Ivorische Opposition übt Rückzug auf Raten
16. Oktober 2020Sie hätten beschlossen, dass sie "der aktuelle Wahlprozess überhaupt nicht betrifft", sagten der ehemalige Ministerpräsident Affi N'Guessan von der Oppositionspartei FPI und der frühere Präsident Hénrie Konan Bédié von der PDCI bei einer kurzen gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag.
Ob das heißt, dass sie nicht bei der Wahl am 31. Oktober antreten, haben die beiden Bewerber um das Präsidentenamt in der Elfenbeinküste allerdings nicht klargestellt. Kurz vor der Ankündigung am Donnerstag sagte N'Guessan der Deutschen Welle noch: "Wir haben uns nicht von den Wahlen zurückgezogen. Wir sind immer noch Kandidaten."
Genau das sorgt nach Ansicht von Florian Karner für Unklarheit. Der Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Abidjan vergleicht den Standpunkt der Opposition mit einem Fußballspiel: "Sie sind aber nicht einverstanden mit der gegnerischen Mannschaft und auch nicht mit dem Schiedsrichter. Aber Sie spielen trotzdem mit."
Was ist "ziviler Ungehorsam"?
Die Opposition will "zivilen Ungehorsam" üben. An diesem Freitag versuchte sie zu erklären, wie sie sich das vorstellt: Die Durchführung des Wahlkampfes soll mit allen rechtlichen Mitteln verhindert werden, hieß es laut Radio France International. Ebenfalls soll die Austeilung der Wählerkarten verhindert werden.
Nach Ansicht von Thilo Schöne, Repräsentant der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan, ist es verständlich, dass die Oppositionsmitglieder "öffentlich zu nichts aufzurufen, wofür sie danach angeklagt werden können". Doch auch er empfindet den Aufruf als schwammig: "Ich glaube, dass die Nachricht, den Wahlprozess zu verhindern, die Türen für sehr viele Möglichkeiten öffnet. Das Risiko ist dabei natürlich, dass das außer Kontrolle gerät und zu Gewalt führt."
Nur vier von 44 Bewerbern
Die Präsidentschaftswahl ist aus mehreren Gründen umstritten: Von 44 Bewerbern hatte die Wahlkommission nur vier zugelassen, was zu heftigen Protesten führte. Der letzte verbliebene Herausforderer, der unabhängige Kandidat Kuadio Konan Bertin, hat nach Ansicht von Schöne keine Chance auf den Sieg. Zugkräftigere Oppositionelle wurden abgelehnt; etwa der im Exil lebende Ex-Präsident Laurent Gbagbo und Ex-Premierminister Guillaume Soro.
Amtsinhaber Alassane Ouattara bekam dagegen vom Verfassungsgericht die Erlaubnis, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Dabei erlaubt die Verfassung eigentlich nur zwei Amtszeiten. Begründung des Gerichts: Durch eine Verfassungsänderung im Jahr 2016 zählen seine ersten beiden Amtsperioden nicht. Das stößt im Land auf Kritik. Ouattara hatte ursprünglich seinen Verzicht erklärt, dann starb im Juli jedoch überraschend sein Wunschnachfolger, Ministerpräsident Amadou Gon Coulibaly.
"Unsinnig und verantwortungslos"
Das Regierungslager übt derweil Kritik am Schachzug der Opposition. Als "unsinnig" und einen "Beweis für Verantwortungslosigkeit" bezeichnet ihn Mamadou Touré, Minister für die Jugend und stellvertretender Regierungssprecher im DW-Interview. "Wir glauben, dass es sich um eine Flucht nach vorn von Gegnern handelt, die undemokratisch sind. Die Angst haben, an die Urnen zu gehen. Die wissen, dass sie heute nicht auf die Zustimmung der Ivorer stoßen."
Zieht die Bevölkerung mit?
Die Beobachter Karner und Schöne zweifeln noch an, dass sich die Bevölkerung von den Aufrufen zum Boykott in den gut zwei Wochen vor der Wahl mitreißen lässt. Denn bis zu der Pressekonferenz an diesem Freitag war nie richtig klar, welche Strategie die Opposition verfolgt. Die PDCI, die Partei von Bédié, ist nach Ansicht von Karner "keine Partei, die diesen Straßenkampf gewohnt ist". Das stecke der Partei gar nicht in den Genen.
Ein Grundproblem der Elfenbeinküste ist seiner Meinung nach, dass die politischen Eliten keine Nähe zur Bevölkerung haben. Außerdem seien die Menschen konfliktmüde: "Große Teile der Bevölkerung haben die Krise Anfang der 2000er Jahre mit dem Kulminationspunkt 2010/2011 erlebt. Die Leute wollen die Ruhe in ihren Vierteln und Gemeinden. Wie sehr sie dann für die politischen Akteure auf der Straße eintreten, um zum Teil ihre kleine wirtschaftliche Existenz und vielleicht auch ihr Leben zu riskieren - das ist eine offene Frage."
Nach der Wahl 2010 waren in der Elfenbeinküste bei blutigen Auseinandersetzungen rund 3.000 Menschen getötet worden. Damals hatte Amtsinhaber Laurent Gbagbo seine Wahlniederlage gegen Ouattara zunächst nicht akzeptieren wollen.
Wie hoch ist das Gewaltpotenzial?
Dass sich gewaltsame Ausschreitungen in diesem Ausmaß wiederholen könnten, bezweifelt Thilo Schöne, da die Bedingungen andere seien. "Wir haben nicht zwei Armeen, die sich gegenüberstehen. Wir haben keine hohe Bewaffnung. Die Sicherheitskräfte sind sehr stark in der Hand der Regierung." Mit vereinzelter Gewalt rechnet er aber durchaus. "Jetzt müssen wir die nächsten Stunden und Tage abwarten, wie die Bevölkerung reagiert."
Im August gab es bereits Ausschreitungen, bei denen Menschen ums Leben kamen. Karner gibt zu bedenken, dass das Demonstrationsverbot außer im Rahmen der Wahlkampagnen bis nach der Wahl verlängert wurde. "Man muss sehen, wie sie reagieren werden, wenn die ersten Kleingruppen versuchen Wahllokale zu stürmen. Ich erwarte eine sehr, sehr strikte und harte Antwort vonseiten der Sicherheitskräfte."
Vermittlungsversuche der Nachbarn
Unterdessen hat Amtsinhaber Ouattara in Bouaké, der zweitgrößten Stadt des Landes, seinen Wahlkampf offiziell gestartet. "Lasst uns zur Wahl gehen, es wird keine Verschiebungen geben", sagte er. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sagte Ouattara, er würde keine internationale Vermittlung akzeptieren.
Nach Berichten des Magazins Jeune Afrique haben Vermittlungsversuche westafrikanischer Repräsentanten bisher nicht gefruchtet. Während Bédié eine Verschiebung der Wahl fordert, ist Ouattara strikt dagegen. Demnach sei der Präsident jedoch bereit, eine Einheitsregierung zu bilden und die Wahlkommission zu reformieren - nach der Wahl.
Mitarbeit: Eric Topona, Julien Adayé