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KonflikteSüdafrika

Warum sich Juden in Südafrika alleine gelassen fühlen

David Ehl | Katharina Peetz
20. Februar 2024

Südafrikas Regierung hat keine Berührungsängste gegenüber der Hamas; Israel hingegen wirft sie Genozid vor. Die DW hat sich unter südafrikanischen Juden umgehört, wie sie sich angesichts dieser Politik fühlen.

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Joel Back steht neben einer sandfarbenen Wand, an der Din-A-4-Poster gekidnappter Israels hängen
Supermarkt-Inhaber Joel Back hat eine Außenwand seines Gebäudes für die Hamas-Geiseln reserviertBild: David Ehl/DW

Es ist ein sonniger Sonntagmorgen in Johannesburgs Stadtteil Glenhazel. Männer unterhalten sich im Schatten eines Unterstands. Eine Familie schlendert zu einem Café, die vier Jungen tragen die jüdische Kopfbedeckung Kippa. Doch nur wenige Meter weiter prangen mehr als 100 Steckbriefe an einer Hauswand, die von Gewalt und Terror zeugen: "Kidnapped" steht vor rotem Hintergrund über jedem Foto. Jedes zeigt eine Person, die am 7. Oktober von der militant-islamistischen Hamas in Israel entführt und anschließend ermordet oder in den Gazastreifen verschleppt wurde. Deutschland, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sowie andere Staaten stufen die Hamas als Terrororganisation ein. Auf manche Steckbriefe hat jemand kleinere Sticker mit dem Satz "I Am Home" geklebt, auf andere ein Foto von Trauerkerzen.

"Es war eine emotionale Erfahrung, als wir sie aufgehängt haben", sagt Joel Back der DW. Er betreibt den koscheren Supermarkt "Kosherworld", an dessen Außenwand die Poster kleben. "Es war an einem Freitag; viele Menschen sind gekommen und haben sich beteiligt."

Loyalität mit Palästinensern als Erbe der Apartheid

In Israel ist seit dem Terrorangriff nichts mehr wie zuvor; das Land befindet sich im Kriegszustand. Die Armee will die Hamas-Strukturen zerstören und überzieht den Gaza-Streifen mit massivem Dauer-Bombardement, bei dem auch schon zehntausende Zivilisten getötet wurden. Auch in Südafrika hat der 7. Oktober deutliche Spuren hinterlassen: Die Regierung hat sich klar auf die Seite der Palästinenser gestellt und hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen Genozid an ihnen vorgeworfen.

"Kidnapped"-Poster in mehreren Reihen an der sandfarbenen Außenwand
"Ich bin zu Hause", verkünden Aufkleber bei manchen Geiseln. Andere sind als tot markiert - wie die Deutsch-Israelin Shani Louk (obere Reihe)Bild: David Ehl/DW

Die Nähe des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (African National Congress, ANC) zu den Palästinensern hat ihren Ursprung in den 60er- und 70er-Jahren, als Nelson Mandela und seine Mitstreiter noch gegen das Apartheidregime kämpften und dabei Parallelen zur palästinensischen Sache zogen. Unter dem Eindruck der Shoa standen damals in Südafrika auch viele Juden den Opfern des rassistischen Apartheidregimes zur Seite. Dabei kritisierten einige jüdische Südafrikaner auch Israels Umgang mit den Palästinensern. Heute müssen die geschätzt 60.000 südafrikanischen Jüdinnen und Juden zur Kenntnis nehmen, dass ihre Regierung den jüdischen Terroropfern nur wenig Empathie entgegen bringt.

"Wir sind nicht einverstanden mit der Politik"

Das sage er jetzt nicht als Händler, sondern als Privatmann, schiebt Back voraus: "Wir sind momentan nicht einverstanden mit der Politik. Und Politik hat ihr eigenes Momentum. Aber mal abwarten, bald wird gewählt", sagt Back. Voraussichtlich im Mai stehen Parlamentswahlen an, bei denen der ANC erstmals seit dem Ende der Apartheid die absolute Mehrheit einbüßen könnte.

In seinem Supermarkt hat die Eskalation im Nahostkonflikt wenig verändert - höchstens die globalen Handelseinschränkungen, weil jemenitische Huthi-Milizen internationale Handelsrouten stören. Das gelte auch für die Sicherheit: "Wenn wir zum Beispiel am Sabbat in die Synagoge wollen, gibt es kein Problem. Aber es gibt Sorgen - es wäre naiv, etwas anderes zu sagen."

