EZB vollzieht historische Zinswende
21. Juli 2022Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag ein starkes Zeichen gesendet. Überraschend haben die Währungshüter des Euroraumes den Leitzins um einen halben Prozentpunkt erhöht. Im Vorfeld hatte die Notenbank nur einen Zinsschritt von 0,25 in Aussicht gestellt.
Beobachter sehen die Entscheidung als historisch an, denn erstmals seit acht Jahren Nullzinsen sind die Leitzinsen im Euroraum nun wieder positiv, es handelt sich zudem um die erste Erhöhung der Zinsen seit 2011. Und weitere Zinsschritte könnte der Rat der EZB in den nächsten Sitzungen beschließen. Der EZB-Rat werde zudem zu einem Ansatz übergehen, bei dem Zinsbeschlüsse von Sitzung zu Sitzung gefasst würden. "Bei den anstehenden Sitzungen des EZB-Rats wird eine weitere Normalisierung der Zinssätze angebracht sein", so EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der Pressekonferenz im Anschluss an die Ratssitzung in Frankfurt.
Überwiegend positive Reaktionen
"Es ist gut, dass sich der EZB-Rat zu einem großen Zinsschritt durchgerungen hat", sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim gegenüber der DW. Denn die Rückkehr der Inflation in den Zielbereich der EZB sei nicht absehbar. Dieser Zielbereich liegt bei einer Preisteuerung von rund zwei Prozent. Derzeit steigen die Preise im Euroraum allerdings um 8,6 Prozent, getrieben vor allem von steigenden Energiekosten.
Auch andere Ökonomen und Verbände begrüßte das deutliche Zinssignal. Es handele sich um einen "symbolträchtigen Schritt, der die Negativzinsphase beendet", sagte etwa der Hauptgeschäftsführer des Versicherer-Verbandes GDV, Jörg Asmussen. In ähnlicher Richtung äußerte sich der private Bankenverband BdB und Sparkassenverbände. Banken fordern schon seit längerem Zinsanhebungen. Die liegen in ihrem Interesse, unter anderem weil sich dann über Kreditvergabe wieder mehr Geld verdienen lässt.
Um der hohen Inflation etwas entgegen zu setzen, hat die EZB außerdem beschlossen, den Negativzins von minus 0,5 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken auf null hochzusetzen. Das dürfte nicht nur die Banken, sondern auch viele Sparerinnen und Sparer freuen. Denn viele Banken hatten in den vergangenen Monaten die Negativzinsen zumindest an vermögendere Kunden weitergereicht.
Neues Anti-Krisen-Instrument
Allerdings bergen die steigenden Zinsen auch Risiken. Denn mit der Entscheidung von Zinserhöhungen wächst auch der Druck auf hochverschuldete Länder des Euroraumes wie Italien, weil sich der Schuldendienst mit steigenden Zinsen verteuert. Daher haben die Währungshüter in ihrer Sitzung am heutigen Donnerstag auch noch ein besonderes Werkzeug aus der Kiste gezaubert: ein Anti-Krisen-Programm mit dem Namen TPI (Transmission Protection Instrument). Das kann die Zentralbank genau in den Fällen einsetzen, in denen sich die Zinsabstände zwischen den unterschiedlichen Ländern des Euroraumes zu stark vergrößern.
Es handelt sich einmal mehr um ein Anleihekaufprogramm, dessen Einsatz von verschiedenen Kriterien abhängt. Im Wesentlichen will die EZB damit vermeiden, dass sich die Zinsabstände zwischen Anleihen der unterschiedlichen Länder im Euroraum nicht zu sehr auseinander bewegen. Denn das birgt die Gefahr, dass Kapital aus hochverschuldeten Ländern abwandert, die Zinsen dort weiter steigen und damit der Schuldendienst noch schwerer zu schultern ist - etwa für Italien, wo nach dem Rücktritt des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi die Anleiherenditen an diesem Donnerstag angezogen hatten.
Zu solchen politischen Angelegenheiten äußert sich Christine Lagarde als oberste Zentralbankerin standesgemäß nicht. Doch ließ sie durchscheinen, dass es ein besonderer Tag für sie als EZB-Präsidentin war. "Ich glaube, das ist ein historischer Moment, zumindest für mich", so Lagarde. "Es ist sehr gut, wenn der gesamte EZB-Rat, 25 Personen an einem Tisch, sich vollständig einig sind, solch ein Transmissions-Instrument einzuführen, damit unsere Geldpolitik richtig ankommt."
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages schließlich mahnte zu "wohldosierten" Schritten der Notenbank. Denn die Inflation sei zu einem großen Teil importiert, weswegen nicht nur die EZB reagieren müsse. Eine zu hohe Inflation sei ebenso Gift für die Wirtschaft wie zu hohe Zinsen. "Sie schüren Unsicherheit und erhöhen die Finanzierungskosten der Unternehmen."