Neu im Kino: "Wackersdorf"
20. September 2018Der Regisseur, die Produzenten und die Filmverleiher werden sicher nicht daran gedacht haben, dass ihr Film "Wackersdorf" nun zur rechten Zeit in den deutschen Kinos startet. So etwas kann man nicht planen: Dass ein Film, der eine Geschichte aus der Bundesrepublik der 1980er Jahre erzählt, just in einer Zeit in die Filmtheater kommt, in der sich im Westen Deutschlands gerade ein ganz ähnliches Szenario abspielt: im Hambacher Forst, der abgeholzt werden soll, um dort künftig Kohle abzubauen.
Auch wenn sich die historischen Ereignisse, die sich vor rund 30 Jahren in der bayrischen Oberpfalz abgespielt haben, nicht eins zu eins mit denen im Nord-Rhein-Westfälischen Hambach übertragen lassen - verblüffend sind die Parallelen doch: Junge Menschen, die sich mit ihrem Protest gegen die Pläne von Industrie und Politik stellen; Umweltschützer, die sich gegen die Zerstörung von Natur wenden; die Auseinandersetzungen mit der Polizei - das alles vor dem Hintergrund der Debatte um die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Eines ist zumindest sicher: die Aktualität dürfte dem Publikumsinteresse am Film "Wackersdorf" nun zu Gute kommen.
Regisseur Oliver Haffner stellte seinen Film einem größeren Publikum erstmals im Sommer beim Filmfestival im München vor. Jetzt kommt er bundesweit in die Kinos. Hans-Christoph von Bock sprach mit Haffner nach der Premiere in München.
Deutsche Welle: Herr Haffner, als die Ereignisse in Wackersdorf stattfanden, waren Sie elf Jahre alt. Warum wollten Sie jetzt unbedingt darüber einen Film machen?
Oliver Haffner: Ich bin in München groß geworden und habe eine acht Jahre ältere Schwester, die immer zum Demonstrieren nach Wackersdorf fuhr. Auch wenn wir ein sehr liberales Elternhaus hatten, es führte immer zu Diskussionen, weil große Ängste da waren, dass meiner Schwester etwas passieren könnte. Diese Zeit meiner späten Kindheit und frühen Jugend war stark von Gefühlen der Angst geprägt, von '….es kann was passieren!'.
Mit dem Thema Atom wurde man ja damals groß. Bücher wie "Die Wolke" gehörten zur Grundausstattung. Auch diese Gewaltbilder aus Wackersdorf, die man damals im Fernsehen sah, in Kombination mit der familiären Auseinandersetzung, haben mich stark geprägt. Der Initiations-Moment war dann vor sieben Jahren der Atomunfall in Fukushima und der Atomausstieg in Deutschland. Da erinnerte ich mich wieder an diese Zeit und dachte: 'Ja, Wackersdorf war doch ein Riesenthema für das Nachkriegs-Bayern'.
Taugt ein Lokalpolitiker (Landrat Hans Schuierer, der im Film die Hauptrolle spielt und auf dessen Geschichte der Film beruht, Anm. der Red.) zum Kino-Helden?
Ja, gerade weil er so eine scheinbar unaufgeregte Figur ist, ein "Normalo", der nicht außerhalb der Gesellschaft steht, sondern mittendrin. Er ist ja auch jemand, der sich wandelt: Vom anfänglichen Befürworter aufgrund der wirtschaftlich desolaten Situation in der Region und den erhofften Arbeitsplätzen, zum Gegner, weil er merkt, wie stark der Rechts-Staat ausgehebelt wird, um dieses Projekt durchzusetzen. Das war jemand, der wirklich etwas riskiert hat, nämlich seine berufliche Karriere bis hin zum finanziellen Ruin. Da ist er für mich ein Held wider Willen. Er konnte nicht anders, weil er so stark an Recht und Demokratie geglaubt hat. Dass das nicht mehr zählt, hat ihn einfach wütend gemacht. Ich glaube, die Wut ist der größte Antrieb gewesen bei Hans Schuierer. Sie spürt man bei dem 87-jährigen bis heute.
