In Totholz tobt das Leben
6. April 2018Deutschland ist gespalten: Die Jüngeren lieben eher den naturnahen, wild gewachsenen und ungeordneten Wald mit herumliegendem Holz und moosbewachsenen Stämmen. Ältere Semester mögen es dagegen eher aufgeräumt. Sie bevorzugen kultivierte Wälder in Deutschland und gepflegte Parks. Das ergab eine Studie, die vom NABU (Naturschutzbund) Saarland in Auftrag gegeben wurde, unterstützt wurde sie vom Bundesumweltministerium.
Ältere Deutsche erinnern sich noch an die Zeit, als bewaldete Flächen vor allem wirtschaftlich genutzt wurde. Holz wurde zum Heizen genutzt, zum Möbelbau oder zur Papierherstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Holz als Teil von Reparationsleistungen ins Ausland gebracht. Aufgeholzt wurde lange mit schnell wachsenden Fichten.
Junge Leute wissen eher um die Problematik des Klimawandels und unterstützen Klimaforscher und Naturschützer, die den Wert des Waldes als wichtigen Teil des Ökosystems gegen die etablierte Form der Waldwirtschaft verteidigen.
Urwald als politisches Ziel
Totholz wertet den Wald ungemein auf. Von den etwa 100 waldbewohnenden Vogelarten sind zwei Drittel auf Totholz angewiesen. Absterbende oder tote Stämme sind das reinste Nahrungsparadies, aber auch Brutplatz und Kommunikationsraum.
Auch in der Politik setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass abgestorbene Bäume für einen stabilen Nutzwald notwendig sind. So empfiehlt die Bundesregierung, zwei Prozent des Waldes ungenutzt zum Urwald verwildern zu lassen und einen größeren Anteil Totholz an Ort und Stelle zu lassen.
Der Wald befindet sich demzufolge im Wandel. Die Totholzmengen nehmen zu. Das zeigt sich im Ergebnis der Bundeswaldinventur, die alle zehn Jahre im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums durchgeführt wird. Demzufolge hat sich der Totholzanteil zwischen 2002 und 2012 fast verdoppelt.
Totholz entsteht, wenn Bäume absterben und verwittern. Dies geschieht durch Schädlinge, Fäulnisbildung, das Abbrechen von Ästen bei Sturm und Schneebruch. Nach längerer Zeit und unter dem Einwirken der Natur zeigen sich entrindete und mitunter ausgehöhlte Baumteile. Durch Zersetzung sind die ursprünglichen Baum- und Holzstrukturen schließlich nicht mehr erkennbar.
Warum es Sinn macht, Wälder sich selbst zu überlassen
"Wir brauchen gar nichts zu tun", sagt Deutschlands bekanntester Förster und Erfolgsautor Peter Wohlleben. "Überall, wo wir nichts tun, kann die Natur das regeln." Er hält nichts von der konventionellen Forstwirtschaft, den Eingriffen des Menschen, die mittels schwerer Maschinen den mächtigen Bäumen auf den Pelz rücken. Er lehnt den Altersklassenwald ab, bei dem Pflanzung und Pflege mit dem Ziel des Kahlschlags betrieben werden.
Sein Aha-Erlebnis hatte Wohlleben bei der Entdeckung der Reste einer Jahrhunderte alten Buche unter Blättern und Moos. Biologen der RWTH Aachen fanden daraufhin heraus, dass der Baumstumpf von anderen Bäumen über deren Wurzeln mit einer Zuckerlösung versorgt wird, die Bäume also in einer Symbiose leben.
Totholz als Teil des biologischen Waldkreislaufes
Bäume der gleichen Art bilden eine Gemeinschaft. Und auch Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen, die den Wald besiedeln, leben in einer Symbiose. In Totholzstämmen oder abgestorbenen Ästen bauen sie Höhlen zum Brüten, finden Nischen als Unterschlupf und reichlich Nahrung an und unter der Rinde.
Vögel, Säugetiere wie Fledermäuse oder Siebenschläfer, aber auch Insekten, Flechten, Pilze und selten gewordene Arten: Sie alle leben vom oder am Totholz. Während des Verrottungsprozesses entwickeln sich am Totholzkörper Lebensräume für die unterschiedlichsten Arten.
Pilze und Bakterien, aber besonders Insekten wirken beschleunigend auf absterbendes und totes Holz, in dem sie es mechanisch aufschließen und verdauen. Die dabei freigesetzten Huminstoffe erhöhen die Bodenfruchtbarkeit.
Hornissenköniginnen überwintern in weichem Mulm unter loser Baumrinde meist aufrecht stehender Baumstümpfe. In Baumhöhlen bauen sie Nester. Nahrung finden sie in anderen Larven und Würmern. Falter und Mücken deponieren ihre Larven ebenfalls im Totholz.
Klopf, klopf, klopf - der Specht trommelt auf Totholz
Vögel wie Spechte, Baumläufer oder Kleiber hangeln sich auf Nahrungssuche am Stamm entlang. Buntspechte lieben stehendes Totholz. Mit ihrem Meißelschnabel picken sie Käfer und Larven aus der Rinde oder hämmern Höhlen in Stämme, um darin zu brüten. Auch Kohlmeisen, Wildbienen und Eichhörnchen profitieren von der Arbeit des Spechts, weil er mehr Höhlen freischaufelt als er selbst benötigt.
