1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wahlkampf in Tschechien: Ex-Premier schürt Kriegsangst

25. Januar 2023

Andrej Babis versucht, Wähler durch Angst vor einem Konflikt mit Russland zu mobilisieren. Er stellt die NATO-Verpflichtungen Tschechiens im Falle eines russischen Angriffs auf Polen und die baltischen Staaten infrage.

https://p.dw.com/p/4MfXu
Die beiden Kandidaten Petr Pavel (l.) und Andrej Babis (r.) für die Stichwahl um das Amt des tschechischen Präsidenten werden im Fernsehstudio vom Moderator begrüßt.
Fernsehduell zwischen den beiden Kandidaten Petr Pavel (l.) und Andrej Babis (r.)Bild: Katerina Sulova/CTK Photo/IMAGO

Der Krieg in der Ukraine und die tschechische Hilfe für Kiew - das sind die zentralen Themen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in der Tschechischen Republik. Am Freitag (27.01.2023) und Samstag (28.01.2023) tritt der Multimilliardär und Oligarch Andrej Babis gegen den Ex-General Petr Pavel an. Babis war zwischen Dezember 2017 und Dezember 2021 Ministerpräsident der Tschechischen Republik und steht derzeit an der Spitze der größten Oppositionspartei ANO. Pavel war von 2012 bis 2015 Generalstabschef der tschechischen Armee und anschließend bis 2018 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.

Wahlplakat von Ex-General Petr Pavel mit der Aufschrift: "Genug Chaos, ich biete Ordnung und Würde - General Pavel" neben dem Foto des Kandidaten
Wahlplakat von Ex-General Petr Pavel: "Genug Chaos, ich biete Ordnung und Würde"Bild: Ludek Perina/CTK Photo/IMAGO

Beide Männer sind aus der ersten Runde der Wahl am 13./14.01.2023 als aussichtsreichste Kandidaten hervorgegangen und stehen sich nun in der Stichwahl gegenüber. Babis, dem Meinungsforscher für die zweite Runde der Wahl einen Rückstand von mindestens zehn Prozent vorhersagen, ist wenige Tage vor der Wahl in die Offensive gegangen. Um neue Wähler zu gewinnen, betont er nicht nur, dass er ein Gegner der derzeitigen, nicht sehr populären Mitte-Rechts-Regierung von Premierminister Petr Fiala ist - sondern versucht auch, Ängste vor einer Eskalation des Krieges in der Ukraine zu schüren. 

"Stimmt für den Frieden, wählt Babis"

"Ich werde die Tschechische Republik nicht in den Krieg reinziehen. Ich bin ein Diplomat, kein Soldat", so Babis mit Verweis auf den militärischen Hintergrund seines Gegenkandidaten. Eine andere Parole lautet: "Der General glaubt nicht an den Frieden. Stimmt für den Frieden. Wählt Babis."

Am Sonntag vor den Wahlen (22.01.2023) legte Babis im Fernsehduell gegen Pavel nach: Auf die Frage des Moderators, ob das EU- und NATO-Mitgliedsland Tschechien im Falle eines Angriffs auf Polen oder die baltischen Staaten Truppen in einen offenen Konflikt schicken würde, antwortete er: "In den Krieg? Sicherlich nicht." Als der Moderator darauf hinwies, dass es NATO-Verpflichtungen gäbe, wenn ein anderes Mitglied des Bündnisses angegriffen wird, antwortete Babis: "Ja, aber ich will keinen Krieg." Anschließend bekräftigte er, dass er keine Truppen zur Unterstützung Polens und der baltischen Staaten entsenden würde: "Ich will Frieden, ich will keinen Krieg. Und auf jeden Fall würde ich unsere Kinder und die Kinder unserer Frauen nicht in den Krieg schicken."

​​​​Die beiden Präsidentschaftskandidaten Petr Pavel (l.) und Andrej Babis (r.) sitzen sich beim TV-Duell am 22.0.2023 gegenüber, zwischen ihnen der Moderator an einem Tisch
​​​​Die beiden Präsidentschaftskandidaten Petr Pavel (l.) und Andrej Babis (r.) beim TV-Duell am 22.01.2023Bild: Katerina Sulova/CTK Photo/IMAGO

Die Antwort seines Gegenkandidaten Pavel kam prompt: "Herr Babis lebt wohl in einer anderen Welt. Wir sind gerade deshalb Mitglied der NATO geworden, um den Frieden zu sichern, weil die NATO heute die stärkste Verteidigungs- und nicht die stärkste Angriffsorganisation der Welt ist." Er fügte hinzu, dass Artikel 5 des NATO-Vertrags eindeutig alle Mitglieder der Allianz zur Hilfeleistung verpflichte.