Demonstrationen wie in Wackersdorf wären bei dem neuen Polizeiaufgabengesetz, wie wir es jetzt in Bayern haben, gar nicht mehr möglich. Die Leute würden, noch bevor sie überhaupt ihre Koffer packen um zum Demonstrieren zu fahren, bereits im Gefängnis sitzen. Es ist nicht mehr die Gewalt mit dem Knüppel, die uns über den Bildschirm ins Wohnzimmer gebracht wird. Sie findet viel subtiler, aber auch viel massiver statt.
Wie wichtig war Ihnen die regionale Sprachfärbung?
Ich glaube immer noch an die Kraft des Films und des Kinos, die uns in Welten entführt, die wir nicht kennen. Die Welten müssen dann aber stimmen. Ich dachte immer, wir müssen uns die Oberpfalz und die Region anschauen, um wirklich das einzufangen, was sie ausmacht. Wie eine Region in Südamerika, von der wir keine Ahnung haben. Die karge Schönheit der Landschaft, vor allem auch diese Weite. Nur wenn man die Region so einfängt, findet man auch einen Zugang zum Innenleben der Menschen, die dort leben.
Wir lieben es ja am amerikanischen Film, wenn wir Figuren sehen, die in ihrem Slang sprechen. In Deutschland haben wir manchmal Angst davor, dann wird alles vereinheitlicht. Wir sind aber ein föderales Land, in dem die Identität aus der Region kommt. Das war mir sehr wichtig, dass sich das sprachlich niederschlägt.
Wie erklären sie sich, dass damals so eine Protestbewegung überhaupt möglich war?
Es waren damals in den 1980er Jahren gut 30 Jahre vergangen im Bewusstsein, dass Demokratie, oder demokratische Errungenschaften und Rechte, nicht "Gottgegeben" sind. Die zeitliche Nähe zum Nationalsozialismus war für viele Leute in der Region ganz entscheidend. Der Beginn der Proteste war ganz stark getragen von kirchlichem Widerstand, von älteren Menschen aus der Bevölkerung, die sich mit Sonntags-Spaziergängen engagiert haben, eben auch aus der Erfahrung, selbst noch eine Diktatur erlebt zu haben.
Ich denke manchmal, wir sind uns heute viel zu sicher, dass so eine Demokratie einfach existiert. Wir merken gar nicht, wie - im Bezug zum Rechts-Staat -, schrittweise eine Demontage stattfindet. Hinzu kommen die Verlockungen des Konsums und der digitalen Medien und Social-Media-Welten. Dort kann man sich dem Anschein hingeben, das mit einem "Gefällt-Mir-Button" oder vielen "Likes", dem politischen Anliegen genügend Ausdruck gegeben wird. Das ist natürlich ein großer Irrtum.
Bei uns werden auch die ideologischen Grabenkämpfe tiefer. Das ist für mich der große Inspirations-Moment aus Wackersdorf für heute. Wer sich dort im Protest alles zusammengefunden hat! Die unterschiedlichsten Gruppen, Kirchen, einfache Bevölkerung, Linke Gruppen, Öko-Gruppen: Alle haben sich in einer Protestbewegung zusammengefunden
Warum arbeiten Sie in Ihrem Film auch mit dokumentarischem Material?
Wir haben auf das dokumentarische Material bei den Gewaltausschreitungen und den Polizeieinsätzen am Bauzaun und auf dem besetzten Gelände zurückgegriffen. Ich finde das Nachstellen von Gewalt, vor allem auch von realer Gewalt, die sich tatsächlich ereignet hat, häufig sehr schwierig, weil sie dann doch oft in ihrer Monstrosität nicht so erscheint, wie sie in der Realität tatsächlich war.
Man braucht (für einen Spielfilm) einen massiven materiellen und finanziellen Einsatz - wir sind keine Mega-Blockbuster-Produktion. Aber auch inhaltlich sprechen diese Bilder immer noch stark für sich, auch in ihrer historischen Verortung. Wenn etwas von Wackersdorf geblieben ist in der medialen Wahrnehmung, dann sind es die Bilder der Gewalt. Das sind die Ikonen, die geblieben sind, nicht die Hintergründe. Diese Hintergründe aber auch zu beleuchten, das politische Drama, auch der politische Thriller, der sich dahinter verbirgt, darum ging es uns.
Das Gespräch mit Regisseur Oliver Haffner führt Hans Christoph von Bock nach der Premiere des Films beim Festival in München. "Wackersdorf" kommt am 20.9.2018 bundesweit ins Kino.