Zahlreiche Forschungsarbeiten belegen die Abhängigkeit vieler Waldvögel von toten Bäumen. Grau- und Grünspechte sind dringend auf Totholz angewiesen. Mit dem Anstieg des Totholzanteils erhöht sich die Dichte der Spechte.
Spitzmäuse finden unter Totholz Deckung, Schutz und eiweißreiche Nahrung in Form von Insekten. Mäuse laben sich an Pilzen. Manche Fledermausarten fühlen sich in Baumhöhlen heimisch. Einheimische Amphibienarten wie Feuersalamander, Frösche, Kröten und Molche sonnen sich rund ums Gehölz in feuchter Umgebung.
Tote Bäume - Eldorado für Pilze
Ökologen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig (UFZ) berichten im mikrobiologischen Fachblatt "The ISME Journal", dass im Totholz 1254 Pilzarten leben, zwölfmal mehr als zuvor angenommen. In einem Verfahren konnten die Forscher das Erbgut analysieren und erstmals Pilze innerhalb des Holzes erfassen.
Dazu legten sie insgesamt rund 300 bis zu vier Meter lange Totholzstämme von je elf Baumarten aus im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, im Nationalpark Hainich und im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Nach drei Jahren konnten sie massenhaft Pilzgemeinschaften erkennen. "Die Vielfalt der holzbewohnenden Pilze ist um ein Vielfaches höher als bislang angenommen", sagt Witoon Purahong, Bodenökologe und Erstautor der Studie. Besonders interessant: In unterschiedlichen Holzarten fanden die Autoren andere Pilze. Sie vermuten, dass die im Totholz lebenden Pilze, Bakterien und Wirbellosen in Gemeinschaften leben.
Pilze leisten den größten Beitrag im Ökosystem Wald, da sie in der Lage sind, Lignin abzubauen und Cellulose aufzuschließen. Mit dem neuen Wissen ist es möglich, Pilzarten besser zu schützen, die durch Monokulturen bedroht sein könnten.
Feinarbeit - So wird der Baum zum Humus
Zahlreiche Erkenntnisse wurden über holzbewohnende Käfer gesammelt. Mit 1400 Arten machen diese rund zwanzig Prozent der gesamten Käferfauna Deutschlands aus. Manche gelten aufgrund spezieller Anforderungen an ihren Lebensraum als höchst bedroht. Borken- oder Bockkäfer sind auf kranke Stämme spezialisiert. Mit ihren massiven Mundwerkzeugen bohren sie sich durch die Rinde und verschaffen Pilzen den Zugang zum Holzkörper. Danach höhlen Ameisenbuntkäfer das Holz aus.
Mit fortschreitender Zersetzung und veränderten Milieubedingungen wie Feuchtigkeit und Wärme verziehen sich andere Käferarten ins Gehölz. Der gefährdete Hirschkäfer bevorzugt Eichen. Die Weibchen legen ihre Eier an die Wurzeln von toten und absterbenden Bäumen oder unter halb im Boden verrottende Stammstücke. Die Larven benötigen morsches Holz als Nahrung, sie zermalmen es zu Mulm und reichern diese Holzspäne mit nährstoffreichem Kot an.
Nachtaktive erwachsene Hirschkäfer werden von saftenden Baumwunden angelockt und ernähren sich von dem zuckerhaltigen Saft. In der sich anschließenden Mulmphase laben sich Schimmelkäfer und Fliegenlarven an dem sterbenden Baum. Auf am Boden liegenden Stämmen halten Asseln, Milben, Schnecken und Regenwürmer ein. Sie zerkleinern die einzelnen Holzpartikel, ehe Pilze und Bakterien die endgültige Zersetzung abschließen. Dabei werden die im Holz gebundenen Nährstoffe mineralisiert. In dem Boden-Mulm-Gemisch (Humus) können sie von wachsenden Pflanzen aufgenommen werden.
Totholz als Kohlenstoffspeicher
Totholz in Gewässern beeinflusst das Abflussverhalten und Strömungsmuster und bietet Wasserbewohnern Unterschlupf.
Auch die Bedeutung von Naturwäldern mit einem hohen Totholzanteil als Kohlenstoffsenken ist in zahlreichen Studien belegt. Über einen langen Zeitraum binden sie weitaus mehr atmosphärischen Kohlenstoff als Wirtschaftswälder. Totholz speichert Wasser und verhindert das Austrocknen des Bodens. Es kann Temperaturschwankungen ausgleichen und beeinflusst somit das Mikroklima des Waldes. Eine internationale Forschergruppe des Wissenschaftsfonds FWF konnte nachweisen, dass stickstofffixierende Bakterien im Totholz aktiv sind und den Pilzen vor Ort Stickstoff zuführen. Dieser beeinflusst den Abbau des Holzes und die Speicherung von Kohlenstoff.