Babis löst Protest in Polen und dem Baltikum aus

Die Babis-Aussage löste einen diplomatischen und medialen Sturm in Polen und den baltischen Staaten aus. Estlands Außenminister Urmas Reinsalu nannte die Worte des Kandidaten ein "schlimmes Beispiel für die Einbeziehung einer innenpolitischen Kampagne in Sicherheitsfragen" und mahnte: "Herr Babis sollte sich auch an die Geschichte erinnern, einschließlich 1968 und 1938". Damit spielte er auf das Münchner Abkommen von 1938 und die Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 an.

Präsidentschaftskandidat Petr Pavel wendet sich nach der ersten Wahlrunde am 14.01.2023 an die Öffentlichkeit - erwartet von zahlreichen Menschen mit Handys und Kameras
Präsidentschaftskandidat Petr Pavel nach der ersten Wahlrunde am 14.01.2023Bild: Petr David Josek/AP/picture alliance

Nur wenige Stunden nach dem TV-Duell milderte Babis seine Worte auf Twitter ab: "Ich habe Artikel 5, d.h. die kollektive Verteidigung der NATO, nie in Frage gestellt. Ich wollte mir einfach nicht vorstellen, dass der Dritte Weltkrieg ausbrechen könnte. Deshalb müssen sich die Politiker für den Frieden einsetzen und Kriege verhindern."

Tschechen unterstützen die Ukraine, haben aber Angst vor Krieg

Bisher ist die zehn Millionen Einwohner zählende Tschechische Republik einer der größten Unterstützer der Ukraine überhaupt. Das Land hat mehr als 400.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, der ukrainischen Armee Panzer und andere schwere Waffen zur Verfügung gestellt. Zudem haben tschechische Bürger Hunderte von Millionen Euro gesammelt.

Nach Ansicht des bekannten tschechischen Soziologen Jan Herzmann, seit 1992 Leiter des renommierten internationalen Meinungsforschungsunternehmens Factum, könnten Babis' Aussagen dennoch auf fruchtbaren Boden fallen. "Diese Kampagne richtet sich an alle in Tschechien, die Angst vor einer Ausbreitung des Ukraine-Konflikts haben", sagt er der DW. Das seien auch viele derjenigen, die die Hilfe für die Ukraine unterstützten. "Wir werden sehen, welcher Teil der Wählerschaft davon beeindruckt wird." Babis' Aussage zur Unterstützung der Nachbarländer im Falle eines russischen Angriffs sei "eine unglückliche Formulierung". Der Soziologe ist sicher: "Babis ist kein Gegner der NATO."

​​Der tschechische Soziologe Jan Herzmann auf einem Foto von Tomas Krist
​​Der tschechische Soziologe Jan Herzmann

Trotz der Babis-Kampagne bleibt Petr Pavel der Favorit der Wahl. Laut einer am Montag (23.01.2023) veröffentlichten Umfrage der Agentur Ipsos wird der Ex-General voraussichtlich 58,8 Prozent der Stimmen erhalten - und Andrej Babis 41,2 Prozent. Einige Experten meinen trotzdem, dass Pavels Sieg nicht sicher sei. "Die Wahrscheinlichkeit, dass er scheitert, ist gar nicht so gering", sagte etwa Lubomir Kopecek, Politikwissenschaftler an der Masaryk-Universität in Brünn, der DW.

Babis' Wahlkampf sei "extrem hart", so Kopecek. Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine Desinformationskampagne, die in Tschechien in den letzten Tagen für Aufregung sorgte und Pavel als willfähriges Werkzeug der USA diffamierte. Babis habe sich davon zwar distanziert, aber die Anschuldigung sei ganz im Sinne der Wahlparolen des Ex-Premiers. "Ziel ist es, mehr eigene Wähler an die Urnen zu bringen und die Wähler von Petr Pavel davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen." Andererseits soll die Angst vor einem Krieg bisherige Nichtwähler dazu bringen, für Babis zu stimmen.

Dass ein Wahlsieg Babis' eine Umkehr der derzeitigen Politik der Unterstützung für die Ukraine bedeuten würde, glaubt der Politikwissenschaftler nicht. Aber er befürchtet, dass ein Präsident Babis auf eine Reduzierung der tschechischen Unterstützung für Kiew drängen würde: "Dass er Polen nicht helfen würde, wird Babis nach den Wahlen nie wiederholen. Aber seine Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine oder zur diplomatischen Unterstützung für Kiew wäre sicherlich weniger entgegenkommend als die der derzeitigen Regierung." Petr Pavel dagegen würde die bisherige Politik Prags fortsetzen.

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag