Wahlen in Taiwan: China und USA als Streitthemen
11. Januar 2024Zu China und den USA hat Taiwan ein intensives Verhältnis: Während die USA Taiwans wichtigster strategischer Partner sind, betrachtet die Regierung in Peking die selbstverwaltete demokratische Insel als Teil Chinas. Um die Insel wieder unter ihre Hoheit zu zwingen, schließt die chinesische Regierung auch den Einsatz von Gewalt nicht aus.
Zwar verfolgt Washington offiziell eine Ein-China-Politik, die die Führung der Volksrepublik als einzige legitime Regierung Chinas anerkennt. Gleichzeitig aber unterstützen die USA die Regierung in Taipeh informell und gewähren der Insel gemäß dem Taiwan Relations Act von 1979 militärische und andere Unterstützung. Der umstrittene Status des Gebiets führt seit Jahren zu Reibungen zwischen Peking und Washington.
Mehrheit der Taiwaner für Erhalt des Status quo
Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan traten drei Parteien gegeneinander an: die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die Oppositionspartei Kuomintang (KMT) und die relativ junge, 2019 gegründete Taiwanische Volkspartei (TPP).
Für das Präsidentenamt kandidierten drei Personen: der derzeitige Vizepräsident Lai Ching-te (DPP), der Bürgermeister von Neu-Taipeh, Hou Yu-ih (KMT) und der ehemalige Bürgermeister von Taipeh, Ko Wen-je (TPP). Meinungsumfragen sehen Lai als Favoriten.
Zwar gebe es zwischen den drei Parteien Differenzen hinsichtlich ihres jeweiligen Kurses gegenüber China, sagt Chong Ja Ian, Politologe an der Nationalen Universität Singapur. Dennoch zeigten alle drei einen starken Willen, den Status quo zu wahren. "Die taiwanesischen Wähler werden jede Partei abstrafen, die von diesem Programm abweicht", so der Politologe unter Verweis auf frühere Wahlergebnisse.
Hinwendung zu China oder zu den USA?
Die DPP tritt für eine von China deutlich geschiedene Identität Taiwans ein. Sie lehnt zudem Pekings Souveränitätsansprüche ab, da nur die Taiwaner über ihre Zukunft entscheiden könnten. Auch will die Partei die wirtschaftliche Abhängigkeit Taiwans von Peking verringern und die Beziehungen zu anderen Demokratien vertiefen.
Die KMT hingegen befürwortet enge Beziehungen und einen Dialog mit China, bestreitet aber vehement, für Peking zu sein. Die Partei stellt die bevorstehenden Wahlen auch als solche "zwischen Frieden und Krieg" dar.
So hatte der der chinesische Präsident Xi Jinping in den vergangenen Jahren wiederholt erklärt, Taiwan mit dem chinesischen Festland "vereinen" zu wollen, notfalls auch mit Gewalt. Tatsächlich hat das chinesische Militär seine Aktivitäten rund um Taiwan verstärkt. Seine Kampfjets und Kriegsschiffe operieren regelmäßig in der rund 180 Kilometer breiten Meerenge, die die Insel vom Festland trennt. Die KMT verweist auf die zunehmenden Spannungen und erklärt, eine dritte Amtszeit der DPP in Folge werde wahrscheinlich zu einem militärischen Konflikt mit Peking führen.
KMT-Präsidentschaftskandidat Hou versprach, er werde sich dafür einsetzen, den Frieden zwischen beiden Seiten der Meeresstraße zu sichern und den Austausch mit Peking auf der Grundlage von "Gleichheit und Würde" zu pflegen. Auf diese Weise werde sich das Risiko eines Konflikts verringern.
Innerhalb der KMT gebe es ein "hohes Maß an Skepsis" gegenüber dem Engagement der USA für die Verteidigung Taiwans, sagt der Politologe Chong. Washington seinerseits habe gegenüber der Frage, ob es Taipeh im Falle einer chinesischen Invasion beistehen würde, lange Zeit eine "strategische Zweideutigkeit" aufrechterhalten.
