Warum die Euro-Dollar-Parität so bedeutsam ist
5. September 2022Seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar ist der Euro gegenüber dem Dollar massiv gefallen, zuletzt teilweise unter das psychologisch wichtige Niveau der Dollarparität.
Nun ist der Euro erstmals seit fast 20 Jahren unter die Marke von 0,99 US-Dollar fallen. Am Montagmorgen (05.09.2022) war die Gemeinschaftswährung zeitweise nur noch 0,9878 US-Dollar wert, bevor sie sich wieder leicht erholte. Es war der tiefste Stand seit Dezember 2002.
Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 0,9920 (Freitag: 0,9993) Dollar fest. Der Dollar kostete damit 1,0081 (1,0007) Euro.
Warum fällt der Euro?
Die allgemeine Verschlechterung der Aussichten für die Eurozone angesichts steigender Gaspreise und Befürchtungen, dass Russland die Erdgaslieferungen dauerhaft stoppt, zieht die Gemeinschaftswährung nach unten. Die übergroße Abhängigkeit großer Volkswirtschaften wie Deutschland und Italien von russischem Gas hat die Anleger verunsichert, und Ökonomen prognostizieren eine viel schnellere und schmerzhaftere Rezession im Euroraum als in den USA.
Hinzu kommt das unterschiedliche Zinsniveau in den USA und der Eurozone. Die US-Notenbank ist bei der Erhöhung der Zinssätze im Kampf gegen die Inflation aggressiver vorgegangen. Während die US-Notenbank die Leitzinsen seit März um insgesamt 225 Basispunkte angehoben hat, hat die Europäische Zentralbank bisher nur eine Anhebung um 50 Basispunkte vorgenommen.
"Das Geld geht dorthin, wo höhere Renditen fließen", sagte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich bei der ING, der DW. Der US-Dollar profitiert also derzeit von seiner Attraktivität als sicherer Hafen. Bei all der allgemeinen Düsterkeit und Ungewissheit rund um die Weltwirtschaft finden Anleger Trost in der relativen Sicherheit, die der Dollar bietet, da sie derzeit einigen der großen globalen Risiken weniger ausgesetzt sind.
Was ist Dollar-Parität?
Die Parität bedeutet im Grunde, dass ein Dollar einen Euro kostet. Es ist nichts weiter als eine psychologische Schwelle für Marktteilnehmer, die für ihre Vorliebe für runde Zahlen bekannt sind. "Die Finanzmärkte lieben die Symbolik", sagte Brzeski.
Das Paritätsniveau ist oft ein Widerstandspunkt, an dem die Euro-Bullen und -Bären die Hörner ausrichten, um zu bestimmen, in welche Richtung sich die Währung entwickelt. Dies war letzten Monat der Fall, als der Euro bereits in Richtung Parität stürzte. Die Währung konnte aber noch einen Schlusskurs unter die Parität umgehen, nachdem sie kurzzeitig auf dieses Niveau gefallen war.
Wie wirkt sich ein schwächerer Euro auf die Verbraucher aus?
Ein fallender Euro wird die europäischen Haushalte und Unternehmen, die bereits von der rekordhohen Inflation gebeutelt sind, noch weiter belasten. Eine schwächere Währung würde die meist in Dollar bezahlten Importe verteuern. Wenn es sich bei diesen Artikeln um Rohstoffe oder Zwischenprodukte handelt, können ihre höheren Kosten die lokalen Preise weiter in die Höhe treiben.
In normalen Zeiten wird ein schwacher Euro als gute Nachricht für exportstarke Volkswirtschaften wie Deutschland angesehen. Es kurbelt die Exporte an, weil sie in Dollar bezahlt werden und damit billiger sind. Aber andererseits sind dies aufgrund globaler Lieferkettenkonflikte, Sanktionen und des Krieges in der Ukraine kaum normale Zeiten. "In der aktuellen Situation mit den geopolitischen Spannungen denke ich, dass die Vorteile einer schwachen Währung geringer sind als die Nachteile", so Brzeski.
Für US-Reisende, die nach Europa kommen, ist ein schwacher Euro ein Segen. Zum Beispiel können sie auf Paritätsebene theoretisch ihre 1000 Dollar gegen 1000 Euro eintauschen - im Februar bekamen sie nur 900 Euro. Mit anderen Worten, ihr Dollar wäre viel mehr wert. Auch für amerikanische Unternehmen, die europäische Waren importieren, ist die Sache jetzt billiger.
Wie tief wird der Abstieg des Euro sein?
Die Wetten, dass der Euro weiter unter die Parität fallen würde, sind gestiegen, da sich die Energiekrise in Europa verschlimmert. Die Strategen der Aktiengesellschaft Nomura International prognostizieren, dass der Euro auf bis zu 0,95 US-Dollar fallen könnte. Die US-Investmentbank Morgan Stanley geht davon aus, dass die Währung noch in diesem Quartal auf 0,97 US-Dollar sinken wird.
Während die Europäische Union versucht, von russischem Öl und Gas unabhängiger zu werden, sucht sie angesichts der Angst vor Stromausfällen und Energierationierung nach Alternativen. Dies hat zu höheren Energiekosten geführt. "Explodierende Preise für Energieimporte sind negativ für den Euro, und unsere kurzfristigen Prognosen bis September sehen weiterhin, dass der Euro um die Dollarparität verharrt", schrieb George Saravelos, Leiter der Devisen-Researchabteilung der Deutschen Bank in einer Mitteilung an Kunden.
"Während die kurzfristigen Auswirkungen der anhaltenden Energiekrise auf den Eurokurs negativ bleiben, haben einige der mittelfristigen europäischen Risiken nach dem Sommer wohl nachgelassen", sagte er und bezog sich auf einen Anstieg der Flüssiggas-Importe und einen stärkeren Rückgang der Gasnachfrage als erwartet, da die Industrie auf andere Brennstoffe umsteigt.
Was bedeutet ein schwächerer Euro für die EZB?
Ein schwacher Euro und die daraus resultierenden steigenden Preise erhöhen die Herausforderungen der Europäischen Zentralbank, die dafür kritisiert wurde, dass sie ihre Zinserhöhung viel später als die anderen Zentralbanken eingeleitet hat.
Für die Zentralbank, die den Auftrag hat, die Inflation zu zähmen, kommt erschwerend hinzu, dass der Euro nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber anderen Währungen wie dem Schweizer Franken und dem japanischen Yen schwächer geworden ist. "Dies wird jetzt zu einer etwas breiter angelegten Euro-Schwäche und damit zu einem Inflationsproblem für die EZB", sagt Viraj Patel, Devisenstratege bei Vanda Research, der DW.
Der fallende Euro war einer der Faktoren, der die Zentralbank veranlasste, im Juli eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte anzukündigen, doppelt so hoch wie im Juni. An diesem Donnerstag (08.09.2022) kommt der Rat der EZB erneut zusammen, um über eine weitere Erhöhung zu sprechen.
Adaption aus dem Englischen von Sabine Faber.
Der Beitrag wurde am 28.8.2022 publiziert und am 05.09.2022 aktualisiert.