Polen: Kaczynski tritt wieder in Regierung ein
21. Juni 2023Es war Staatschef Andrzej Duda, der auf Vorschlag des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki den Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, am Mittwoch (21.06.2023) zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannte. Doch wer hinter der personellen Entscheidung in Warschau steht, ist für jeden politisch interessierten Polen sonnenklar: Kaczynski selbst. "Diese Entscheidung hat der Parteichef selbst getroffen, um die Regierung zu stärken", erklärte Marek Pek, Mitglied des Senats, der Zweiten Kammer des polnischen Parlaments, und Kaczynskis Parteigenosse dem Fernsehsender TVN.
Schleppender Wahlkampf
Der starke Mann der polnischen Politik, Zwillingsbruder des 2010 bei einem Flugzeugabsturz getöteten Staatspräsidenten Lech Kaczynski, soll dem Wahlkampf neuen Schwung verleihen. Denn der läuft derzeit nicht gut für das rechts-nationalen Regierungslager in Polen, dessen Kern die PiS bildet. Vor dem Urnengang im Herbst steckt die PiS im Umfragetief. Die versprochenen Wahlgeschenke haben ihre Werte nicht verbessert und alle Versuche, Oppositionsführer Donald Tusk mal als deutschen, mal als russischen Agenten zu diskreditieren, finden kein größeres Echo in der polnischen Gesellschaft. Eine Sonderkommission, die den russischen Einfluss auf Tusk in der Zeit, als er die polnische Regierung leitete, beweisen soll, steckt immer noch im parlamentarischen Verfahren fest. Die internen Fraktionskämpfe innerhalb der Vereinigten Rechten, die seit 2015 in Polen regiert, behindern vier Monate vor der Parlamentswahl ein wirksames Agieren des Regierungslagers.
Der Protestmarsch der Opposition mit Hunderttausenden Teilnehmern am 4. Juni in Warschau gab Tusks liberaler Partei Bürgerplattform (PO) neuen Schwung und Hoffnung auf den Wahlsieg. PiS-Strategen wurden vom Erfolg der Opposition völlig überrascht und fanden keine gute Antwort. In den Umfragen gewann die PO an Zustimmung und näherte sich den Ergebnissen der PiS.
Der Chef des PiS-Wahlstabes, der Europa-Abgeordnete Tomasz Poreba, bezahlte diese Schlappe mit seinem Amt. Er wurde durch den erfahrenen Wahlkämpfer Joachim Brudzinski ersetzt, den PiS-Chef Kaczynski wie ein Familienmitglied behandelt.
Wunderwaffe Kaczynski
Und so griff die verunsicherte Regierungspartei nach ihrem letzten Trumpf: Jaroslaw Kaczynski. Der 74-Jährige ist nach der Umbildung der Regierung nun der einzige stellvertretende Ministerpräsident im Kabinett von Morawiecki. Die bisherigen vier Vize-Regierungschefs - Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak, Minister für Staatseigentum Jacek Sasin, Kulturminister Piotr Glinski und Henryk Kowalczyk (Minister ohne Fachbereich) - waren zurückgetreten, konnten ihre Ressorts aber behalten. Dadurch soll die besondere Stellung Kaczynskis in der Regierung hervorgehoben werden.
"Kaczynski wird als wirklicher Vizepremier alle Machtzentren koordinieren", sagte Minister Sasin dem Polnischen Rundfunk am Dienstag. "Kaczynski ist als Anführer unseres politischen Lagers die wichtigste Person in diesem Machtsystem. Er spielt eine absolute Schlüsselrolle."
Was meinen die Experten?
Polnische Politikbeobachter und -experten verweisen auf andere Aspekte: Die Vereinigte Rechte steckt in großen Schwierigkeiten. Sie hat im Wahlkampf schwere Fehler begangen und durch die starken internen Spannungen die Lage der Regierungsparteien verschlechtert. "Kaczynskis Regierungseintritt sollte man als einen Versuch sehen, die Krise in den Griff zu bekommen", erläutert die Politologin Barbara Brodzinska-Mirowska aus Thorn. "PiS droht der Machtverlust. In dieser Situation versucht die Partei, die Reihen zu schließen und die politischen Flügel in die Schranken zu weisen. Der starke Mann - Kaczynski - soll diese Konsolidierung schaffen", meint auch Rafal Chwedoruk vom Institut für politische Wissenschaften an der Universität Warschau.
Noch klarer formulierte es der Vorsitzende des Senats, Tomasz Grodzki: "Die PiS ist in Panik. Ihr bisheriges Konzept des Wahlkampfes ist zusammengebrochen. Geblieben ist nur noch Kaczynski", so der Oppositionspolitiker, der Tusks Bürgerplattform angehört.
Obwohl Kaczynski gern aus der zweiten Reihe regiert, auch deshalb, weil die Sympathiewerte für ihn sehr niedrig sind, ist ein Regierungsamt für ihn kein Neuland. Bereits von 2020 bis 2022 fungierte er als stellvertretender Regierungschef mit Zuständigkeit für Sicherheitsfragen. Dann schied er aus der Regierung aus, um, wie er sagte, die Partei auf den Wahlkampf vorzubereiten. Doch seit dieser Zeit nahmen die Spannungen eher zu.
Interne Auseinandersetzungen
Morawiecki und Justizminister Zbigniew Ziobro von der kleinen Koalitionspartei Souveränes Polen lieferten sich in aller Öffentlichkeit polemische Auseinandersetzungen. Ziobro warf dem Regierungschef Nachgiebigkeit gegenüber Brüssel im Streit um die Rechtsstaatlichkeit vor, Morawiecki revanchierte sich mit einem bissigen Sprichwort, gemünzt auf seinen Minister: "Eine Kuh, die laut muht, gibt wenig Milch."
Ob sich die personellen Entscheidungen positiv auf das Image der PiS auswirken, wird sich bereits am kommenden Samstag (24.06.2023) zeigen. Denn dann wird Oppositionsführer Tusk, der gerade auf seiner Wahlkampfreise durch Polen ist, in der niederschlesischen Hauptstadt Wroclaw (Breslau) vor seinen Anhängern auftreten.
Der neue Chef des PiS-Wahlstabes Brudzinski entschied daraufhin kurzfristig, dem liberalen Rivalen den Fehdehandschuh hinzuwerfen und in die gleiche Gegend zu kommen. Die Nationalpopulisten werden sich in Turow treffen, einem Ort an der polnisch-deutsch-tschechischen Grenze, der seit Jahren durch einen Streit um die dortige Braunkohlengrube und ein Kraftwerk erschüttert wird. Unlängst ordnete ein Verwaltungsgericht in Warschau den Stopp der Kohleförderung an. Die Regierung erklärte jedoch, sie werde das Urteil nicht beachten.
In der zugespitzten Lage hat Kaczynski noch einen Trumpf im Ärmel: die Migrationspolitik. Er kritisiert den Asyl-Kompromiss der EU als eine existenzielle Gefahr für Polen. Deshalb soll zusammen mit der Parlamentswahl ein Referendum über die Aufnahme von Flüchtlingen abgehalten werden. 2015 trug dieses Thema wesentlich zum PiS-Sieg bei. Wird sich dieses Szenario 2023 wiederholen?