichtiger Gegenspieler der Kanzlerin auf EU-Ebene und für viele in Deutschland ein Beispiel für einen Rechtspopulisten, der die Demokratie in seinem Land bedrohte.
Politischer Partner der CSU
Für die CSU - bis vor kurzem in der Flüchtlingspolitik auf Konfrontationskurs zu Merkel - war Orban so ein Verbündeter. Der sogenannte "Obergrenzen"-Streit zwischen CDU und CSU gilt inzwischen zwar als ausgefochten. Doch im Detail gibt es noch Unterschiede. Wohl deshalb wurde Orban erneut eingeladen: Um nämlich nochmal Druck zu machen in Richtung Berlin und Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung.
Für den Ungarn bedeutet die Einladung Zuspruch und Entlastung zugleich. In der CSU gibt es nicht wenige Verteidiger und Orban-Versteher. So hat jeder Vorteile in diesem politischen Geschäft.
Für die CSU kommt hinzu, dass der Orban-Besuch zur wieder aufgefrischten Strategie passt, den rechten Wählerrand mit allen Mitteln einbinden zu wollen. Doch ganz so geschlossen ist die Front der Orban-Freunde in der CSU nicht, wie am Rande zu erfahren war. So musste er sich anscheinend viele kritische Fragen auch zu rechtsstaatlichen Punkten gefallen lassen. Was die Pressevertreter dann aber nicht durften. Stattdessen gab es nur Statements, Fragen waren nicht zugelassen.
Öffentlicher Schulterschluss mit der CSU
Orban schwärmte von der langen Freundschaft, die "von der ersten ungarischen Königin bis zu Audi" reiche. Auch Seehofer und Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenvorsitzender in Berlin, betonten die wirtschaftliche Dimension der bilateralen Beziehungen. Der Gesprächsfaden zu Ungarn dürfe nicht abreißen, sagte Dobrindt - und verteidigte Orban stattdessen inhaltlich. Beim Schutz der Außengrenzen verhalte sich Ungarn rechtsstaatlich. Solidarität, die andere EU-Partner bei der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen bei Ungarn vermissen, sei vorhanden - nämlich bei Plänen zum Wiederaufbau in Krisenstaaten und dem Engagement für humanitäre Hilfe.
Bei Seehofer hieß es später dazu: Ungarn stehe "zweifelsfrei auf rechtsstaatlichem Boden". Beim CSU-Chef war kein Gedanke an Zurückhaltung herauszuhören - im Gegenteil. Er werde, so Seehofer, persönlich eine Initiative für eine bessere Zusammenarbeit mit den mitteleuropäischen Staaten, natürlich inklusive Ungarn, auf den Weg bringen.
Orban heute - Vorkämpfer des Rechtspopulismus
Von Zurückhaltung war auch bei Orban nichts zu hören. Er, Orban, habe in Bayern nie Böswilligkeit empfunden. Die Migrationsfrage habe zu einem Demokratie-Problem in Europa geführt. Der "Wille des Volkes" sei eindeutig: Die Menschen wollten keine terrorgefährlichen Situationen, sondern Sicherheit und sichere Grenzen haben. Menschen, die keinen Grund hätten, in Europa zu sein, müssten zurückgebracht werden. Europas Spitzenpolitiker aber hätten nicht danach gehandelt. Im Jahr 2018 müsse der "Volkswillen in Europa" nun wiederhergestellt werden. Das müsse Schritt für Schritt erfolgen.
Von Seehofer habe er viel gelernt: Dass auf Rechtswidrigkeit kein Recht begründet werden könne. Je höher der Druck, umso mehr müssten Gesetze eingehalten werden. Er stamme aus einem Land, wo Regeln eingehalten würden. Ungarn habe noch in Zeiten, als in Europa das "Chaos gefeiert" wurde, Grenzschutz betrieben. Sein Land sei, so Orban der "Grenzschutz-Kapitän" für Europa und auch für Bayern.
Viele der anwesenden Journalisten erlebten Orban zum ersten Mal live. Er sprach auf Ungarisch - was sich an der ein oder anderen Stelle sehr streng anhörte. Auch in den Gesichtern der beiden CSU-Politiker flackerten kurze Momente des Zweifels auf, ob die mögliche Härte von Orbans rund zehnminütigem Statement eventuell zu viel war. Doch Provokationen gehören zum Geschäft einer CSU-Klausur.