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Politik

Warum die AfD die SPD überholt hat

Kay-Alexander Scholz | Christoph Hasselbach
21. September 2018

Die Rechtspopulisten in Deutschland werden in Umfragen immer stärker und ziehen inzwischen an den Sozialdemokraten vorbei. Die AfD profitiert von parallelen Trends - aktuellen und langfristigen.

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Bild: Imago/R. Traut

Umfrage: AfD vor SPD

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr (24. September 2017) sind die deutschen Rechtspopulisten, die "Alternative für Deutschland" (AfD), erstmals in den Bundestag eingezogen - mit einem Wahlergebnis von 12,6 Prozent. Ein Jahr später steht die AfD bei 18 Prozent - und überholt die Sozialdemokraten (SPD). Das meldet das Umfrageinstitut "Infratest Dimap". Es ist nicht das erste Institut, das die AfD auf Platz zwei sieht, aber es ist das erste große und renommierte Institut.

Infografik Deutschlandtrend Sonntagsfrage DE

Die politische Dramatik zeigte sich bereits bei einer anderen Umfrage vor zwei Wochen. Demnach ist die AfD in Ost-Deutschland inzwischen stärkste Kraft. Dort lebt rund ein Viertel der Einwohner Deutschlands. Im kommenden Jahr sind gleich in drei ostdeutschen Bundesländern Landtagswahlen. Für eines dieser Länder - Brandenburg - hat Infratest die Top-Position der AfD in einer weiteren Umfrage inzwischen nachgemessen und sieht sie gleichauf mit der SPD. In der Folge könnten klassische Regierungsbündnisse dort immer schwieriger werden.

Das Umfragehoch der AfD, es ist der höchste jemals gemessene Wert seit Gründung der Partei 2013, ist kein Ausreißer. Es gab in den vergangenen Monaten einen stabilen Aufwärtstrend.

AfD als Profiteur? Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte

Wer führende AfD-Politiker in den letzten Monaten gefragt hat, woran das liegt, bekam oft zu hören: Wir müssen gar nichts machen, die Werte steigen von allein. Verifizieren lässt sich das durch Umfragen natürlich nicht. Aber es drängt sich eine Erklärung auf: Immer wenn sich die Regierungskoalition streitet, dazu gehören neben der SPD die beiden Unionsparteien CDU und CSU, profitieren andere - vor allem die AfD - davon. Auch die aktuelle Umfrage fand mitten in einem solchen Streit statt, nämlich den um den Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes, Hans-Georg Maaßen.

Wie im Fall Maaßen ging es bei diesen Streits mittel- oder unmittelbar um Aspekte der Migrationspolitik. Dieses Thema sei weiterhin "das Potenzmittel der AfD", sagte Renate Köcher, Chefin von Allensbach, einem anderen großen Umfrage-Institut, vor wenigen Tagen in Berlin.

Oppositionsparteien sehen Regierungskrise als Ursache

Die AfD sieht die eigene Stärke auch ganz aktuell wieder in der Schwäche der Regierungs-Parteien begründet. Voller Sarkasmus dankte die Vize-Fraktionsvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, auf Twitter der SPD für ihren Einsatz zugunsten der AfD. Dabei nahm sie auch Bezug auf eine Bundestagsdebatte, bei der die AfD hart angegriffen worden war.

Die anderen Oppositionsparteien sehen das nicht groß anders. Als "verdiente Quittung für eine verfehlte Politik" vorbei an den Bedürfnissen der Menschen, wertete der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, die 18-Prozent-Nachricht. Die Regierungskoalition habe "keine Linie", sagte der Chef der Liberalen, Christian Lindner von der FDP. Noch pointierter sagte es der Vize-Fraktionschef der Grünen, Konstantin von Notz: Die Koalition "stellt es derzeit maximal beknackt an".

Experten: Volksparteien generell im Abwärtstrend

Experten werten das Erstarken der AfD nicht nur als aktuelle Folge der Tagespolitik, sondern in einer generellen Schwäche der beiden klassischen deutschen Volksparteien, also der Sozialdemokraten (SPD) und den Konservativen (CDU/CSU). Parteien, die ein breites Spektrum abdecken wollen, könnten Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus als Mitglieder und Wähler nicht mehr so gut an sich binden. "Die Volksparteien haben Schwierigkeiten, die hohe gesellschaftliche Dynamik zu repräsentieren", sagte der Parteienforscher Karsten Grabow im DW-Interview.

Diese Entwicklung findet nicht nur in Deutschland statt. In vielen anderen Staaten, zuletzt in Italien, müssen die Etablierten hohe Verluste hinnehmen - zugunsten populistischer Parteien. So beschreibt es auch der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Ein Blick ins europäische Ausland zeige, dass das Konzept Volkspartei "offenbar ein historisches Auslaufmodell" sei.

Trend für Europa

Was das langfristig bedeuten könnte, darüber sind die Meinungen geteilt. In einigen europäischen Nachbarländern seien die Parteiensysteme schon lange viel fragmentierter als in Deutschland, "und trotzdem sind sie stabile Demokratien", meint Grabow. Die Volksparteien sollten aufhören, über eine unvermeidliche Entwicklung zu lamentieren, sondern sie "als Tatsache anerkennen und mitgestalten".

"Wir werden uns noch mit tiefer Traurigkeit an die Zeiten der Volksparteien zurückerinnern", befürchtet dagegen Münkler. Er beobachte eine "Lust am Untergang" und entdeckt Parallelen zur Weimarer Republik, also den 1920er-Jahren in Deutschland, auf die der Nationalsozialismus folgte. Der aktuelle Streit um die Flüchtlingspolitik sei ein "leichtfertiges Spielen mit der politischen Stabilität".

Wird die AfD noch mehr zulegen?

Andere Experten, wie der Politologe Werner Patzelt, sind nicht ganz so fatalistisch. Patzelt sieht einen "Vertrauensverlust gegenüber dem politischen System und den etablierten Parteien" in der Bevölkerung. Schuld seien die Migrationspolitik, ihre Folgen und dass politische Fehler, die gemacht wurden, nicht gesehen und korrigiert würden. "Doch das Migrationsthema werden wir nicht los", mahnt Patzelt und fordert ein Umdenken.

Passiert das nicht, werde die AfD wohl weiter wachsen. Und zwar so lange, wie die CDU "nicht auch jene Leute vertreten will, die von der CDU zur AfD abgegangen sind". So lange auch, wie die SPD nicht auf ihre Kommunalpolitiker in Fragen der Migrations- und Integrationspolitik höre. Sowie auf ihre Wählerklientel der sozial Schwachen, von denen inzwischen auch viele AfD wählten.
 

Schlagabtausch im Bundestag

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik