"Nationalstaaten in Europa nicht ersetzbar"
20. März 2023"Nichts in Europa wird die Freiheit der Nationen, ihrer Kultur, ihrer sozialen und ökonomischen, politischen und militärischen Sicherheit besser schützen als die Nationalstaaten", sagte Mateusz Morawiecki am Montag in der Universität Heidelberg. "Nationalstaaten in Europa sind nicht ersetzbar."
Mit seiner Grundsatzrede zur Zukunft Europas habe der polnische Premierminister einen Gegenentwurf zu dem gezeichnet, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2017 und Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte 2022 als Zukunft für Europa skizziert hatten, sagt Bastian Sendhardt vom Deutschen Polen-Institut: "Die gängigen Europa-Reden haben immer eine Zukunftsvision von Europa gezeichnet, und Morawiecki will in seiner Rede eigentlich zurück zu den Ursprüngen, also ins 'Europa der Vaterländer'."
Morawiecki beschwört De Gaulles "Europa der Vaterländer"
Den Begriff hatte einst der französische Präsident Charles de Gaulle geprägt, als es nach dem Zweiten Weltkrieg um die Versöhnung mit Deutschland und die Neuordnung Europas ging. De Gaulle propagierte damit eine enge zwischenstaatliche Kooperation ohne supranationale Instanzen wie die Europäische Union. Obwohl Morawiecki den Begriff nicht nannte, meint Sendhardt wie auch andere Kommentatoren: "Das war der zentrale Punkt seiner Rede."
Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands wollen die EU zum Beispiel dadurch stärken, dass mehr europapolitische Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip beschlossen werden können. Morawiecki will das genaue Gegenteil: "Lasst uns darauf verzichten, in Dinge einzugreifen, bei denen die nationalen Interessen auseinandergehen", sagte er in Heidelberg.
Parallelen zwischen EU und russischem Imperialismus?
Weder in Polen, noch in Europa ist der polnische Premierminister allein mit der Sorge, dass die EU die Souveränität der Mitgliedstaaten immer weiter beschneiden und deren nationale Identitäten zurückdrängen könnte. Eine Parallele dazu, dass das russische Regime der ukrainischen Nation das Existenzrecht abspricht, wird seltener gezogen.
Doch genau dies habe Morawiecki getan, indem er beides mit ähnlichen Vokabeln in seiner Rede unterbrachte, meint Polen-Experte Sendhardt. Im Grund habe der Premier sagen wollen: "So wie Putin die nationale Souveränität der Ukraine unterdrücken will, ist letztendlich die EU eine Gefahr für die polnische Souveränität."
Kritik an "EU-Eliten" und Deutschland
Anders als die "EU-Eliten" sehe er das Heil Europas nicht in einem "zentralisierten Superstaat", erklärte Morawiecki. Denn dagegen würden sich die europäischen Nationen wehren. Eine globale Führungsrolle könne Europa nur durch mehr Machtbalance über den ganzen Kontinent einnehmen - und durch eine Erweiterung, die den Westbalkan und die Ukraine einschließt.
Morawiecki warnte erneut vor der Gefahr, dass sich der Krieg in der Ukraine auf andere Länder ausweiten könne und lobte die NATO als Schutzbündnis. Gleichzeitig sparte er nicht mit schwach verklausulierter Kritik an Deutschland: "Diejenigen, die jahrelang die russischen Vorbereitungen finanzierten, Europa entwaffneten und schwächere Länder in eine Partnerschaft mit Russland zwangen, tragen eine Mitverantwortung am Krieg in der Ukraine." Damit spielte er auf die Nordstream-Gaspipelines an, über die Deutschland russisches Erdgas bezog.
Züge einer innenpolitischen Europa-Rede
Was Polen-Experte Sendhardt zu einer echten Europa-Rede fehlte, war eine konkrete Einladung zur Zusammenarbeit an die nominellen Adressaten seiner Rede, die europäischen Partner: "Er hätte sagen können: 'Trotz aller Differenzen ist es jetzt wichtig, dass Deutschland und Polen in der militärischen und verteidigungspolitischen Kooperation zusammenarbeiten", meint Sendhardt. "Aber es gab kein Gegenprojekt, keine Initiative, wo man jetzt tätig werden könnte."
Stattdessen fordert Morawieckis unverhohlen, Deutschland möge "Reparationen" für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg an Polen zahlen. Andernfalls sei die gerade heute so wichtige Versöhnung nicht möglich. "Das ist sozusagen der Kontrapunkt zur deutschen Position, die sagt, gerade in diesem Moment können wir eine Debatte angesichts der Herausforderung des russischen Kriegs überhaupt nicht gebrauchen." Hinzu komme, dass der Premier die undiplomatische Wortwahl "Reparationen" benutzt habe, statt "Wiedergutmachung".
Mit den nationalistischen Tönen, der Kritik an Deutschland und Brüssel sowie einem Mangel an konkreten Lösungsvorschlägen, meint Sendhardt, sprächen viele Punkte dafür, dass die Rede eher innenpolitisch motiviert gewesen sei, als dass sie wirklich eine Vision von Europa habe zeichnen sollen.