Südafrikas Präsident unter Druck: Kommt der Wandel?
2. Oktober 2023Dimakatso Ragedi kennt das nur zu gut: Plötzlich ist es dunkel im Haus, das Wasser blubbert nicht mehr im Kochtopf, die Waschmaschine stoppt, Handys laden nicht - Stromausfall ist Alltag in Südafrika.
Die 35-jährige Grundschullehrerin wohnt mit Mutter und Tochter in Cosmo City am Stadtrand von Johannesburg. Vor 12 Jahren zog die Familie dort in ein kleines, einfaches Haus, mitfinanziert von der Regierungspartei, dem Afrikanischen Nationalen Kongress (ANC).
"Bleibt der Strom weg, nutzen wir einen Gaskocher und aufladbare Glühbirnen", sagt Ragedi zur DW. Als sie noch in der Wellblechhütte im Township Alexandra wohnten, konnte sich die Familie nur Kerzen und Paraffinkocher leisten, wie die meisten ärmeren Südafrikaner.
ANC hat Ziele nicht umgesetzt
Ragedi gelang ein besseres Leben, aber für viele Menschen hat sich nichts verändert: Die Befreiungsbewegung Nelson Mandelas versprach der schwarzen Mehrheitsbevölkerung 1994 in ihrem ersten Wahlmanifest mehr Wohlstand und eine angemessene Behausung als ihr Grundrecht. Heute, knapp 30 Jahre nach der Machtübernahme, schafft es der ANC kaum, das Licht in den Häusern anzulassen.
Die Stromkrise verschärft sich immer weiter: "Bis zu zwölf Stunden Stromausfall täglich in der ersten Jahreshälfte", sagt Raika Wiethe zur DW. Sie lebt in Parkview, einem grünen Wohnviertel im Norden der Wirtschaftsmetropole.
Während Südafrika internationale Staatsoberhäupter zum BRICS-Gipfel im August zu Gast hatte, sei die Energieversorgung stabiler gewesen, nun werde der Strom wieder öfter abgedreht, so die Lehrerin.
Südafrikas Präsident ist unter Druck: "Cyril Ramaphosa hat den BRICS-Gipfel genutzt, um sein eigenes Ansehen zu verbessern und das diplomatische Gewicht Südafrikas in einer sich wandelnden Weltgemeinschaft deutlich zu erhöhen", sagt der unabhängige Analyst Daniel Silke.
ANC: Mehr politische Verantwortung
Das spiele aber für die Lokalpolitik keine Rolle. Die Südafrikaner seien besorgt über die grundlegenden Probleme vor Ort, die schlechte Verwaltung, steigende Preise und Arbeitslosigkeit. "Der ANC muss mehr Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die Lichter nicht ausgehen", sagt Silke zur DW.
Der staatliche Energieversorger Eskom, der 90 Prozent des im Land verbrauchten Stroms produziert, hat rund 21 Milliarden Euro Schulden und kämpft mit maroden Kohlekraftwerken, die regelmäßig - zum ersten Mal 2008 - ausfallen. Zudem werden dem Konzern Korruption und Misswirtschaft vorgeworfen.
Die täglichen Stromausfälle beeinträchtigen Unternehmen und Haushalte in einer geschwächten Wirtschaft, die bereits unter starker Inflation leidet. "Die größte Angst ist, dass es zum kompletten Zusammenbruch des Stromnetzes kommt", sagt Dimakatso Ragedi in ihrem Haus in Cosmo City.
Südafrika - ein Scherbenhaufen?
Das Vertrauen in den ANC ist geschwunden, auch bei der Grundschullehrerin: Die Regierung verspreche vor jeder Wahl mehr Häuser für die Armen und Jobs, weniger Kriminalität und Korruption, so Ragedi. "Aber wir bewegen uns auf Zustände wie in Simbabwe zu."
Das Nachbarland Simbabwe war von Diktator Robert Mugabe bis zur Hyperinflation abgewirtschaftet worden und hat sich nie davon erholt. "Wir sind eine Demokratie, jedoch im Moment sieht es so aus, als wären wir ein autokratisches Land, es ist ein Scherbenhaufen", kritisiert sie Präsident Cyril Ramaphosa.
