Wahl 2013 - Worum geht es?
22. September 2013Der Herausforderer tut sich schwer. Eigentlich ist er der richtige Mann zur rechten Zeit: Peer Steinbrück ist Finanzfachmann und er kennt die Belastungen des Bundeshaushalts genau. Er war Angela Merkels Finanzminister in der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD - zu dieser Zeit brach die Finanzkrise aus. Nun will er seine einstige Chefin beerben. Er will Bundeskanzler werden. Doch das Duell wirkt ungleich. Steinbrück kämpft auf verlorenem Posten, so jedenfalls der Anschein. Bei den Demoskopen schneidet er im direkten Vergleich mit der Kanzlerin schlecht ab - und das seit seiner Nominierung.
Dafür gibt es viele Gründe. Merkel ist auf dem Höhepunkt ihrer Macht, sie hat ihre Partei im Griff und beim Euro- und Schuldenmanagement dominiert sie die Brüsseler Politik. Die Mehrheit der Deutschen respektiert und bewundert sie dafür. Aus der Position des Angreifers haben die SPD und Steinbrück dem wenig entgegen zu setzen. "Die SPD sagt, was alles schlecht läuft", begründet das der Kommunikationswissenschaftler Christoph Moss. Das sei zu wenig für potenzielle SPD-Wähler, urteilt er. Und es passe auch deshalb nicht, weil "die Deutschen gerade sehr zufrieden sind". Die Wähler wollen vielmehr wissen, was denn Steinbrück und seine Partei besser machen wollen, im Falle des Wahlsieges.
Agenda-Politik hilft Merkel, nicht Steinbrück
Dabei hätten Steinbrück und seine SPD den Wählern durchaus etwas anzubieten. Allerdings etwas Ungeliebtes: das Reformpaket Gerhard Schröders, des SPD-Kanzlers vor Angela Merkel, die Agenda 2010. Sie gilt unter Experten als Fundament der heutigen Stärke Deutschlands mitten in der internationalen Schuldenkrise. Mit ihr setzte ausgerechnet ein Sozialdemokrat die Beschneidung des Sozialstaates durch - gegen den erbitterten Widerstand gerade der eigenen Partei. Die Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme wurden teurer und das Arbeitslosengeld gekürzt, die Verrentung nach hinten verschoben, kurz, der Staat entlastet. Die Zumutungen trafen vor allem die klassische SPD-Klientel. Viele Parteimitglieder verließen die SPD. Bei Wahlen blieben die Genossen zuhause.
Heute plagt die SPD ein schlechtes Gewissen, glaubt Edgar Wolfrum. Der Historiker der Universität Heidelberg hat die Schröder-Ära unter die Lupe genommen. "Das Problem ist", so Wolfrum, "dass sich die SPD selbst von ihren formalen Regierungserfolgen distanziert." Wolfrum nennt das eine "Entlegitimierung der Politik, die man zwischen 1998 und 2005 gemacht hat". Peer Steinbrück war und ist ein Befürworter dieser Sozialstaatsreform, die inzwischen parteiübergreifend als alternativlos galt. Paradoxerweise findet sie bei den bürgerlichen Parteien wie CDU, CSU und FDP mehr Zustimmung als in der SPD. Angela Merkel profitiert heute davon, dass die SPD den Staat stark für die Krise gemacht hat.
Der Kampf um die Mitte
Es gibt sie, die Unterschiede in den Wahlprogrammen. Die SPD will einen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Union ist dagegen. Die Tarifparteien sollen alleine, ohne gesetzliche Vorgaben Mindestverdienste festlegen. Thema Steuern: Die SPD will Wohlhabende stärker zur Kasse bitten. Die Union will Staatsschulden abbauen, mehr ausgeben und gleichzeitig auf Steuererhöhungen verzichten. Zumindest unterscheiden sich die Ziele der beiden großen Parteien. Doch aufs Ganze gesehen dominiert die politische Mitte in den Programmatiken. Die Kanzlerin charakterisiert ihr Wahlprogramm denn auch mit "Maß und Mitte." Und: "Zusätzliche Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft" werde es mit ihr nicht geben.