Joel Baum mit einer Packung Streichhölzern in einem Gang seines Supermarkts
Joel Back ist stolz darauf, in seinem koscheren Supermarkt so ziemlich alle Artikel des täglichen Bedarfs anzubietenBild: David Ehl/DW

Verglichen etwa mit Europa gibt es in Südafrika traditionell ein deutlich geringeres Level bei antisemitischen Übergriffen; sowohl in Quantität als auch Qualität. Doch seit dem 7. Oktober stellt der jüdische Dachverband SAJBD einen sprunghaften Anstieg fest: Von Oktober bis Dezember 2023 zählte der Verband 139 Vorfälle, meist verbaler Art - mehr als sechs mal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 2023 gab es demnach auch sechs physische Angriffe auf Menschen - der bei weitem höchste Wert in der Erhebung.

Auch Rabbi Moshe Silberhaft hat in den vergangenen Wochen antisemitische Erfahrungen gemacht, erzählt er der DW: Auf einem jüdischen Friedhof in der Provinz Free State hätten ihn kürzlich drei Männer aus dem vorbeifahrenden Auto als Juden beschimpft und gerufen, er solle nach Israel zurückgehen. 

Der orthodoxe Rabbiner betreut jüdische Gemeinden im ganzen südlichen Afrika. Doch in Südafrika habe sich das Klima am stärksten gewandelt: "Die Menschen hier trauen sich jetzt eher, sich anti-zionistisch zu äußern, weil sie wissen, dass die Regierung das unterstützt." 

Moshe Silberhaft sitzt in einem roten Polstersessel vor einer Vitrine mit rituellen Gegenständen
Moshe Silberhaft ist als "The Travelling Rabbi" im ganzen südlichen Afrika unterwegs - in seiner Heimat Südafrika nimmt er einen besonders starken Stimmungsumschwung seit dem 7. Oktober wahrBild: David Ehl/DW

Verbale Beleidigungen seien auszuhalten, aber der Rabbiner sorgt sich, dass Mitglieder seiner Gemeinde künftig auch physischen Angriffen ausgesetzt sein könnten. 

Er plädiert daher für eine gewisse Zurückhaltung: "Seit dem 7. Oktober müssen wir ein bisschen mehr auf unser Verhalten achten, auch was die Zurschaustellung unseres Glaubens angeht." Dabei gehe es nicht darum, in Angst zu leben oder sich zurückzuziehen. "Sich wenn nötig zu Wort zu melden, ist wichtig. Aber das muss gut durchdacht und abgewogen werden." 

"Eine Ohrfeige für Juden in Südafrika"

Gabriella Farber-Cohen hat sich zu Wort gemeldet. In einem öffentlichen Statement erklärte die frühere Sprecherin der ANC-Frauenliga der Provinz Gauteng Mitte Oktober den Austritt aus ihrer Partei. Dass ihre Regierung die Attacken der Hamas tagelang nicht verurteilte, war für sie nicht nachvollziehbar: "Für mich kam es einer Geringschätzung meines eigenen Lebens gleich. Ich bin Jüdin, wenn ich in Israel leben würde, hätte ich das sein können, die getötet, entführt oder vergewaltigt worden wäre." Dass Südafrika Israel Genozid an den Palästinensern vorwirft und den Fall nach Den Haag brachte, sei wie eine "Ohrfeige für alle Jüdinnen und Juden in Südafrika." 

Gabriella Farber-Cohen steht im Wohnzimmer ihres Bungalows vor einem Bücherregal
Gabriella Farber-Cohen hat sich im ANC engagiert - bis ihre "Comrades" nach dem 7. Oktober auf Distanz gingenBild: David Ehl/DW

Farber-Cohen setzt große Hoffnungen in die Wahlen - und dass die politische Elite abgewählt wird. Letztlich sei es die Regierung, die nicht auf der Seite der Jüdinnen und Juden stehe, nicht die Menschen in Südafrika. 

Nach der Wahl will sich Farber-Cohen nach einer neuen politischen Heimat umsehen. "Wie Zev Krengel vom SAJBD einmal sagte: Ein stolzer Südafrikaner zu sein, bedeutet, jeden Tag aufzuwachen und zu einem besseren Südafrika beizutragen." 

In seinem Supermarkt setzt auch Joel Back auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt: "Wir Südafrikaner haben viele schwierige Phasen überstanden." Er erinnere sich an Blutbäder in den Townships zum Ende der Apartheid, die Freilassung Mandelas, die ersten demokratischen Wahlen: "Wir haben allem Stand gehalten und werden das weiter tun. Unter uns 60 Millionen Südafrikanern gibt es verschiedene Meinungen. Aber wir finden einen gemeinsamen Nenner."

 

Korrekturhinweis: In einer früheren Version war der Nachname eines Protagonisten falsch geschrieben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.