Der Regierungschef des ANC tritt für die Präsidentschaftswahl im Mai 2024 an. Aber kann sich Ramaphosa eine zweite Amtszeit sichern? Er gelangte 2018 als Hoffnungsträger an die Staatsspitze, nachdem der damalige Staatschef Jacob Zuma infolge von Korruptionsvorwürfen zurückgetreten war. 2019 erhielt Ramaphosas Partei bei den Parlamentswahlen 57,5 Prozent der Stimmen.
ANC droht Mehrheitsverlust
Für Priyal Singh, Mitarbeiter im Institut für Sicherheitsstudien (ISS), ist es die erste Wahl in der Geschichte Südafrikas nach der Apartheid, die sehr hart umkämpft sein wird: "Erstmals sagen wir vorher, dass die Unterstützung für den ANC unter die 50-Prozent-Hürde fallen und uns in eine turbulente Phase einer Koalitions-Politik stürzen wird", sagt er im DW-Interview.
Politischer Widerstand regt sich schon lange: Im August haben sich sieben Oppositionsparteien zur Bildung einer Koalition nach den nächsten Wahlen verabredet, um den regierenden ANC abzulösen - falls die Partei 2024 keine absolute Mehrheit erlangt. Darunter ist auch die größte Oppositionspartei des Landes, die Demokratische Allianz.
Auf Kommunalebene musste der ANC schon ab 2016 politische Partnerschaften eingehen. "Diese Koalitionsregierungen waren nicht in der Lage, die Mängel in der Verwaltung zu beheben, die viele Großstädte geplagt haben", gibt Singh zu bedenken.
Stagnierende Wirtschaft beleben
Trotz aller Skandale, die Ramaphosas Regierung umgeben haben, profitiere der Präsident noch von einer beträchtlichen Unterstützerbasis im ANC. Er habe - ungeachtet der parteiinternen Angriffe durch die Getreuen seines Vorgängers Zuma - politisch überlebt. Das spreche dafür, wie klug Ramaphosa als Politiker sei.
Im Südafrika nach der Apartheid habe es keinen demokratisch gewählten Präsidenten gegeben, der zwei volle Amtszeiten von je fünf Jahren durchhielt, so Singh: "Ich traue ihm das trotz der politischen Spaltungen zu."
Das dringlichste Problem für Ramaphosa sei die seit über zehn Jahren stagnierende Wirtschaft. Für das laufende Jahr schätzt der Internationale Währungsfonds 0,1 Prozent Wachstum. Völlig unzureichend, um die großen Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut zu bewältigen, sagt Singh.
Die Unterbrechung der Stromversorgung habe die Wirtschaft über Jahre in Geiselhaft gehalten. Priorität habe die Bekämpfung der Korruption, auch im ANC.
Sein Vorgänger Zuma habe mit seinem Machtmissbrauch zur Aushöhlung vieler staatlichen Unternehmen, wichtiger Behörden und Institutionen geführt. "Ramaphosa hat in den letzten Jahren versucht, diese Aufgaben anzugehen, aber er ist einfach nicht weit genug gegangen."
Präsident mit eigenen Entscheidungen
Die Wähler erwarten laut Singh, dass der Präsident nicht länger von einem Ausschuss - das National Executive Committee - aufgefordert werde, sondern aus eigenem Antrieb einige harte Entscheidungen treffe, um die Wirtschaft wiederzubeleben. "Die meisten Südafrikaner fragen sich, ob wir unsere sehr zerbrechliche, demokratische Ordnung aufrechterhalten können, oder ob wir fallen und Südafrika implodieren wird."
Das Land wünsche sich eine Trendwende, um der nächsten Generation die Zukunft zu sichern. Auch Dimakatso Ragedi in Cosmo City möchte eine neue politische Macht, ein stabileres Leben für ihre zehnjährige Tochter: "Wir hoffen auf einen Wandel."