Da nahezu alle Parteien die gesellschaftliche Mitte erobern wollen, geht das zulasten der Unterscheidbarkeit, attestiert der Hamburger PR-Berater Wolfgang Raike. "Was heute nicht mehr stattfindet, ist die Polarisierung." Vorbei die Zeiten als es um "Freiheit statt Sozialismus" ging (Wahlkampfslogan der Union 1976). Selbst die Atomstrom-Debatte ist seit Fukushima kein kontroverses Thema mehr. Denn die einstige Atomkraftbefürworterin Merkel hat den Atomausstieg mit ihrer Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP beschlossen.
Das Programm heißt Merkel
Angela Merkel kommt das gelegen. Die Bundeskanzlerin punktet nicht mit Positionen, sondern vor allem mit ihrer Haltung. Sie sagt wenig und auch wenig Überraschendes, sie bleibt emotional stets kontrolliert und kultiviert diese Sparsamkeit in ihrer typischen Handhaltung: der zur Raute geformten Hände, bei der sich Daumen auf Daumen und Zeigefinger auf Zeigefinger stützen. "Sie ist ziemlich normal", umreißt der Zeitgeschichtler Edgar Wolfrum die Persönlichkeit der Kanzlerin, die sich anschickt, ihre dritte Amtszeit anzutreten. Damit könne sich jeder identifizieren. "Das ist ihr Erfolgsrezept. Das Programm ist sie", so Wolfrum.
Notausgang Große Koalition
Angela Merkel kann - nach Lage der Dinge - nur über ihren Koalitionspartner FDP stolpern. Die Stimmung am Kabinettstisch war zuletzt mäßig bis schlecht. Und im Wahlkampf üben sich die Liberalen mitunter als erste Kritiker der Kanzlerinnen-Partei. Die Union will den Kinderfreibetrag anheben, für Mütter die Rente aufbessern und Mieter entlasten. Das, so der Spitzenkandidat der FDP, Rainer Brüderle, seien sympathische Ziele, doch für seine Partei sei es "unabdingbar, dass wir eine schwarze Null im Haushalt erreichen. Wir haben ganz Europa im Fiskalpakt dazu gebracht, die Schuldenbremse einzuführen, dann müssen wir sie selbst auch halten!"
Eine Bestätigung der Kanzlerschaft Angela Merkels hängt vom Sprung der Liberalen über die Fünf-Prozent-Hürde ab. Schafft die FDP das nicht, wären Merkel und die CDU/CSU selbst mit einem guten eigenen Ergebnis von rund 40 Prozent die Verlierer des Abends, wenn SPD und Bündnisgrüne zusammen mehr als CDU/CSU erreichen.
Paradoxerweise könnte ein historisch schlechtes SPD-Ergebnis Peer Steinbrück zum Kanzler machen, wenn die Grünen im Trend bleiben und zwischen 15 und 20 Prozent an den Wahlurnen bekommen. Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Marke und reicht es für Rot-Grün dennoch nicht - bleibt nur die Große Koalition. Sie ist ungeliebt, aber effektiv im Durchsetzen von Gesetzesvorhaben. Das oppositionslose Regieren ist eine Notlösung. Merkel als Kanzlerin und Steinbrück als ihr Finanzminister funktionierten 2005 bis 2009 durchaus erfolgreich in dieser Konstellation.
Im Trend - Der Nichtwähler
Mehr als die Große Koalition fürchten alle Parteien die Nichtwähler. Die statistisch größte Gruppe mündiger Bürger hat sich seit den 70er Jahren mehr als verdreifacht. Rund 30 Prozent der Wahlberechtigten verweigerten bei der letzten Bundestagswahl 2009 das Kreuz auf dem Zettel. Bei Landtagswahlen wurden sogar schon rund 40 Prozent Abstinenz gemessen. Waren ursprünglich zunächst Jungwähler im Verdacht, Wahlen zu ignorieren, so haben neuere Untersuchungen ergeben, dass Nichtwähler in allen Altersstufen vertreten sind.
Unter den Dauer-Nichtwählern sind sogar auffallend viele Ältere. "Eine soziale Schieflage im Wahlergebnis", nennt das Dietmar Molthagen, Leiter der empirischen Sozialforschung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. "Wenn sich bestimmte Gruppen von der Wahl verabschieden, sind ihre Interessen natürlich auch weniger vertreten." Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik könnten die Nichtwähler am 22. September stärkste Partei werden.