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PolitikAsien

Decoding China: "Ein China" bleibt ein China

Dang Yuan
5. Januar 2024

Auf Taiwan, offiziell Republik China genannt, wird ein neuer Präsident gewählt. Wichtiges Wahlkampfthema dabei: die Beziehungen zum Festland, der Volksrepublik China. Rechtlich ist der Status quo die einzige Option.

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Taiwans Präsidentschaftskandidaten William Lai Chin-te (DPP), Hou You-ih (KMT) und Ko Wen-je (TPP) (v.l.n.r.) stehen nebeneinander in einem TV-Studio
Taiwans Präsidentschaftskandidaten William Lai Chin-te (DPP), Hou You-ih (KMT) und Ko Wen-je (TPP) (v.l.n.r.)Bild: Pei Chen/AP/picture alliance

"Bekennen Sie sich zur Verfassung der Republik China?", wollte eine Journalistin bei der Live-Fernsehdebatte mit den Präsidentschaftskandidaten wissen.

Die Frage hatte es in sich. Es geht um die Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland, zwischen der Republik China (ROC) und der Volksrepublik China (PRC). Es geht um den rechtlichen Spielraum bei der Gestaltung dieser Beziehungen, die das Potenzial hätten, im schlimmsten Fall einen Weltkrieg im 21. Jahrhundert auszulösen.

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Volksrepublik als "alleinige legitime Regierung Chinas"

Völkerrechtlich ist die Republik China/Taiwan weitgehend isoliert. Die Vereinten Nationen und die meisten Länder der Welt erkennen die Volksrepublik China seit Anfang der 1970er-Jahre als alleinige legitime Regierung von China an. So wie Deutschland unterhalten sie keine diplomatischen Beziehungen zur Republik China/Taiwan. Nur 13 Länder erkennen die Republik China an, meistens kleinere Staaten in Lateinamerika und im Pazifik - plus der Heilige Stuhl im Vatikan.

Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als eine abtrünnige Provinz. Die Verfassung der VR China sieht in der Präambel vor: "Taiwan ist ein integrativer Teil des heiligen Territoriums der Volksrepublik China."

Deswegen wird auf dem Festland nicht von den anstehenden "Präsidentschaftswahlen" gesprochen, sondern nur von "Regionalwahlen auf Taiwan". Die Bezeichnung "Taiwan" ist in den Augen Pekings ein politisches Reizwort. Sie impliziere die Sichtweise der politischen Kräfte auf der Insel, die eine Unabhängigkeit anstreben. In internationalen Organisationen trägt Taiwan die Bezeichnung "Chinese Taipeh" wie beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) oder "das getrennte Zollgebiet von Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu" wie im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Das sind die Namen von Taiwan plus drei Inseln unter dessen Verwaltung.

Auf der Basis der Verfassung der Volksrepublik billigte 2005 der Nationale Volkskongress, das Scheinparlament in Peking, das "Antispaltungsgesetz", das die Waffengewalt für die Eroberung Taiwans legitimiert, wenn sich die Insel zu einem unabhängigen Staat erklären sollte. Schon heute richten sich zahlreiche Raketen gegen strategische Ziele auf Taiwan. Chinesische Kampfjets überqueren immer wieder die sogenannte Medianlinie in der Meerenge zwischen dem Festland und der Insel, der Taiwan-Straße.

Eine Hand hält einen Reisepass der Republik China/Taiwan
Reisepass der Republik China/TaiwanBild: Ampersand

Festland als Teil des Territoriums der ROC

Auf Taiwan gilt die Verfassung der Republik China in der Fassung von 1947. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien 1945 führte die Nationale Volkspartei (KMT) vom Staatsgründer Sun Yat-sen vier weitere Jahre Bürgerkrieg gegen die Kommunisten unter der Führung von Mao Zedong. Nach dem verlorenen Krieg zog sich die KMT 1949 auf die Insel Taiwan zurück.

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Die Verfassung der Republik China hat die Landesgrenze nicht definiert. Artikel 4 aus dem Jahr 1947, der heute noch gültig ist, sieht vor: "Das Hoheitsgebiet der Republik China in seinen bestehenden nationalen Grenzen darf nicht verändert werden, es sei denn durch Beschluss der Nationalversammlung."

Seit 1947 hat die Nationalversammlung der Republik China/Taiwan keinen Beschluss zur Landesgrenze gefasst. Das bedeutet, dass das Festland laut geltender Verfassung von 1947 auch Teil der Republik China ist. Eine Unabhängigkeitserklärung von Taiwan wäre nicht im Einklang mit der eigenen Verfassung.

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USA als Schutzpatron

Als die USA 1979 mit der Volksrepublik China diplomatische Beziehungen aufnahmen, verabschiedete der US-Kongress im April den "Taiwan Relations Act". Das Gesetz schafft die Grundlage für die pro forma Beziehungen mit der Regierung in Taipeh. Außerdem wird die US-Regierung verpflichtet, "Taiwan mit Waffen defensiven Charakters zu beliefern" und "die Fähigkeit der Vereinigten Staaten aufrechtzuerhalten, sich jeder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen von Zwang zu widersetzen, die die Sicherheit oder das soziale oder wirtschaftliche System der Bevölkerung Taiwans gefährden würde".