Ähnlich sieht es auch Sara Newland, China- und Taiwan-Expertin am US-amerikanischen Smith College. In der KMT komme hinsichtlich der USA eine gewisse Skepsis auf, sagt sie im DW-Gespräch. Dies deute auf die wachsende Sorge der Partei hin, eine zu starke Annäherung an Washington könnte Taiwan in "einen geopolitischen Konflikt zwischen den USA und China verwickeln", so Newland.
Zwischen Demokratie und Autokratie
Anders sieht es Lai von der DPP. Er weist das Narrativ von "Krieg und Frieden" zurück und bezeichnet die Abstimmung als eine Entscheidung "zwischen Demokratie und Autokratie". Im Jahr 2017 hatte Lai erklärt, er sei ein "politischer Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans". Damit hatte er den Zorn Pekings auf sich gezogen.
Taiwan, sagte Lai später, habe es nicht nötig, seine Unabhängigkeit zu erklären. Denn die Insel sei bereits "ein souveränes, unabhängiges Land mit dem Namen Republik China (ROC)". "Republik China" ist der offizielle Name von Taiwan.
"Seien Sie nicht so einfältig, Chinas Definition der taiwanesischen Unabhängigkeit zu folgen", so Lai kürzlich. Auch rief er dazu auf, nicht der chinesischen Kritik an Taiwan zu folgen. Taiwan sein in der Auseinandersetzung eine Art "Opfer".
Auf der Suche nach dem dritten Weg
TPP-Kandidat Ko bezeichnete die Wahl als Showdown "zwischen neuer Politik und alten Kräften". Jede Stimme für die DPP komme einer Unterstützung des Krieges gleich. Jede Stimme für die KMT sei eine für die Kapitulation Taiwans.
Die derzeitige Rhetorik sei in "zwei Ideologien gespalten", sagt Lee Yo-yi, der Sprecher von Kos Kampagne, im DW-Interview. Die TPP aber stehe zwischen diesen Positionen. "So gerät sie nicht in eine argumentative Sackgasse".
Es sei allerdings zweifelhaft, dass sich ein dritter Weg tatsächlich finden lasse, sagt China-Expertin Newland. "Ich bin mir nicht sicher, wie ein solcher Mittelweg aussehen könnte." In ihren tatsächlichen politischen Positionen gelte die TPP als vage.
Der für sein Charisma und seinen offenen Kommunikationsstil bekannte Ko erfreut sich insbesondere bei jungen Wählern, vor allem solchen in den 20ern, großer Beliebtheit.
Diese Generation sei inmitten der ideologischen Kämpfe zwischen KMT und DPP aufgewachsen, sagt Wen Liu, Politologe an der taiwanesischen Academia Sinica. Jetzt wollte sie "etwas Neues" - nämlich eine Option, die das binäre System hinter sich lasse.
Junge Wähler sind der alten Rhetorik müde
Unter jungen Wählern werden die Debatten über die Beziehungen zwischen Taiwan und China nicht mehr so hitzig geführt wie in früheren Zeiten.
Bei den Wahlen bewerteten junge Wähler das Thema Taiwan-China als nicht mehr ganz so wichtig, sagt Sarah Liu, Politik-Dozentin an der Universität Edinburgh. Sie machten sich neben der Bedrohung durch China auch über andere Dinge Sorgen. Für junge Taiwaner spielten auch konkrete Herausforderungen eine Rolle - so etwa Probleme bei der Wohnungssuche oder die Strom- und Wasserversorgung. Das bedeute aber nicht, dass die Wähler die von Peking ausgehende Sicherheitsbedrohung ignorierten, so Liu.
Ungeachtet des Wahlergebnisses werde China weiterhin Druck auf Taiwan ausüben. sagt Chong. "Der große Unterschied zwischen den drei Parteien besteht darin, ob sie wirklich davon ausgehen, dass ein positives Ergebnis in den Verhandlungen mit Peking möglich ist", so Chong. "Sollte es dazu tatsächlich kommen, muss sich zeigen, ob Peking bereit ist, sich an seine Versprechen und Verpflichtungen zu halten".
Mitarbeit: James Chater.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.