Waldwechsel
4. Juni 2020Urweltmammutbaum. Riesenlebensbaum. Japanische Sicheltanne. Das sind Bäume von Leonore Gärtner - zumindest indirekt: Die 29-Jährige Forstwissenschaftlerin leitet das Forstrevier im Bergischen Land, zu dem der Staatswald in Wuppertal zählt. Die waldreichste Großstadt Deutschlands verfügt im sogenannten Arboretum Burgholz (arbor lat.= Baum) auch über einen einmaligen Bestand an exotischen Bäumen.
"Vor 60 Jahren wurde damit begonnen, 200 fremdländische Arten anzupflanzen, 100 Arten haben sich durchgesetzt", erklärt die Revierförsterin. Jetzt, im Klimawandel, haben sie eine enorme Bedeutung bekommen: Die Waldforschung will herausfinden, welche Arten den wechselnden Klimabedingungen standhalten.
Lautes, halliges Zwitschern der Vögel hoch in den Bäumen begleitet Besucher, die sich mit Försterin Gärtner auf einen der Rundwege begeben: Naturliebhaber, Waldbesitzer, Forstleute wollen sich über mögliche Alternativen zu Fichten informieren. Vor allem Nordische Fichten wurden nach dem Zweiten Krieg in Deutschland gepflanzt, weil sie am schnellsten von allen Bäumen Ertrag versprachen, nun aber unter massivem Borkenkäferbefall absterben.
"Nadelbaumarten wie die Fichte kommen mit der extremen Trockenheit und den steigenden Temperaturen nicht zurecht. Zuletzt haben auch Laubbaumarten wie Buche und Eiche stark unter dem ausbleibenden Regen gelitten", beschreibt Leonore Gärtner die Dramatik und bleibt vor liegenden Baumstämmen stehen. "Hier am Totholz untersuchen Wissenschaftler Tiere, Pilze, Moose. Sie fanden Insekten, die auf der Roten Liste der Bedrohten Arten stehen."
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Schäden durch Hitze, Dürre, Sturm und Starkregen
Die Forstbeamtin lädt zum Betasten der Rinde eines Riesenmammutbaumes ein, die sich wie ein trockener Schwamm anfühlt. "Wir würden den Baum nicht mehr anbauen, er ist anfällig für Pilzbefall, den Hallimasch. Und das Holz ist von geringer Qualität, eignet sich eher für Furniere", sagt Leonore Gärtner. Die Fichte habe hartes, beständiges Holz, fügt die Försterin hinzu, aber der Flachwurzler, der aus Skandinavien importiert wurde, hält dem Klimawandel nicht stand.
"Schäden zeigen sich meist zunächst am Blatt- oder Nadelverlust in den Kronen", erklärt die Försterin. "Wir bräuchten jetzt monatelang Landregen, lang anhaltenden, gleichmäßig fallenden Regen, um die Schäden der Trockenheit auszugleichen, aber leider fällt immer häufiger Starkregen, der nicht in den trockenen Boden einsickern kann."
Die Schäden, die durch Hitze, Dürre und Sturm entstanden und die damit verbundene Abholzung, haben weltweit zum Verlust der Artenvielfalt geführt, beklagt der Welt-Wald-Zustandsbericht der Welternährungsorganisation FAO.
Die Waldpolitik ist Streitthema
In Deutschland sind 80 Prozent der Bäume geschädigt. Die staatlichen Waldbestände sind dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellt und auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Das Bundesumweltministerium hat dagegen vorrangig den Artenschutz im Blick. Das Forest Stewardship Council für nachhaltige Waldnutzung hat die Positionen der Ministerien und Nichtregierungsorganisationen gebündelt.
Und noch immer verschwindet mehr Wald als aufgeforstet wird. "Wir haben dieses Jahr 10.000 Setzlinge gepflanzt, das ist relativ wenig. Aber wir bekommen keinen Nachschub", beklagt Leonore Gärtner. "Die Baumschulen brauchen Jahre, um sich auf den Pflanzenbedarf einzustellen. Durch die Schäden ist der Bedarf enorm groß."
