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Wald gegen Welthunger

Mauricio Cancilieri / Jan D. Walter15. Juni 2013

Laut einer Studie der Welternährungsorganisation FAO könnten Wälder künftig eine wichtige Rolle im Kampf gegen den weltweiten Hunger spielen. In Brasilien läuft ein Programm, das diese Entwicklung stärken soll.

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Eine Buriti-Palme mit Früchten, die roh gegessen oder zu Öl verarbeitet werden. (Foto: Imago/imagebroker/günter fischer)
Buriti-Palme im Regenwald BrasilienBild: imago/imagebroker/günter fischer

Bei der Bekämpfung des Hungers sucht die Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) nach immer neuen Nahrungsquellen. Im Vorfeld des FAO-Gipfels vom 15. bis 22. Juni hat Generaldirektor Graziano da Silva aus Brasilien für eine verstärkte Nutzung von bewaldeten Flächen geworben: "Wälder gehören zur Lebensgrundlage von einer Milliarde Menschen, darunter die Ärmsten der Welt. Sie bieten Nahrung, Brennstoff zum Kochen, Tierfutter und Einkommen, um Lebensmittel zu kaufen."

Graziano war als Minister im Kabinett von Brasiliens früherem Präsidenten Lula maßgeblich an der Konzeption des Sozialprogramms "Fome Zero" (deutsch: Null Hunger) beteiligt, das tausende Menschen vom Hunger befreit hatte. In seiner Heimat wird bereits mit der Nutzung von bewaldeten Flächen als Nahrungsquelle experimentiert. So betreibt die brasilianische Regierung seit 2010 das "Programm zur Integration von Ackerbau, Viehzucht und Wald" (iLPF), mit dem vor allem der CO2-Ausstoß reduziert werden soll. Der stammt nämlich in Brasilien zu einem Großteil aus der Brandrodung von Wäldern. Statt weiterer Abholzung soll nun der Ertrag bestehender Freiflächen erhöht werden und auch der Wald selbst landwirtschaftlich genutzt werden.

Der FAO-Direktor beim Interview mit der Deutschen Welle. (Foto: dw/R. Belincanta)
FAO-Direktor Graziano da Silva will mehr Lebensmittel aus dem WaldBild: DW/R. Belincanta

"Die Lebensmittelproduktion im Wald ist zunächst nicht so ertragreich wie auf dem Feld", räumt Forstwirtin Yeda Maria Malheiros vom staatlichen Forschungsinstitut für Landwirtschaft "Embrapa" ein, das Partner des Integrationsprogramms iLPF ist. "Aber man muss bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit von Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten dafür wesentlich geringer ist."

Nährwert des Waldes

Dass der Wald sich eignet, Menschen zu ernähren, zeigen nicht nur die Bewohner des Amazonasgebiets. Früchte, Samen, Blätter und Wurzeln aus dem Wald stehen seit Jahrhunderten auf dem Speiseplan der Menschheit. Viele heutige Kulturfrüchte stammen aus dem Wald: Beeren, Nüsse, Kaffee, Kakao - und was man im automatisierten Teil der Welt leicht vergisst: Sie wachsen dort immer noch.

Auch die Tiere des Waldes dienen vielen Menschen noch heute als Nahrung: Laut FAO deckt die Landbevölkerung in mindestens 62 Staaten der Erde mehr als 20 Prozent ihres Proteinbedarfs aus Wildfleisch oder -fisch; Waldpilze dienen vielerorts als Fleischersatz.

Kellnerin präsentiert einen Teller Würmer oder Maden. (Foto: picture-alliance/dpa)
In Chinas stehen viele Insekten auf der SpeisekarteBild: picture-alliance/dpa

Insekten als Nahrung

Einen besonderen Fokus legt die FAO aber auf einen weiteren Eiweiß- und Mineralstofflieferanten: Insekten. Auf der Konferenz "Wald für Lebensmittelsicherheit und Nahrung" Mitte Mai in Rom stellte die Welternährungsorganisation eine Studie vor, die zu dem Ergebnis kommt, dass Insekten bereits mindestens zwei Milliarden Menschen als Lebensmittel dienen. Die FAO mahnt sogar an, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, um Insekten kommerziell zu züchten. Die Privatwirtschaft sei bereit zu investieren, sagt Paul Vantomme, einer der Autoren der FAO-Studie.

Kulturelle und politische Grenzen

Ute Latzke, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Welthungerhilfe, steht dem skeptisch gegenüber: "Essen hängt sehr stark von der Kultur ab." Die Welthungerhilfe versucht stattdessen traditionelle Speisepläne wiederzubeleben, zum Beispiel in Westafrika, wo die Änderung der Ernährungsgewohnheiten zu ökonomischer Abhängigkeit - etwa von Reisimporten - geführt hat.

Auch in Grazianos Heimat Brasilien ist man skeptisch, was den Absatz von Insektenfleisch angeht: "In Mexiko gibt es Grashüpfer in Dosen und in China grillt man Skorpione, aber für uns Brasilianer ist das nichts", meint die Biologin Waleska Bretas.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Viehwirtschaft eine der mächtigsten Lobbygruppen des Landes hat und weder der Nutzung des intakten Waldes als landwirtschaftliches Anbaugebiet, noch der Förderung von Insektenfleisch aufgeschlossen gegenüber stehen dürfte.

Darüber hinaus muss sich erst noch zeigen, in wie weit der Wald überhaupt für kommerzielle Landwirtschaft nutzbar ist. Doch die Embrapa-Forscherin Malheiros räumt dem Experiment echte Chancen ein, die Anbaumethoden zu diversifizieren und die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten: "Vielleicht steht Brasilien kurz vor einer kleinen Revolution."