Wenn es zu einem militärischen Erstschlag auf Taiwan durch die Volksrepublik käme, wären die USA aber nicht notwendigerweise dazu verpflichtet, Taiwan militärisch zu verteidigen. Allerdings werden auch in Washington die Diskussionen darüber geführt, ob sich das Weiße Haus viel expliziter zur Verteidigung Taiwans bekennen solle.

"Hintergrund dieser Diskussionen ist die verbreitete Wahrnehmung in Washington, dass sich die militä­rischen Kräfteverhältnisse in Asien zugunsten Chinas verschieben", schreibt Politologe Marco Overhaus von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik. "Zudem inve­stiert China seit Jahren gezielt in sogenannte Anti-Access/Area-Denial-Fähigkeiten wie ballistische Rake­ten und Marschflugkörper. Diese Fähigkeiten würden es den USA im Konfliktfall enorm erschweren, Tai­wan überhaupt zu Hilfe zu kommen."

Das Anti-Access/Area-Denial, auch A2AD genannt, erschwert oder verwehrt dem Gegner den Zugang zu einem Operationsgebiet und schränkt dessen Bewegungsfreiheit ein. Praktisch könnte ein ganzes Land von der Außenwelt abgeschnitten werden.

Quadratur des Kreises

Zurück zur Frage an die Präsidentschaftskandidaten, wie ihr Bekenntnis zur Verfassung der Republik China aussieht: Die derzeitige komplizierte rechtliche Ausgangslage in der Republik China/Taiwan macht es nicht möglich, dass sich die Inselrepublik unabhängig erklärt. Das wäre ein klarer Verstoß gegen ihre eigene Verfassung. Eine Wiedervereinigung mit dem Festland, wie es sich die Regierung in Peking vorstellt, lehnt aber laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung ab.

Taiwans Präsidentschaftskandidaten William Lai Chin-te (DPP), Hou You-ih (KMT) und Ko Wen-je (TPP) (v.l.n.r.) stehen nebeneinander in einem TV-Studio bei der TV-Debatte, die äußeren beiden schütteln sich die Hände
Thema im Wahlkampf: Wie steht Taiwan zum Festland China?Bild: Pei Chen/AP/picture alliance

In welchem rechtlichen Rahmen Taiwan zum Festland China steht, ist daher nur eine rein theoretische Frage, bleibt aber das Wahlkampfthema. Die Antworten der Kandidaten auf die strittige Frage enthielten jedoch merkliche Nuancen.

Der aussichtsreichste Kandidat der regierenden DPP William Lai Ching-te antwortete ausweichend und reduzierte die Verfassung auf die staatlich garantierten Bürgerrechte und die demokratische Staatsform. "Praktisch finden derzeit in Taiwan nur die Novellierungen der Verfassung Anwendung", stellte Lai klar. Schon 2017 geriet Lai wegen seiner Äußerung in Kritik, er sei ein politischer Beamter, der sich für die "Unabhängigkeit Taiwans" einsetze.

Seit der Demokratisierung in den 1990er-Jahren auf Taiwan wurde die Verfassung siebenmal novelliert, um den Weg zur konsolidierenden Demokratie freizumachen. Einige Paragraphen der Verfassung wurden außer Kraft gesetzt oder ergänzt. Allerdings wird die Definition des Staatsterritoriums nicht angepasst. Ergänzt wurde lediglich ein neuer Terminus: "Free Area" ("Freie Zone"), die de jure von der Regierung in Taipeh verwaltet wird - im Gegensatz zum "Festland", das unter der Verwaltung von Peking steht. Der Terminus "Freie Zone" regelt unter anderem die Wahlberechtigung bei den Wahlen der Staatsämter der ROC.

Der oppositionelle KMT-Kandidat Hou Yu-ih sagt, die Verfassung sei in seinem Herzen eingemeißelt. Die "Freie Zone" und das Festland könnten nur ein friedliches Miteinander schaffen, wenn sie "die Staatssouveränität des Gegners nicht anerkennen, aber die Regierung des Gegners nicht aberkennen".

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Der dritte Kandidat Ko Wen-je antwortete rhetorisch: "Wir drei kandidieren nicht für das Amt eines Gouverneurs von einem US-Bundesstaat, auch nicht für das Amt eines Gouverneurs einer chinesischen Provinz, sondern für das Präsidialamt der Republik China. Warum stehen wir hier überhaupt, wenn wir uns nicht zur Verfassung bekennen?"

Als Vorsitzender der politischen Jungpartei, der Taiwanesischen Volkspartei TPP, brachte Ko, der zuletzt acht Jahre Oberbürgermeister der Hauptstadt Taipeh war, es auf den Punkt: "Warum diskutieren wir über eine Frage, die keine Antwort hat. Das wäre doch eine Verschwendung unserer Zeit und Energie. Derzeit ist weder Wiedervereinigung noch Unabhängigkeit eine wirkliche politische Option. Übrig bleibt nur der Status quo."

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.