Das sind nicht die einzigen Probleme, die die Wuppertaler Revierleiterin beschäftigen. Die große Trockenheit lasse die jungen Pflänzchen absterben, die schonungslos der Sonne ausgesetzt sind. Zusätzlich brauche man teures Saatgut.
Der Mensch lässt den Wald in Ruhe
In Lübeck, im Norden Deutschlands, wächst der Stadtwald hingegen nahezu ohne menschliche Eingriffe. Knut Sturm, Forstamtsleiter der Hansestadt, hat Forstwirtschaft und Landschaftsökologie studiert. Ein Vorteil, wie er findet: Begriffe wie Waldumbau, -management oder Aufforstung gehen ihm schwer über die Lippen. "Der Mensch drückt damit aus, dass er der Natur keinen freien Raum und keine Zeit gibt, sich selbst zu entwickeln."
Er sieht den Wald primär als Ökosystem und nicht alsWirtschaftsfaktor. "Ich kämpfe für den Wald, nicht für die Forstwirtschaft. Wir richten uns nicht auf Gewinnmaximierung der Holzproduktion aus. Unser Anspruch ist, sensationell gutes Holz zu schlagen, das in naturnahen Wäldern entsteht." Einzelne alte Bäume werden geerntet, erklärt Sturm die Strategie. Dafür erwirtschaftet er pro Kubikmeter mehr Geld als für eine Masse jüngerer Bäume. Die Verjüngung des Waldes erfolgt durch Wind und Tiere, natürliche Einsaat und nicht durch Pflanzung. So wurzeln die jungen Bäume besser, als wenn sie aus dem Boden gerissen und an anderer Stelle neu eingesetzt werden.
"Bäume, die sehr eng stehen, haben ein gleichmäßiges Wachstum. Umso stärker man die Wälder auslichtet, also Forstwirtschaft betreibt, desto stärker reagieren die Bäume auf die Umwelt und auf den Klimawandel", berichtet Sturm. Die Bäume bilden eine Gemeinschaft, tauschen über die Wurzelsysteme untereinander Fotosyntheseprodukte, Zucker, aus. Durch die Versorgung der Nachbarbäume minimieren sie das Risiko zu schwächeln oder abzusterben.
Vor gut 25 Jahren sprachen sich alle Fraktionen im Stadtparlament dafür aus, Waldflächen, einem Urwald gleich, völlig unbewirtschaftet zu lassen. Gepflanzt wird nur an Stellen, an denen Neophyten, gebietsfremde Arten wie Fichten, Lärchen, Douglasien und Roteichen, einheimische Bäume zu verdrängen drohen. Pflanzengifte, Dünger, schwere Maschinen, die dem Waldboden schaden würden, werden nicht eingesetzt.
Wie werden unsere Wälder in Zukunft aussehen?
"Hainbuche und Linde breiten sich mit den steigenden Temperaturen massiv aus - zwei Baumarten, die nach der Eiszeit in Mitteleuropa stark waren. Damals war es wärmer als heutzutage", schildert Sturm seine Beobachtungen, "auch Esche, Ahorn und Ulme haben eine Zukunft."
Das "Lübecker Modell" hat in Russland, China, Finnland, Schweden, Kanada, Chile und Spanien Nachahmer gefunden. Die Anpassung der Waldbewirtschaftung an den Klimawandel hat ein Umdenken angeregt. Ein Stichwort ist klimafitter Wald. Angesichts des Klimawandels hat die Stadt Lübeck gerade erst beschlossen, eine Million Bäume auf städtischem Gebiet zu pflanzen. "Eine Herausforderung", bekennt Sturm, "angesichts begrenzter Flächen."
Förster Sturm befürchtet allerdings, dass sich nach der Fichtenepoche erneut Waldplantagen durchsetzen werden, mit Mischarten zwar, aber ohne Geduld, Wälder alt werden zu lassen. "Die Forstwirtschaft begründet das damit, Arbeitsplätze zu schaffen. Es fehlt das Verständnis und die Kenntnis, einen naturnahen Wald zu bewirtschaften."